Nur ein Wort

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber mein Timing ist ziemlich beschissen. So generell. Es ist nicht so, als hätte ich keinen Plan. Ich werde ihm nur selten gerecht. Ständig ist es für irgendetwas zu spät. Jedes Mal ertönt in meinem Kopf dieser Zonk-Jingle. Zerknirscht setze ich mich dann wieder und schlage das nächste Kapitel voll leerer Seiten auf. Next, please.

Aber neulich, da habe ich einen Artikel gelesen und der hat gesagt: Blödsinn. Es ist gar nicht zu spät! Es ging darum, ob man auch noch fernab taufrischer Jugendlichkeit das Surfen für sich entdecken kann. Man kann. Auch ich habe erst angefangen, als alle Wellen schon längst beritten waren. Seither bereichert es mein Leben. Schade, dass ich nicht früher auf den Trichter gekommen bin? Vielleicht. Aber ist es nicht viel wichtiger, dass es sich JETZT richtig anfühlt?„Zu spät“, sagen nämlich im Prinzip nur Leute mit ständig erhobenem Zeigefinger: Misanthropen, Spießbürger, Neider, Mütter. Das haben wir so sehr verinnerlicht, dass wir unaufhörlich mit erhobenem Zeigefinger hinter uns selbst her rennen und der Katze in den Schwanz beißen. Es macht sich das Gefühl breit, dass einem das meiste schon durch die Lappen gegangen ist und es für so ziemlich alles zu spät ist, das Laune macht.

Die Haare bunt färben? Zu spät. Auswandern? Zu spät. Rockstar werden? Zu spät. Sich neu verlieben? Zu spät. Anfangen zu skaten? Zu spät. Das erste Tattoo? Zu spät. Sich neu erfinden? Zu spät. Experimente mit Drogen? Zu spät. Anfangen, hohe Schuhe zu tragen? Zu spät. Nacktfotos? Zu spät. Nochmal ganz von vorne anfangen? Zu spät. (…) Ich habe manchmal den Eindruck, das einzige, was man jetzt noch tun kann, ist, die Hände auf dem Schoß zu falten und auf die Rente zu warten. Und weil es dafür nun aber wirklich noch zu früh ist, habe ich für meinen Teil beschlossen, statt den Zeigefinger öfter mal den Daumen auszustrecken. Auch mir selbst gegenüber. Denn Rechenschaft ist man am Ende niemand anderem schuldig. Irgendwann nicht einmal mehr der Mutti.☝️

Und wenn die Welt ihre Augen verdreht, weil man als letzter den Schuss gehört hat und sich einen Plattenspieler kauft, der Schlaghose doch noch mal eine Chance gibt, oder jetzt erst „Leon der Profi“ guckt: Völlig egal. Denn genau wie mit dem Surfen ist es mit fast allem:
Besser spät, als nie. 👍

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