Róisín Murphy: Die Ikone ist zurück

Die Ex-Frontfrau von Moloko ist zurück. Wieder solo auf der Bühne, aber mit jeder Menge Kreativität im Gepäck. Wir haben mit der Disco Queen Róisín Murphy im Interview über die Homo-Ehe, Klamotten und Selbstinszenierung gesprochen.

Sieben Jahre ohne Bühne stelle ich mir hart vor für eine Vollblut-Musikerin. Wie ist es dir ergangen?
Es war sehr ruhig. Mein Leben hat sich hauptsächlich um Kinder, Beziehungen, Ferien und Essen gedreht. Die Zeit ging aber trotzdem rasend schnell vorbei.

Hätte es nicht für immer so weitergehen können? Warum hast du dich entschieden, ein neues Album zu produzieren?
Ich habe nie damit aufgehört, Musik zu machen. Ich habe mich nie davon entfernt. Und es war für mich immer klar, dass ich das irgendwann auch wieder hauptberuflich tun werde. Mein Partner [Sebastiano Properzi, Anm. d. Red.] ist Musikproduzent. Ich war die ganze Zeit umgeben von Leuten, die Musik leben und atmen. Ich habe auch viel mit DJs zusammengearbeitet. Aber ein ganzes Album zu machen hat sich erst jetzt mit „Hairless Toys“ richtig angefühlt.

Warum hast du den ungewöhnlichen Titel „Hairless Toys“ für den Song und das Album gewählt?
Eddie Stevens, mit dem ich das Album zusammen gemacht habe, hat sich verhört. Ich habe „Careless Talk“ gesungen und er hat „Hairless Toys“ verstanden. Er hat den Song fälschlicherweise so genannt und wir haben das bis zum bitteren Ende durchgezogen. [lacht]

Folgen die Songs auf dem Album textlich einer roten Linie?
Die meisten der Texte sind sehr persönlich. Wie zum Beispiel „Uninvited Guest“: Ich hatte wirklich solche Tage, an denen ich ziellos umhergelaufen bin und nicht wusste warum. Meistens ist alles okay. Du hast deine Kinder, du hast Spaß am Leben und bist glücklich. Aber an manchen Tagen fühlt man sich fehl am Platz und davon handelt der Song. Ich blicke auf dem Album viel zurück: in meine Jugend, auf Zeiten und Ereignisse, die mich geformt haben und zu der gemacht haben, die ich heute bin.

Der Song „Gone Fishing“ allerdings ist eine Hommage an die New Yorker Schwulen- und Voguing-Szene der 80er-Jahre…
Ja, die Dokumentation „Paris Is Burning“ hat mich zu diesem Song inspiriert.

In der heutigen Schwulenszene bist du eine Ikone und du bist Irin. Hast du den Volksentscheid über die Zulassung der Homo-Ehe in Irland verfolgt?
Ich wurde von vielen irischen Journalisten im Vorfeld gefragt, wie die Wahl wohl ausgehen wird, und ich habe geantwortet, dass es ein Spaziergang für die Homosexuellen wird. Ich wusste, dass die Mehrzahl der Iren sagen wird: „Es ist okay. Lasst sie doch heiraten.“ Es ist unglaublich, wie sich die Einstellung der Iren in den letzen 30 Jahren verändert hat. In meiner Kindheit war Irland eine Nation, die zur Hälfte von der katholischen Kirche geführt wurde. Und jetzt seht euch das Ergebnis an: 60 Prozent der Iren haben für die Homo-Ehe gestimmt. Die katholische Kirche hat keine Macht mehr über das Land. Ich finde es bemerkenswert, wie eine Nation sich in relativ kurzer Zeit so verändern kann. Und ich bin sehr froh darüber, dass meine Prognose sich bestätigt hat. 

In Sachen glamouröse Outfits stehst du den Voguing-Stars von damals in nichts nach. Welcher Stylist steckt hinter der Auswahl für die „Hairless Toys“-Tour?
Ich bin mein eigener Stylist. Für die Tour habe ich anfangs viele Vintage-Klamotten ausgewählt: sehr madamige und bizarre Teile wie aus einer anderen Zeit. Für die Leute war ich durch meine Abwesenheit ja auch irgendwie in der Zeit gefangen. Allerdings unterscheidet sich der Style für „Hairless Toys“ sehr von dem Style für mein letztes Album „Overpowered“. Du kannst nicht einfach nach Jahren mit der „alten Unterhose“ wiederkommen. Bei Männern ist das anders. Sie können acht Jahre weg sein, wiederkommen, die gleiche Lederjacke tragen und keiner schert sich darum. Für mich geht das nicht. Alles hat sich verändert. Und klar trage ich auch Modisches auf der Bühne, aber es ist eben nicht unbedingt der Trend des Tages. Ich trage nicht die aktuelle Givenchy-Kollektion. Meine Looks sind etwas schräger. Mit den Vintage-Kleidern versuche ich, eine Art Alte-Dame-Charakter zu kreieren, und auf der Bühne werden mit haarigen Hosen und Masken Kunst und verdrehter Symbolismus hinzugefügt. Der Auftritt wird dadurch dramatischer. Aber das bin eben nicht ich in der neuesten Viktor-&-Rolf-Kollektion.

