Leben mit Social Anxiety: „Oh fuck! Da ist sie, die Panikattacke!“

Panikattacke Erfahrungen
Foto: Verne Ho via Unsplash
Social Anxiety ist eines dieser Buzzwörter, das besonders seit Instagram immer häufiger fällt – und immer leichtfertiger, zumindest für einige. Dass es dabei aber um viel mehr als das Setzen von Hashtags #Loner oder #Introvert geht, wissen Betroffene nur zu gut. Wie es sich wirklich anfühlt, mit einer Angststörung zu leben, und was in einem vorgeht, wenn dieses lähmende Gefühl zu einer plötzlichen Panikattacke wird hat unsere Autorin in einem Bewusstseinsstrom runtergeschrieben.

Dass ich unter sozialen Ängsten leide habe ich erst vor Kurzem festgestellt – quasi während meiner ersten Panikattacke. Folgendes ging dabei in mir vor:

Es ist Freitag, am frühen Abend. Endlich Feierabend. Ich stehe am Bahngleis und denke wo bleibt denn nur die Bahn? Ich nehme meine Umgebung kaum wahr. Mein Herz rast, während ich heulend dasitze. Ich muss ganz schnell nach Hause. Die Leute gucken schon. Scheiß auf die, denke ich, glaube es mir aber selbst nicht. Reiß dich zusammen, was auch immer das ist, es geht gleich weg. Atme – aber langsam. Die Bahn kommt. Geh am besten ans Ende. Irgendwo dorthin, wo du alleine bist. Weiteratmen. Hinsetzen. Augen zu, es sind nur 20 Minuten, dann bist du hier wieder raus. Dann bist du zu Hause. Dann bist du sicher…

Was passiert hier grade mit mir?

Meine Gedanken überschlagen sich. Solche nervös-ängstlichen Anwandlungen hatte ich in der Vergangenheit nur vor großen Events. Ach ja, und letztens, als mich eine Freundin in eine Bar einlud und ich als letzte kam. Einfach reingehen, wie jede*r andere Mensch? Locker „dazu stoßen“? Ha! Wie geht das? Wie versteinert stand ich vor der Location – bestimmt eine halbe Stunde lang. Bis ich jedes einzelne Körnchen Mut, das ich zwischen Berlins kaltem Asphaltplatten finden konnte zusammengesammelt hatte. Spaß hatte ich keinen. Anxiety umso mehr. Ein so starkes Gefühl verfliegt nicht einfach so mit dem dritten Drink.

Panik
Foto: Sydney Sims via Unsplash

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Und plötzlich war es wieder da. Auf dem Nachhauseweg, einer Routine-Bahnfahrt. Das war neu und machte mir Angst.

Sag einfach ab. Oder komm früher. Lass dir was einfallen. Wow, wie lächerlich das doch alles ist. Wie lächerlich ich doch bin…

Die Bahn braucht heute länger als sonst. Zumindest fühlt es sich so an. Ich weiß, dass man seine Symptome niemals googeln sollte, aber egal. Ich kann nicht anders. Google sagt: „Social Anxiety Attacken treten meist vor oder während wichtiger Events oder Termine auf.“ Genau wie ich dachte. Okay, das kann es also schon mal nicht sein. Oder? Aber was habe ich dann? Ich lese weiter: „Panikattacken kommen plötzlich und ohne objektiven äußeren Anlass. Oft ist den Betroffenen nicht klar, dass ihre Symptome Ausdruck einer Panikreaktion sind.“ Okay, fuck!

Panikattacken kommen plötzlich und ohne objektiven äußeren Anlass.

Atme weiter. Versuch nicht dran zu denken. Konzentriere dich auf das Hier und Jetzt. Die nächste Station ist meine. Schnell raus! Frische Luft tut gut. Oder doch nicht? Atme einfach und geh weiter, aber langsam. Du hast es gleich geschafft! Der Schlüssel in meiner Hand tanzt schneller, als meine Herzklappe. Ich schließe auf und als ich die Tür öffne, platzt gleichzeitig der Panzer aus Stahl um mein Inneres auf. Ich bin endlich wieder alleine.

Text: Leonie Bergami

Es gibt unterschiedliche Mittel und Wege, Panikattacken und soziale Ängste zu behandeln. Der erste (sicher nicht einfache) Schritt ist der zum Hausarzt.

Alle wichtigen Adressen und Hilfetelefonnummern haben wir hier gesammelt. Die kostenlose Telefonseelsorge ist 24/7 unter der 0800 111 0 111 erreichbar. Mehr Informationen zum Thema gibt die Deutsche Angsthilfe & eine kostenlose Paniksoforthilfe ist hier als Download verfügbar.

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