Die Pariser Band „Ibeyi“ begeistert mit spiritueller Musik und außergewöhnlichem Aussehen. Wir haben die ungleichen Zwillingsschwestern vor ihrem Konzert im Mojo Club getroffen und mit ihnen über ihre Wurzeln gesprochen.
ILLUSTRATION: Joanna C. Schröder
Ibeyi kommt aus der Yoruba Sprache und bedeutet das, was die beiden Schwestern an erster Stelle sind: Zwillinge. An zweiter Stelle sind sie aber einzigartige Künstlerinnen. Lisa und Naomi sind als Töchter des berühmten Percussionisten, Miguel “Angá” Diaz, aus der Latin Jazz Band Bueno Vista Social Club in Kuba geboren und in Frankreich aufgewachsen. Sie haben Musik im Blut und überzeugen so sehr mit ihren souligen Stimmen, dass selbst Queen Bey auf ihrem Instagram Account Support zeigte. Ihr Gesang beamt uns in andere Länder, ihr Sound verbindet klassische Klavierklänge mit Percussion-Beats, ihre Bühnenpräsenz ist gelöst von jeglichem Schnick Schnack. Der Klang steht im Vordergrund.
Lisa und Naomi haben als Kind ihren Vater und später ihre ältere Schwester verloren. „Ibeyi“ haben sie gegründet, um nicht mehr zu streiten und einen Zusammenhalt zu finden. Das erste, gleichnamige Album ist eine Ode an geliebte Menschen und eine Erinnerung daran, dass man Trauer auch in schöne Musik verwandeln kann. Wie die Alchimisten. Ihre Musik ist Gold.
Lisa, die mädchenhaftere der beiden sitzt auf dem Boden, in einem weißen Shirt und einer schwarzen Hose, der Afro ist locker zu zwei Bommel gebunden, die Augen sind wach. Lisa strahlt Ruhe aus, aber wie das Meer kann sich diese Ruhe schnell in eine Energie umwandeln, die sich auf der Bühne als Stimmgewalt äußert. Naomi, der Tomboy, ist verschlossener. Die Haare sind voluminös und lang, ihre Augen, die einer Katze. Man glaubt, sie sei die Schüchterne von den beiden, denn sie überlässt das Reden ihrer Schwester. Sie nennt sich nicht ohne Grund Tochter von „Shango“ (Donner auf Yoruba). Auf der Bühne ist sie ungestüm und bestimmt den Rhythmus. Mit ihrem Cajón. Und wenn sie tanzt.
Woher wusstet ihr, dass ihr Musik machen wollt?
Naomi: Ehrlich gesagt glaube ich, dass wir es schon immer wussten, auch wenn es nicht immer so geklappt hat, wie wir es uns vorgestellt haben. Wir haben beide an einem Musikunterricht teilgenommen aber waren nicht unbedingt die Besten. Ich habe zum Beispiel anfangs sehr falsch gesungen. Meine Mama meinte immer „Naomi, du singst schon wieder falsch“. Es war ganz schlimm!
Lisa: Es ist irgendwie einfach so passiert … Mein Schwachpunkt war klassische Musik. Ich habe Klavier gespielt und es war echt schwer, sich zehn Jahre lang dafür zu begeistern. Genauso wie bei Naomi mit dem Singen. Ich mochte es, aber ich hatte immer das Gefühl, dass das alleine nicht ausreicht. Irgendwann haben wir uns dafür entschieden, zusammen Musik zu machen. Der Auslöser war, glaube ich, der Tod unserer älteren Schwester Yanira vor zwei Jahren.
Welche sind eure musikalischen Einflüsse?
Lisa: Ich mag Jazz. Nein, ich liebe Jazz. Ich liebe Nina Simone, ich liebe Billie Holiday, ich liebe Ella Fitzgerald. Ich liebe Jazz! Das ist das, was ich gelernt habe, Balladen, schöne Kompositionen etc. Aber ich habe mich auch ein bisschen geöffnet und höre seit neuestem auch Musiker wie Fink oder… [Naomi singt ihr ein Lied vor] Bon Iver! Ich liebe auch Jhené Aiko, sie ist so toll.
Lisas Spotify Playlist
Naomi: Ich brauche Rhythmus, mich kriegt man eher mit Trap, Hip Hop und RNB. Zum Beispiel D’Angelo! Oh Mann, er ist so…toll. Ich muss auf die Musik tanzen- und den Rhythmus spüren können.
Naomis Spotify Playlist
FOTO: Joanna C. Schröder
Welche ist eure Muttersprache? Seid ihr denn zweisprachig aufgewachsen?
Lisa: Es hat mit Spanisch angefangen, weil wir anfangs in Kuba aufgewachsen sind, wo alle Spanisch sprechen. Danach sind wir nach Frankreich gezogen und haben dann automatisch auch Französisch gesprochen. Seit wir denken können, sprechen wir beides: Französisch in der Schule, Spanisch zu Hause.
Woher kam die Entscheidung auf Englisch zu singen?
Lisa: Es war mehr ein Gefühl als eine Entscheidung. Es ist sogar passiert, bevor wir überhaupt wussten, dass wir Sängerinnen werden. Unser erstes Lied haben wir mit vierzehn aufgenommen und das war auch schon auf Englisch. Ich glaube, es liegt daran, dass Französisch eine schwierige Sprache ist und wir sehr jung schon gemerkt haben, dass diese nicht flexibel genug ist. Und wir haben schon damals englische Lieder gehört, dadurch wussten wir irgendwie schon immer, dass wir selber auf Englisch singen wollen.