Hast du für jeden Song ein bestimmtes Outfit festgelegt?
Ich habe eine enorm große Garderobe mit auf Tour: unglaublich viele Hüte und Masken, die mein guter Freund Christophe Coppens für mich gemacht hat, und auch jede Menge Schuhe, Kleider und Schmuck. Daraus wähle ich für jedes Konzert wieder neu aus. Neulich habe ich in einer Venue gespielt, in der es extrem heiß war. Und die haarige Hose und Mäntel haben nicht funktioniert. Also habe ich, während das Konzert lief, den ganzen Outfit-Plan umgeschmissen. Meine Leute backstage waren kurz vor dem Herzinfarkt und ich so: „Gib mir das“ und „Gib mir das da hinten“…

Wenn es also mit der Musik mal nicht mehr so klappen sollte, kannst du immer noch Stylist werden…
Das wäre mir zu langweilig. Stylist sein kann ich mit geschlossenen Augen, kein Problem. Interessant wird es erst, wenn man anfängt zu mischen. Beispielsweise Styling und Regie führen oder Styling und fotografieren oder Styling und singen und tanzen.

Spielen Klamotten auch im Alltag eine große Rolle für dich?
Ja, ich liebe Kleidung, auch im „richtigen“ Leben. Ich laufe zu Hause natürlich nicht ganz so extrem herum. Ich muss für meine Kinder eine akzeptable Mutterfigur in den Straßen Londons abgeben. Ich will sie nicht vollkommen verrückt machen. [lacht]

Wo gehst du am liebsten einkaufen?
Freitags ist der Portobello Market in London sehr gut. Ich habe viele meiner Lieblingsklamotten von dort. Und ich liebe den Dover Street Market in London. In New York gibt es eine Art Warehouse randvoll mit Vintage-Couture. Der Laden heißt „Keni Valenti“ und man muss an der Tür klingeln, um reinzukommen. Die Kleider dort sind der absolute Wahnsinn, ich hätte fast einen Herzinfarkt bekommen! Aber leider sehr teuer. Ich habe nichts gekauft.

Was war das teuerste Kleidungsstück, das du je gekauft hast?
Keine Ahnung. Wenn ich etwas Teures kaufe, lösche ich das direkt wieder aus meiner Erinnerung. Ich gebe zu viel Geld aus.

Hast du momentan ein Lieblings-Outfit?
Der gelbe Vintage-Valentino-Mantel, der in meinem nächsten Video sehr regelmäßig auftaucht.

In deinen Videos zeigt sich auch dein schauspielerisches Talent.
Ich bin mein eigener Regisseur. Ich weiß nicht, ob man das dann Schauspielerei nennen kann. Aber ich finde es interessant, wenn der Darsteller sich selbst leitet. Wie in „Night of the Hunter“, das ist mein absoluter Lieblingsfilm. Er ist sehr alt, 50er-Jahre, schwarz-weiß. Aber sehr echt, sehr kunstvoll und wunderschön. Allerdings durfte der Schauspieler, der den Film gemacht hat, danach nie wieder Regie führen. Der Film war zu sonderbar und verrückt und die Filmfirma hat sehr viel Geld damit verloren.

In Sachen Selbstdarstellung hat sich in deiner Abwesenheit viel verändert. Was hältst du von dem Sozialen-Medien-Wahnsinn dieser Tage?
Ich habe das Gefühl, dass Künstler jetzt die Möglichkeit haben, mehr Verantwortung zu übernehmen. Ich liebe es, dass ich das Marketing für mein Album mitleiten kann. Das war früher nicht so. Ich fühle mich besser damit, die Kontrolle darüber zu haben. Das macht mich allerdings noch lange nicht zum Kontroll-Freak. In diesem Geschäft gibt es keinen Platz für Kontroll-Freaks. Du musst pragmatisch sein. Dir muss klar sein, dass sich manche Dinge kreativ verwirklichen lassen und manche eben nicht.

Ich war auf deinem Konzert in Hamburg. Du hast deinen Superhit „Time Is Now“ nicht gespielt. Gibt es dafür einen Grund?
Nicht wirklich. Aber du kannst eben nicht alle Songs spielen. Die Zusammenstellung der Songs für ein Konzert ist wie ein Blumenbouquet. Sie müssen sich ergänzen. „Sing It Back“ oder „Time Is Now“ sind momentan zu starke Farben fürs Bouquet. Aber vielleicht spiele ich es beim nächsten Konzert. Wer weiß.

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