Cornwall Calling

London vibriert. Selbstverwirklichung, kreatives Studium,
Pop-Ups, Trends und immer ganz nah dran am Puls von morgen. Warum die Bewohner einer der aufregendsten Metropolen Europas aber manchmal genau diesem Rhythmus entfliehen wollen, weiß Blonde-Autorin Jasmin Rocio. Ein Road Trip von London nach Cornwall. 

Donnerstag, später Nachmittag. Wir befinden uns in einem dieser angesagten Großraumbüros, unser Platz ist hier am Bildschirm, unsere Aufgabe irgendwas mit Medien. Im Hintergrund läuft der Livestream eines Surf-Contests am anderen Ende der Welt, eine Hand ruht unauffällig und galant auf dem Handy unter dem Tisch. Via WhatsApp, Facebook oder E-Mail wird über die MagicSeaweed-Wellenvorhersage und Wetterverhältnisse beraten. Die letzten Last-Minute-Online-Bestellungen trudeln gerade ein, das Equipment ist komplett. Heute wird entschieden, ob wir morgen fahren.

Und wir fahren. Wieder einmal ist die Sehnsucht nach dem Meer stärker als die Angst vor Stau. Bretter aufs Dach, die Tasche ist fast noch vom letzten Wochenende gepackt. Dann fahren wir in die Nacht hinein, schleppend innerhalb des M25er-Autobahnrings raus aus London gen Südwesten. Die Rushhour umgehen nur die schlauen Füchse mit genauester Vorplanung der Abfahrtszeit und Route, nicht aber die impulsiven Abenteurer unter uns. Wir verlassen uns einfach auf die Real Time Traffic Information unseres BMW X5 und bleiben spontan. Und so sind wir vier bis manchmal sogar acht Stunden unterwegs. Ultimative Destination: Cornwall.

Wenn man an London denkt, denkt man an sehr vieles, aber nicht ans Surfen, nicht an Outdoor und nicht an Road Trips durch die Nacht mit dem Ziel Ozean, Wellen und vor allem Ruhe. Aber auch oder vor allem Stadtmenschen brauchen manchmal einen Break. Die Gruppe der in Lon-don lebenden Surfer ist eine Dunkelziffer. Über die Jahre wurden viele hier angeschwemmt und es kommen immer mehr dazu. Es gibt mehrere Surf-Vereine, die hauptsächlich Mitfahrgelegenheiten, aber auch Pub- oder Videoabende organisieren. Diese zählen zusammen vielleicht etwa 1.000 Mitglieder.BLONDE-Cornwall-Calling-Jasmin Rocio Heiderich-4

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Eine Zahl, die allerdings nicht die vielen Einzelkämpfer des wöchentlichen Passionspendelns berücksichtigt. Nach London zieht es viele aus Gründen der spannenden und vielversprechenden beruflichen Selbstverwirklichung. Man setzt Prioritäten. Man entscheidet sich für ein Leben in der Stadt. Bis es einen eben wieder an die Küste zieht. Dorthin, wo die Straßen viel zu eng und von Hecken umwachsen sind und der Handyempfang dem Standard der frühen 2000er gleicht.

Im Sommer sind die Wellen kleiner und erreichen oft nur den westlichsten Zipfel Englands. Und so fahren wir, wenn die Tage länger sind, meist nach Sennen, ein Strand eine halbe Meile vom Land’s End entfernt. Spät in der Nacht kriechen wir in unsere Betten, das „Shredmill“-Surf-Hostel ist die späten Anreisen der Hauptstädter gewohnt und nimmt die geschlauchten Gäste geduldig in Empfang. Nach langer Fahrt und einer Overdose Girls Talk beginnt der Samstag dann eher so „zen“. Gestärkt mit einem Avocado-Tomaten-Sandwich im „Shredmill“-Restaurant kann es dann losgehen: Wir haben ein Date mit dem Meer.

 

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Im Frühjahr oder Spätherbst kann man schon mal zu dritt bei perfekten Sechsfuß-Wellen, Offshore-Wind und 14 Sekunden Wellen-abstand im Line-up sitzen. Dann ist es aber schon kein Line-up mehr, sondern eher ein Fließband, wohin sich ab und zu auch mal eine Robbe verirrt. Jetzt hingegen ist es mild, neblig bis sonnenklar. Jetzt sind der Strand und das Line-up gut besucht und das Wasser ist noch bis Oktober warm. Die Touristen sind da, aber die Straßen bleiben leer. „Calm down“ garantiert – das ganze Jahr über.

Wenn wir im Wasser sind, verlieren wir den Sinn für die Zeit. Wir vergessen uns und unseren Alltag. Wir vergessen London. Nur um diesen bunten Vogel zwei Tage später wieder zu umarmen. Denn wir können uns nicht entscheiden und brauchen die Balance zum Glück: den harten Beat der Metropole und die Melodie des Meeres. Nur so wird ein Song daraus, den wir im Auto auf Repeat hören und längst schon mitsingen können. Die Fahrt ist schließlich ganz schön lang. 

Girls on the road: 

Jasmin Rocio // @jazzzminrocio
Liz Black // @yosquared
Shu Han Lee // @mummyicancook
Turid Reinicke // @turid_blondemag

FOTOS: Jasmin Rocio Heiderich
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