Hat es Euch den internationalen Durchbruch vereinfacht?
Naomi: Es kann helfen. Aber es kommt natürlich auch darauf an, welchen Akzent man im Englischen hat [lacht]. Die Franzosen sind ja nicht gerade dafür bekannt, dass ihr Englisch akzentfrei ist! Wenn der Akzent wirklich schlecht ist, bringt es nichts auf Englisch zu singen, um berühmt zu werden. Dann sollte man lieber bei der Muttersprache bleiben. Wie Stromae zum Beispiel – er singt auf Französisch und Amis lieben ihn, obwohl sie nichts verstehen!
Lisa [unterbricht ihre Schwester]: Es hat einen Vorteil und einen Nachteil. Der Vorteil ist, es funktioniert! Jeder versteht, was man sagen möchte, was auch Ziel unserer Musik ist. Wir waren aber auch alle mal Kinder und haben Lieder auf Englisch gehört, die wir gefühlt haben, obwohl wir sie nicht verstanden haben.Der Nachteil ist aber, dass fast alle Künstler heutzutage auf Englisch singen und schreiben wollen. Es ist sehr schwer da herauszustechen und jeder hat es schonmal versucht. Entweder man schafft den Sprung und es ist stimmig, so wie bei Björk, deren Akzent im Englischen zum Markenzeichen geworden ist, oder es ist einfach schrecklich und peinlich.
Naomi: Stell Dir vor wir würden auf Englisch mit französischem Akzent singen „Wher iz ze loveuhh?“ [lacht]. Es wäre schrecklich. Ich glaube auch, dass Stromae sich deswegen für Französisch entschieden hat, sein Akzent ist richtig schlimm [grinst].
Lisa: Trotzdem sind wir seine größten Fans! Er ist einer der wenigen, die es geschafft haben, soviel durch Musik zu kommunizieren. Er nutzt starke Visuals, besondere Tanzschritte und selbsterstellte Beats, um mit dem Publikum warm zu werden. Stromae ist mehr als ein Sänger, er ist ein Schauspieler.
Ihr singt auf Englisch und Yoruba. Das ist fast schon zu eurem Markenzeichen geworden. Oder gibt es andere Sänger, die in Yoruba singen?
Naomi: Ja! Asa.
Lisa: Der einzige Unterschied ist: Asa schreibt und singt tatsächlich auf Yoruba. Wir benutzen nur die alten Gebete. Die Sprache kommt ursprünglich aus Nigeria und Benin, wo sie heute noch gesprochen wird. In Kuba ist sie das Erbe der schwarzen Sklaven und wird heutzutage nicht mehr gesprochen.
Versteht ihr die Gebete?
Naomi: Wir verstehen, an wen diese gerichtet sind und können auch ein paar Wörter sprechen, aber wir könnten keine Sätze daraus bauen.
Habt ihr das Yoruba-Erbe von eurem Vater?
Naomi: Ja.
Lisa [schaut sie fragend an]: Und von unserer Mutter. Das Erbe kommt von unserem Vater, aber unsere Mutter hat es am Leben erhalten. Um die kleine Geschichte zu erzählen: Unsere Mutter ist mit achtzehn auf Yoruba-Gebete gestoßen und hat somit die Kultur und die Sprache entdeckt. Ein paar Jahre später hat sie unseren Vater kennengelernt und hat sich verliebt. Sie hat uns dann, als wir Teenager waren, dazu gebracht, an Yoruba-Gesangsunterricht teilzunehmen. Unser Lehrer war (und ist immer noch) Orlando Poleo, ein bekannter Percussionist. Er hat uns überzeugt.
Naomi: Wir sind mit den Gebeten aufgewachsen, wir haben sie schon als Kind gehört. In Kuba, genauso wie in Frankreich. Wir haben nie darauf geachtet, aber sie waren schon immer da! Wir haben gerne dazu getanzt, wollten die Lieder aber nicht unbedingt lernen.
Was hat euch dazu bewegt, diesen Schritt dann doch zu gehen?
Lisa: Ich glaube, es war wirklich die Liebe zu den Liedern. Das erste Mal als meine Mutter meinte, „Komm mit zum Yoruba-Unterricht“, wollte ich auf gar keinen Fall hin. Und beim zweiten Mal war ich verliebt!
Naomi: Und ich bin ihr dann gefolgt. [lacht]
Zwillingsschwestern faszinieren mich immer. Wie ist eure Beziehung? Seid ihr euch ähnlich?
Beide: Oh nein, wir sind SEHR verschieden!
Lisa: Gegensätzlich sogar. Es ist nicht einfach, weil wir zusammen arbeiten. Aber wir sagen es in fast allen Interviews: „Ibeyi sind unsere Unterschiede, die miteinander verbunden werden. Es sind zwei Universen, die sich anschließen. Das macht Ibeyi aus und deswegen lieben wir Ibeyi.“
Naomi: Wir sind Ying und Yang. Wir sind so unterschiedlich, dass genau das unsere Stärke ist. Wir streiten sehr oft. Vorher und nachher. Aber wenn wir auf der Bühne sind, sind wir eins. Sie ist die Stimme, ich bin der Rhythmus.
Ibeyi – River from Stefan Susemihl on Vimeo.
Mehr unter: ibeyi.fr
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