Mann der Mitte: Jannis Niewöhner spricht hier über die Suche nach Liebe, Glück und einem vollen Leben. Warum er dabei manchmal bei philosophischer Phrasen-Harmonie landet und seine steile Karriere fast nebenbei passiert.
Für einen Moment klingen die Worte wie die Sprüche von Wandtattoos. „Im Leben geht es um die Suche, nicht um das Ergebnis“, ähnlich wie das Motto „Der Weg ist das Ziel“. Diese Philosophie ist nicht der Auszug aus einer zeitgenössischen spirituellen Beruhigungsfibel, sondern existierte bereits im Mittelalter. Jedenfalls wenn es nach der Blockbuster-Verfilmung von Hermann Hesses Novelle „Narziss und Goldmund“ geht, die im Frühjahr diesen Jahres in den deutschen Kinos anlief. Darin spricht die Figur des Goldmund die Phrasen so oder so ähnlich aus. Gespielt wird er von Jannis Niewöhner, einem der meistbesprochenen deutschen Jungschauspieler der letzten Jahre. Das passt, denn bei all ihrem Kitsch ist die Philosophie der ewigen Suche eine, die Niewöhner auch privat verfolgt.
Im Moment leben, aber weiter suchen: Jannis Niewöhner als Meta-Mann
Es überrascht also nicht, dass der Schauspiel-Shootingstar grundsätzlich ein Mensch der sympathischen, aber vor allem großen, bedeutungsschwangeren Worte ist. Wenn es im Leben um die Suche gehe, verfolge er selbst darin „Liebe, Glück, Erkenntnis und ein volles Leben“, sagt Niewöhner. Erfolgreich gefunden hat er davon bisher nur Teile, aber auch das gehört zu seinen Lebensphilosophien. „Sobald man glaubt, irgendwas im Leben gefunden zu haben, wird einem klar, dass man es eben noch nicht gefunden hat. Dass man es nur für einen ganz kleinen Moment hatte.“ Die Konsequenz dessen ist für den Schauspieler, im Moment zu leben – noch ein Motto, das in esoterische Richtungen ausschlagen könnte.
Hemd von Teddy Glickman, Hose von J.W. Anderson for Uniqlo, Gürtel von C.P. Company
Weniger wahr macht es das für Jannis Niewöhner nicht. In „Narziss und Goldmund“ fallen noch viele große und weise Sätze, unter anderem der, dass die Angst vor Vergänglichkeit und Tod die Wurzel aller Kunst sei. Und wenn wir in unserer aktuellen Ausgabe schon von Vergänglichkeit sprechen, warum dann nicht auch vom eigenen Lebenskreislauf im Bezug zur Kunst? Dass einen die eigene Vergänglichkeit antreibt, versteht Jannis, ihm ist es jedoch auch wichtig, dabei nicht über besagtes Konzept des Im-Moment-Lebens hinauszuschießen: „Unsere Zeit ist begrenzt. Jeder kennt doch das Gefühl, wenn man sich auf eine Prüfung vorbereitet, das aber im Endeffekt nicht macht und auf einmal hat man nur noch einen Tag Zeit. Dann setzt du dich dran, du funktionierst, bist konzentriert und lebst im Moment. Es geht darum, nicht aus Angst im Kopf gefangen zu sein. Es war schon immer verlockend, nach links und rechts, nach vorne und zurück zu schauen, sich zu vergleichen. Ganz bei mir selbst zu sein ist aber etwas, das ich anstrebe, damit ich meine Kunst am besten ausdrücken kann.”
Links: Hemd von Commas über matchesfashion.com, Hose von Carhartt WIP, Schuhe von Crocs; Rechts: Jacke von J.W. Anderson for Uniqlo, Hemd von Teddy Glickman, Brille von Gentle Monster
Das Motto, sich nicht durch den Vergleich mit anderen, den Wettlauf gegen die Zeit oder bestimmte Karriereziele unter Druck setzen zu lassen, könnte Niewöhner an den jetzigen Punkt seiner Laufbahn gebracht haben. 2019 wird er für seine Rolle in der Serie „Beat“, in der er einen Berliner Techno-DJ im Fadenkreuz der Mafia spielt, für einen International Emmy nominiert. Zum Gewinn führt diese Nominierung zwar nicht, trotzdem dürfte sie ein markanter Schritt im Lebenslauf des 28-Jährigen sein. Er gehört zu einer Art neuer Generation von deutschen Schauspielgrößen, eine Art Masterclass junger Talente. Sein Name wird oft in einem Atemzug mit Emilia Schüle genannt, die auch in „Narziss und Goldmund” spielt, mit Jannik Schümann, mit Jella Haase oder Jasna Fritzi Bauer. Vor ein paar Jahren, da spielte Niewöhner noch in kleineren Formaten oder romantischen Komödien. Jetzt sind Verfilmungen von Novellen und Romanen dazugekommen. Oder Sozialdramen – wie zum Beispiel die Milieustudie „Kids Run“, in der Niewöhner den dreifachen Vater Andi spielt, der mit seiner Identität und der Fürsorge für seine Kinder in ärmlichen Verhältnissen strauchelt.
„Mit manchen meiner Filme können Menschen nichts anfangen“, sagt Niewöhner, „bei anderen Filmen sagen dann wieder welche, dass sie deswegen am nächsten Tag ihren Job an den Nagel gehängt haben.”
