Ihre eigene Welt werde sie nie verlassen, verrät Sängerin La Roux. Schon gar nicht für Las Vegas

Foto: Ed Miles
Heute erscheint La Rouxs neues Album „Supervision”. So ein Titel kann Überwachung bedeuten, Aufsicht, oder Kontrolle. Warum die Sängerin Kontrolle gern allein ausübt und sie in Las Vegas doch fast verloren hätte, erklärt sie im Interview.

Eigentlich wollte ich mit Elly Jackson a.k.a. La Roux über Zeit sprechen. Zeit ist ein dankbares Thema, wenn jemand vier Jahre lang keine Musik mehr veröffentlicht hat. Eine solche Pause kann in der heutigen Entertainment-Branche schon gerne mal eine Karriere begraben; für vier Jahre Stille haben sich Künstlerinnen wie Adele schon öffentlich entschuldigt. Elly Jackson, die vor über 10 Jahren als La Roux mit „Bulletproof” ihren größten Hit feierte, zieht außerdem vor, ihr Privatleben unter Verschluss zu halten – keine Chance für PR-Skandale als Lückenfüller der Karriere. Zwischen ihren ersten beiden Alben lagen übrigens auch schon mal vier Jahre, gefüllt von Wandel zu den 80er-inspirierten Sounds ihrer heutigen Songs. In den Berichten zu ihrer neuen, ausgereiften LP „Supervision”, die heute erscheint, wird diese Zeitspanne dennoch gerne mal ignoriert. Und weil die Zeitrechnung der Elly Jackson scheinbar so ganz anders zu verlaufen scheint, wollte ich mit ihr trotzdem über das große Z-Wort reden. Am Ende wird es ein Gespräch, das mehr von vermeintlicher Eigenbrötelei spricht als von Zeit. Eines, das erst ärgerlich klingt, aber eigentlich behutsam ist, und reflektiert. Es sei denn, es geht um Las Vegas.


Foto: Ed Miles

Elly, für was hast du heute morgen am längsten gebraucht?
Ich habe ein langes Bad genommen, das ist für mich der beste Start in den Tag. Zu Duschen wäre mittlerweile das Schlimmste. Von meiner Wanne aus habe ich eine wundervolle Aussicht auf meinen Garten – by the way: Ich liebe meinen Garten. Nach dem Bad habe ich einen klaren Kopf und Gedankenfluss. Und wenn ich an einem Tag mal kein, oder nur ein sehr schnelles Bad nehmen kann, merke ich, dass es einfach nicht dasselbe ist. Meine Arbeit und meine Gedanken werden von Schnelligkeit bestimmt und das ist ein Moment für mich, an dem ich die Zeit kurz zum Stillstand bringen kann.

Das klingt „entschleunigt”. Dein neues Album „Superivision“ hast du aber innerhalb von vier Monaten geschrieben und in nur zwei Wochen aufgenommen. Werden Dinge manchmal doch nicht besser, wenn man sich Zeit lässt?
Beim Dreh eines Hollywood-Films oder dem Schreiben eines Buchs verstehe ich sehr gut, dass man sich Zeit nehmen muss, um alles gut hinzubekommen. Manchmal frustriert mich das Gerede über Zeit aber auch, weil es so rüberkommt, als brauchte ich besonders lange für meine Projekte. Damit meine ich jetzt nicht etwa deine Frage; versteh mich nicht falsch: Ich bin eine Perfektionistin, die gerne die Kontrolle über alles behält. Es sagt aber rein gar nichts über mich und meine Arbeit aus, wenn ich mir mehr Zeit für Dinge nehme. Ideen haben trotzdem eine natürliche Lebenszeit und es ist wichtig, diese nicht auszureizen. Man fällt sonst in ein mentales Loch und kann den eigenen Instinkten nicht mehr vertrauen. In der Musikbranche sind die Instinkte für die eigene Arbeit sehr entscheidend. Es verursacht blanken Schmerz, zu viel nachzudenken. Musik zu oft zu hinterfragen ist mehr als kontraproduktiv. Ich habe das bei vielen Songs miterlebt: Eine Aufnahme wird nicht besser, wenn man mehr oder weniger daran arbeitet. Ich versuch nie länger als ein paar Tage an einem Song zu sitzen.

