Gönn dir Stille: Warum wir schweigen und uns doch nicht dem Gespräch entziehen

Illustration: Laura Binder
Gegen Panikmache und für die Vernunft. Wir wollen, dass ihr euch mehr gönnt und nehmen uns hier die Freiheit, unzensierten Klartext zu sprechen. Dieses Mal: einfach mal die Klappe halten.

Einfach mal die Klappe halten. Das scheint für viele eine große Herausforderung zu sein. Zumindest wenn man einen Blick auf diverse Kommentarspalten im Internet wirft und das Gefühl bekommt, es ist die größte moderne Volkskrankheit, dass Menschen zwanghaft und ungefragt dauernd zu allem ihre Meinung abgeben müssen.

Aber es ist kein Wunder, dass wir uns mit dem Schweigen so schwer tun. Wir lernen, dass Reden helfen soll. Und deshalb werfen wir uns bei jedem Problemchen auf die Couch unserer Freunde und kauen ihnen ein Ohr ab. Und wenn die gerade keine Zeit haben, dann diktieren wir endlos lange Monologe in unser Handy und penetrieren unser Umfeld mit Sprachnachrichten. Wir kommentieren nicht nur Beiträge in sozialen Netzwerken, sondern posten auch fleißig, um dazuzugehören und unser Mitteilungsbedürfnis voll auszuleben.

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Das bedeutet, im richtigen Moment nichts Unpassendes oder Überflüssiges zu sagen und inne zu halten – und das ist oft einfach mehr wert.

Zugegeben, in den aktuellen politischen Zeiten müssen wir mehr denn je unseren Mund aufmachen. Wir brauchen eine Diskussionskultur, wenn Ansichten immer konträrer werden und wir dürfen nicht davor zurückscheuen unsere Stimme zu erheben. Aber gerade unter diesen Umständen müssen wir lernen, welche Kämpfe sich nicht lohnen, verbal ausgefochten zu werden. Ja, der Klügere gibt nach und. Und hält eben die Klappe.

Schweigen muss nicht immer bedeuten, dass man sich einem Gespräch entzieht. Schweigen kann auch heißen, dass man anfängt seine innere Stimme zu hören. Wer schweigt, wird still und kann sich selbst ganz anders wahrnehmen.

Unser Gedankenkarussell dreht sich unendlich schnell. Wenn wir bewusst schweigen, können wir uns darauf konzentrieren eine Runde mitzufahren, oder auch zwei, und aufhören die Gedanken an uns vorbei rauschen zu lassen. Immer wieder hören wir, dass wir uns alles von der Seele reden sollten. Dabei ist es vorher viel wichtiger, darauf zu horchen, was eigentlich alles auf unserer Seele liegt. Wenn wir still sind, intensivieren wir diese Wahrnehmung, können besser sortieren und uns Klarheit verschaffen. Das hat irgendwas mit der inneren Mitte zu tun, die doch alle dauernd suchen.

Wenn wir Situationen erleben, in denen wir uns unwohl fühlen, dann neigen wir dazu mit dem Finger auf jemand anderen zu zeigen. Wir wollen uns selbst einreden, dass nicht wir nichts für diese negativen Emotionen können und lieben das „Du hast Schuld“- Prinzip, das den Egopanzer stärkt und sich leichter aussprechen, als zugeben lässt. Doch anstatt uns von Wut, Angst oder Trauer überfordern zu lassen und sie auf andere schieben zu wollen, sollten wir uns mit diesen Gefühlen auseinandersetzen. Und das klappt am besten, wenn man schweigt und niemandem außer sich selbst mitteilt, was einen gerade runterzieht.

Schweigen ist Yoga für die Seele. Am Anfang muss man sich die Schrittfolge für den Sonnengruß noch merken und fühlt sich albern beim Verrenken, aber irgendwann fließt alles von selbst.

Viele Menschen haben Angst vorm Alleinsein. Denn wer allein ist, hat niemanden zum kommunizieren und ist der inneren Stimme schutzlos ausgeliefert. Da nützt auch die laute Musik nichts, um sie zum schweigen zu bringen oder Gedanken zu verdrängen. Das beste Training, um diese Angst zu besiegen, ist bewusstes Schweigen. Das klappt am besten in den Momenten, in denen du zwar unter Menschen bist, aber dich trotzdem allein fühlst. Dröhn dir nicht dein Trommelfell weg, sondern hör dir an, worüber andere Menschen in der Bahn sprechen. Konzentrier dich nicht darauf, was andere von dir denken können, sondern was du gerade von dir selbst denkst. Und genieße es, mal nicht zu sprechen, sondern nur zu beobachten.

Stille ist nicht nur Lautlosigkeit, sondern auch Nichts-Tun. Und letzteres heißt nach all der ganzen Belastung aus dem Alltag, verschafft uns Schweigen eine Art Entlastung, eine Erholungspause – die immer so lange anhält, bis wir wieder drauf losplappern müssen.

Schweigen ist Yoga für die Seele. Am Anfang muss man sich die Schrittfolge für den Sonnengruß noch merken und fühlt sich albern beim Verrenken, aber irgendwann fließt alles von selbst. Deshalb ignoriert das Fitnessstudio und macht dafür lieber Schweigeübungen. Gönnt euch bewusst die Zurückhaltung, erst zu denken und dann zu reden. Gönnt eurem Sprachorgan eine Pause und übt euch im Zuhören der inneren Stimme. Und vor allem: Hört auf unnötig zu sabbeln und gönnt nicht nur euch, sondern auch eurer Umwelt ein paar mehr schweigsame Momente – denn die bringen euch wirklich voran.

Text: Laura Binder

Dieser Beitrag ist ursprünglich in unserer Ausgabe #046 erschienen.

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