Nur ein Wort

Ich möchte mich heute outen: Ich. Bin. Nett. Zumindest meistens. Und gut finde ich das auch noch. Trotz miefiger Verwandtschaftsverhältnisse der Nettigkeit möchte ich heute eine Lanze für die immer kleine Schwester brechen.

Nett? Langweilig. Ich sehe da einen fürchterlichen Image-Schaden, der behoben werden muss. Denn ich mag (uh!) Nette. (Uuuhhh!) Ja, genau, ich bekenne mich als Liebhaber des freundlichen Umgangs miteinander und der Sympathie untereinander. Ich gehe sogar noch weiter: Nett ist das neue Cool. Bam! Die mürrischen Pokerfaces mit den Händen in der Hosentasche können bleiben, wo der Pfeffer wächst. Oder in der Raucherecke. Da standen sie ja eigentlich schon immer. Damals hat mich so eine gekonnt aufs Parkett gelegte Unnahbarkeit noch beeindruckt. Too cool for school, bad boys und die latent genervte Drama Queen … Jaja, ich weiß schon. Been there, done that. Aber Hand aufs Herz, mittlerweile finde ich dann doch eher gute als schlechte Laune ansteckend und ein Lächeln meist sympathischer als keins. Und ja, ich bin mir darüber bewusst, dass jetzt einige Augenbrauen unbegeistert hochgezogen werden. Das Attribut „nett“ hat schließlich einen ungefähr so schillernden Ruf wie die Farbe Beige.

Ich habe mich auch lange dagegen gewehrt, aber nun bin ich mir sicher: Einfach mal nett sein is the shit. Ohne Spielchen, ohne Attitude, oh aber bitte auch ohne Cheerleader Pompoms. Ich meine nicht das Zahnpasta-Nett und auch kein hysterisches NETT. Ich meine diese beiläufige, unbedarfte Freundlichkeit. Kleine Gesten ohne große Erwartungen. Dieses Nett, das in der selben Straße wie Ehrlich wohnt. Beide haben einen hübschen Vorgarten. Dort riecht es nach Kuchen. Und irgendjemand winkt. Vom Ding her eigentlich eher die große, als die kleine Schwester.

Und wo wir schon dabei sind: Ist es eigentlich schon eine Art Fetisch, wenn man auf ganz offensichtlich unverstellt nette Männer steht? Solche, die lächeln. Und Smalltalken. Und dein Fahrrad aufpumpen. Unaufgefordert. Ich denke manchmal ernsthaft über dieses Beuteschema nach … True Story.

Das ist jetzt alles wenig glamourös und würde ich Brigitte heißen, wo wäre der Punkt? Aber ich habe das Gefühl, dass diese schnöde Biene-Maja-Weltansicht zu unrecht als unmodern oder gar spießig verschrien ist und eigentlich aktueller nicht sein könnte. Krieg, Rassismus, Plastik in den Weltmeeren, Donald Trump … Das ist doch irgendwie schon alles scheiße genug, da müssen wir uns nicht noch ins eigene Zelt kacken. Diese Welt braucht mehr nette Menschen. Viel zu oft geht es darum, cool zu sein. Und fast genauso oft wird das in der Umsetzung mit unfreundlich, schlecht gelaunt und herablassend verwechselt. Dabei könnte es eigentlich so einfach sein: Nett? Cool.

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