Du hast mal gesagt, dass du anderen Menschen in der Vergangenheit zu viel Kontrolle über deine Arbeit gegeben hast. Anderen Leuten gerecht zu werden kostet ebenfalls Zeit. Bist du produktiver, wenn du egoistisch bist?
Gerade als Frau bekommt man in dieser Branche ziemlich schnell Paraonoia, zu besitzergreifend zu sein. Und hierbei geht es nicht um Sexismus. Dieses Thema langweilt mich aber schon fast. Nicht, weil es nicht wichtig wäre, aber es gäbe so viele interessantere Ansätze, darüber zu sprechen. Die Angst davor, egoistisch zu sein, führt jedenfalls dazu, dass dir die Kontrolle aus den Händen gleitet. Und das ist ungesund. Ich bin mir aber sicher, dass das mir früher passiert ist. Ich habe mir damals viel zu viele Gedanken darum gemacht, keine „Bitch“ zu sein. Es ist ziemlich schwierig, jemandem zu sagen „nein, wir machen das ganz anders und wenn du das nicht willst, dann arbeite mit jemand anderem“. Wenn ein Mann eine solche Aussage trifft, respektieren ihn Andere und gehen davon aus, dass er die professionellere Meinung hat. Sobald eine Frau jedoch so etwas sagt, ist sie eine Bitch. Das ist die Realität. Viele Leute glauben, ich sei eine Bitch, weil ich nicht mit ihnen arbeiten möchte. Ich bin es aber wirklich, wirklich nicht! Ich liebe es, mit Menschen zusammenzuarbeiten, aber ich hasse auch, deswegen Abstriche machen zu müssen. Mir ist es schon viel zu oft passiert, dass aufgrund einer Zusammenarbeit irgendetwas schief lief. Das Schlimmste daran ist, dass ich einfach niemanden mehr trauen kann, nicht einmal meinen Freunden. Ich nehme Wünsche zur Zusammenarbeit als großes Kompliment, aber ich kann diesen Wunsch einfach nicht mehr erfüllen. Sobald du Personen auch nur ein Stückchen die Tür öffnest, werden sie die Tür immer weiter auftreten wollen. Ich muss den Leuten dann klar machen: Nein, ich möchte nicht, dass du mein Produzent wirst, nein, ich möchte nicht, dass du der Co-Master wirst. Und das nur, weil ich eventuell so etwas gefragt hatte wie: „Hey, könntest du mir bei dieser Liedstelle helfen?“. Das bedeutet nicht, dass ich diese Personen jetzt als meine Arbeitspartner haben will.

„Viele Leute glauben, ich sei eine Bitch, weil ich nicht mit ihnen arbeiten möchte. Ich bin es aber wirklich, wirklich nicht! Ich liebe es, mit Menschen zusammenzuarbeiten, aber ich hasse auch, deswegen Abstriche machen zu müssen. Sobald du Personen auch nur ein Stückchen die Tür öffnest, werden sie die Tür immer weiter auftreten wollen.”

Wer alles allein machen will, steht unter großem Druck. Feedback, egal ob positiv oder negativ, fällt ganz allein auf dich zurück. Das kann ziemlich belastend sein. Siehst du das anders?
Nein, ich stimme dir total zu. Bevor ich dieses Album gemacht habe, war ich auch noch ein wenig mehr in dieser Fuck-Off-Phase. Mit dem Produzenten Dan Carey aber war das Arbeiten ganz anders, er ist eine andere Hausnummer. Ich habe mit vielen Leuten gearbeitet, die sich selbst nicht zu hundert Prozent akzeptieren und gelernt, dass es einen großen Unterschied macht, ob jemand dich braucht oder dich bloß mag. Eine Person, die dich braucht, wird dich immer brauchen. Eine Person, die einfach dich und deine Arbeit mag, die dich als Künstlerin akzeptiert und respektiert, wird niemals etwas von dir nehmen wollen. Dan Carey ist so eine Person für mich. Wir kennen uns sein 10 Jahren, sind wirklich gute Freunde und leben sehr nah beieinander. Er versteht meine Arbeit und meine Arbeitsweise. Ich würde nicht einfach in die USA fliegen und dort mit jemanden arbeiten, den ich vorher noch nie in meinem Leben gesehen habe. Ich muss mich vorher mit einer Person sehr gut verstehen und sie muss nachvollziehen können, woher ich komme und wie meine Lebensweise ist. Bei Dan stimmt alles überein. Er hat einen wirklich guten Punkt herausgestellt: Der Unterschied zwischen mir und Anderen ist, dass ich nicht die Person bin, die die Hilfe von Anderen möchte oder etwa braucht. Ich brauche weder deine Band, deine Musik noch deine Schreib-Skills. Ich bin schon sehr gut ohne all das ausgekommen, ich habe Alben von acht Bands pro Jahr produziert. Wenn Dan und ich etwas gemeinsam produzieren, weiß ich, dass es keine Probleme geben wird, weil er meine Arbeit als Nebenprojekt sieht. Er ist mir und meiner Arbeit gegenüber trotzdem sehr beschützend und lehrt mich, das ebenfalls zu sein. Sein Name muss dafür nicht überall stehen, das hat er nicht nötig.

