Ronja von Rönne: „Ich dachte damals einfach – ,es reicht!‘“

Ronja von Rönne Freiheit Meer StrandKolumne
Wie steht es um den guten Ruf von Neuanfängen? Entstehen sie aus menschlicher Schwäche heraus oder beweisen sie Tapferkeit? Bloggerin, Schriftstellerin und Neuanfangs-Junkie Ronja von Rönne berichtet.

Neuanfänge haben einen irritierend guten Ruf. Man denkt dabei an Aufbruch, Hoffnung, an heroisches Alles-Zurücklassen und ist sich irritierend sicher, später mal in einer Frauenzeitschrift von seinen Erfolgen zu berichten, obendrüber das Zitat „Ich dachte damals einfach: ,Es reicht!‘“, darunter ein Foto, auf dem man selbst siegessicher lächelt. Neu­an­fang, das klingt nach Start-up, Freiheit, abgestreiften Fesseln. Neu­anfang, das ist die Schlecker-Frau, die jetzt erfolgreich ein vegan-laktos­efreies Café für Katzen betreibt (und sich dabei nicht albern vorkommt). Neuanfang, das ist der Manager, der sich völlig ausgebrannt von Bonusmeilen und Überstunden eine Holzhütte in Schweden gekauft hat und jetzt Biogemüse anbaut, weil ein gutes Gewissen ja irgendwie immer gegen das Übel der Welt hilft. Aber lange vor Bio-Fenchel und Cake-Pops für Haustiere steht die große Entscheidung. Und zwar nicht nur für etwas, sondern vor allem: dagegen. Gegen alles, was davor sinn- und identitätsstiftend war. Neu­anfänge sind ein großes Nichts. Ein Sich-Eingestehen, dass man so nicht weitermachen kann. Dass das bisherige Leben unter Umständen ein großer Fehler war. Neuanfänge sind nur in der Retrospektive eine Er­folgs­geschichte, davor sind sie Niederlage, das Ende vom Fahnenmast.

Wann genau ist das alles so entsetzlich schiefgelaufen?

Das Narrativ, mit dem man sich bisher seine eigene Lebensgeschichte erzählt hat, weiß nicht mehr weiter. Man windet sich. Links nichts gut, rechts nichts gut, die einzige Konsequenz: Alles muss weg, raus, recycelt werden. Neuanfänge sind erst mal kein euphorisches „Geil! Schafhirte in Anatolien, das ist mein Life!“, sondern ein resigniertes Kopfschütteln: Wer ist der Mann, der da neben mir liegt? Warum ist der immer und jeden Abend so aufdringlich da? Weshalb laufe ich jeden Tag in diesen furchtbaren Job? Weshalb stehe ich überhaupt noch auf? Und wie, zur Hölle, kam dieser Wackeldackel in meinen Opel Corsa? Wieso fahre ich überhaupt einen Opel Corsa? Wann genau ist das alles so entsetzlich schiefgelaufen? Nicht etwa mit Anlauf, sondern sehr behutsam, nach und nach fährt man sein Leben gegen die Wand. Was folgt, ist nur im besten Falle das große „Und jetzt?“.

Ansonsten heißen Krisen meist nicht Neuanfang, sondern irgendwann: depressive Episode. Nicht alles neu, sondern alles schlimm. Ich weiß das, ich bin ein Neuanfangs-Junkie. Vier Studiengänge habe ich ­abgebrochen. Einmal, weil ich die Uni-Bibliothek nicht gefunden habe. Ein anderes Mal war ich von den schönen, blonden Kommilitoninnen eingeschüchtert. Ich habe Dinge aus den schwachsinnigsten Gründen aufgegeben. „Noch mal, noch mal, alles auf neu!“, sobald mir das Leben den kleinsten Stolperstein in den Weg legte. Da man glücklicherweise schon gut da­mit be­schäfitgt ist zu bereuen, was man tatsächlich erlebt hat, hält sich meine Reue in Grenzen.

Das Einzige, was Neunanfängen Magie gibt, ist der Trotz. Das Emanzipieren von Umständen.

Trotzdem ist mir bewusst, dass meine Neuanfänge nicht aus einer eupho­ri­schen Idee, sondern aus menschlicher Schwäche heraus entstanden, das fällt einem spätestens auf, wenn man das „Monopoly“-Brett vom Tisch fegt und noch mal anfangen will wie ein Siebenjähriger. Ich habe Neu­an­fänge lange Zeit als Joker verstanden: geht nicht, klappt nicht, dann halt nicht. Das war erstens ziemlich beschränkt, weil ich so nach wie vor keinen Uni-Abschluss habe, aber zweitens auch weil ich mir damit Neuanfänge für alle Zeit verdorben habe. Dabei können sie durchaus recht haben: Wenn sie eine Entscheidung ist, die nicht aus Angst, sondern aus Wagemut getroffen wurde, spätestens dann hat der Neuanfang recht.

Völlig egal, ob das Katzencafé scheitert oder man nach einem halben Jahr Biogemüse wieder einen Job im VW-Vorstand annimmt: Was zählt, ist, dass man eine Entscheidung getroffen hat. Allein darin liegt der Zauber von Neuanfängen. Wenn die Cafébesitzerin irgendwann Millionärin mit Franchise-Katzen-Gastronomie wird, ist nicht der Moment der größte, in dem sie die 500. Filiale eröffnet, sondern die Erinnerung an die eine Sekunde, in der sie von Schlecker gefeuert wurde und sich trotzig für den Mut und gegen das Resignieren entschied. Es ist scheißegal, ob ein Neuanfang eine überfällige Scheidung oder ein Berliner Start-up bedeutet, das Einzige, was Neunanfängen Magie gibt, ist der Trotz. Das Emanzipieren von Umständen. Neuanfang, das ist die eine Sekunde, in der Wunder geschehen: Trotz besiegt Niederlage. Die Möglichkeit gewinnt über den Ist-Zustand. Der Mensch macht sich frei von der unordentlichen Realität. Und deswegen haben Neuzustände ihren guten Ruf zu Recht, egal wie erfolgreich der Ritt in den Sonnenuntergang tatsächlich wird. Hauptsache Hoffnung und meinetwegen Cake-Pops.

Rönja von Rönne
Die 25-jährige Berlinerin twittert unter @sudelheft über alles, „was das Menschsein zur Unverschämtheit macht“. Aber Ronja kann weit mehr als 140 Zei­chen: Sie schreibt Bücher – letztes Jahr „Wir kom­men“ und im Februar erschien „Heute ist leider schlecht“. Für die Blonde-Kolumne tippt sich Ronja ihre Erfahrungen zum jeweiligen Heft-Schwerpunkt von der Seele.
sudelheft.blogspot.com

 

 

 

Teaserfoto: Joanna C. Schröder

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