Ein Karrieremensch, der die seriöse Filmsparte mit Argusaugen verfolge, ist Niewöhner aber nicht, jedenfalls antwortet er Ähnliches auf meine boulevardistisch motivierte Frage, ob ein Oscar-Gewinn nun der nächste Schritt sei. Trotzdem bekommt der Schauspieler gerne mal Ratschläge zu den Dingen, die in eine solche Next-Step-Kategorie fallen würden: „Das sind zwar nicht immer konkrete Worte, aber mehr so Ratschläge wie ,Du musst mit dem nächsten Projekt mehr in diese Richtung gehen, mach mal dies, mach mal das’. Ideen, bei denen andere einen Plan für dich haben. Besonders wertvoll finde ich jedoch eher, wenn Menschen auf mich zukommen und ehrlich sagen, was sie von einem Film halten. Es geht nicht darum, dass wir uns alle ständig sagen, wie großartig unsere Arbeit ist. Kritik ist nie etwas Negatives, man muss dankbar sein, wenn es einen ehrlichen und nicht verletzenden Umgang mit der eigenen Arbeit gibt.“ An dieser Stelle, gebe ich zu, habe ich versäumt, Jannis Niewöhner in aller Phrasen-Harmonie zu fragen, ob er diese Taktik auch selbst anwendet und welchen Film er zuletzt so richtig, also wirklich, grottenschlecht fand.
Anzug von Uniqlo, T-Shirt von National Geographic, Schuhe von Crocs, Uhr von Casio, Socken von Marc O'Polo
Über die Reaktionen auf sein Werk haben wir aber noch mehr gesprochen. „Mit manchen meiner Filme können Menschen nichts anfangen“, sagt Niewöhner, „bei anderen Filmen sagen dann wieder welche, dass sie deswegen am nächsten Tag ihren Job an den Nagel gehängt haben. Bei ,Kids Run’ sehe ich zum Beispiel, dass es eine echte Erzählabsicht gibt, ein gewisses Milieu und Menschen zu zeigen, die wir von außen beobachten. Sie strahlen viel Aggressivität und gleichzeitig Herz aus. Es steckt viel Liebe und Wärme in diesen Figuren, aber auch Verzweiflung und diese Emotionen haben ja ihren Ursprung. Es gilt nicht, Härte und Aggressivität in unserem Leben abzulehnen, sondern zu verstehen.”
Rollen fernab des Schauspiels – und des eigenen Kleiderschranks: Jannis im BLONDE-Look
Ein solches „Milieu“ von außen zu beleuchten kann ein diskutables Unterfangen sein. Niewöhner aber bereitet sich nach Berufsethos mit intensiver Recherche auf seine Rollen vor. Und in die kann er auch bei unserem Shooting mit Fotografin Debora Brune gut schlüpfen, das, zugegeben, deutlich mehr Modebezug hat als Jannis’ Alltagsgarderobe, wie er selbst sagt. Im Look des 70s-Nerds, in verschiedenen Grüntönen oder im James-Dean-liken Cowboy-Outfit fühlt er sich dennoch wohl, zumindest vor der Kamera. „Das Shooting war eines der angenehmsten, bei denen ich je mitgemacht habe. Manchmal kann es ja auch ziemlich hektisch werden, und wenn es in die Moderichtung geht, kommt für mich manchmal ein komischer Vibe auf, der mir nicht so zusagt – da fühle ich mich dann fehl am Platz. Bei eurem Shooting war es aber eine sehr befreite, spaßige Atmosphäre“, sagt Jannis. Im Gespräch wirkt er selbst genau so. Befreit, entspannt.
Links: Hemd von Stoffbruch, Shorts von Hessnatur, Slides von Crocs, Mütze von C.P. Company; Rechts: Cardigan von Pringle of Scotland, Hose von C.P. Company, Brille von Gentle Monster, Socken von Happy Socks
Hemd von Teddy Glickman
An noch mehr High-Fashion-Looks müsste sich der Schauspieler aber vielleicht gewöhnen, wenn die Karrierepfeile weiterhin nach oben zeigen. In „Narziss und Goldmund“ äußert Jannis’ Figur dazu ein weiteres Mantra, das dieses Mal weniger philosophisch ist als vielmehr idealistisch. Goldmund will alles, nur nicht „reich und kunstfrei“ sein. Für was also entscheidet sich Niewöhner selbst: Hollywood-Glam und Kohle oder Indie-Film und Einzimmerwohnung? „Ich möchte große und kleine Filme machen“, lautet seine maximal diplomatische Antwort. „Genau so liebe ich die Kombi ja auch als Zuschauer. Man sollte immer wieder auf sein Bauchgefühl hören und sich fragen: Warum bin ich angetreten? Welche Geschichten will ich wirklich erzählen? Wann entsteht etwas wirklich aus mir selbst und nicht nur, weil andere Menschen es als gut für mich empfinden?“ Man solle nicht zu viel nachdenken, sagt Jannis Niewöhner, nicht über Oscar-Preise und äußere positive Bewertung. So etwas sollte von Anfang an nicht das Ziel sein, man solle lieber die Arbeit mit Spaß machen. Denn, guess what: Es geht um die Suche, der Weg ist das Ziel.
Fotos: Debora Brune
Styling: Nina Hollensteiner @ Collective Interest
Grooming: Katja Maaßen @ Liganord
Assistenz: Jonathan Zinndorf, Luisa Bocksnick
Jannis Niewöhner @ Peter Schulze Film
Dieser Beitrag wurde ursprünglich am 21. April 2020 veröffentlicht.
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