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Okay, vielleicht sprechen wir doch nicht nur über Zeit, sondern auch Zusammenarbeit. In der Vergangenheit hast du mit Kanye West gearbeitet und mit Tyler, The Creator an seinem aktuellen Album. Mir geht es an dieser Stelle nicht darum, was du aus dieser Collab gelernt hast, sondern vielmehr, was die anderen Künstler aus der Kooperation mit dir mitgenommen haben?
Das war sehr unterschiedlich, bei beiden war es aber weniger eine Zusammenarbeit im „gemeinsamen” Sinne. Bei Kanye habe ich an der Textarbeit überhaupt nicht mitgewirkt. Ich war aber fasziniert davon, dass solch große Künstler in meiner Stimme das gefunden haben, was sie für ihre Aufnahmen gesucht haben. Als ich hörte, dass Kanye mit mir zusammenarbeiten wollte, war das natürlich eine krasse persönliche Erfahrung, aber auch in künstlerischer Hinsicht eine faszinierende Chance. Er fragte mich sogar, ob ich noch Änderungen an seiner Melodie oder dem Beat vornehmen würde. Ich hätte sie aber niemals besser machen können, beides war fucking awesome. Also fingen wir direkt mit dem Singen an und er gab mir ein paar Richtungen vor. Zum Beispiel wollte er, dass ich in amerikanischem Englisch singe, was erst ein wenig ungewohnt und komisch war. Jetzt aber singe ich von mir selbst aus viel mehr so. Tyler wiederum hat mir einfach den Acapella-Teil seines Songs per SMS geschickt. Dann musste ich sehr vorsichtig nachvollziehen, was er schon vorgearbeitet hatte, denn alles war schon in seinem weirden Vocoder-Style eingesungen. Ich habe dann meinen Teil aufgenommen, produziert und ihm noch am selben Tag die Aufnahme zugeschickt.

„Für mich ergibt die Welt der Stars einfach keinen Sinn, ich habe keinen Bezug dazu. Seit ich 17 war, habe ich meine eigene Welt nicht mehr verlassen und ich werde sie auch nie verlassen wollen. Ich wohne noch immer in der Nähe meiner Eltern und gehe jeden Morgen durch den selben Park, durch den ich schon auf meinem Schulweg gehen musste. Das ist der Kern, aus dem ich all meine Macht schöpfe.”

Wie bemerkst du, ob jemand eine Person ist, mit der du arbeiten möchtest? Brauchst du dafür einen bestimmten Zeitraum, um die Person kennenzulernen, oder ist es eher ein intuitives Gefühl?
Mir ist es wichtig, dass man auch außerhalb des Musikgeschäftes und der Arbeit miteinander befreundet ist, und zwar so, dass man sich als echte Freunde bezeichnen kann. Dass man sich auch abgesehen von der Musik als Vertraute oder als Bruder oder Schwester betiteln kann, und nicht nur aufgrund von Zusammenarbeit oder zu PR-Zwecken. Das ist auch der Grund, warum man mich nie mit Celebrities wie Musikern oder Schauspielern sieht und wenig über mein Privatleben erfährt. Für mich ergibt die Welt der Stars einfach keinen Sinn, ich habe keinen Bezug dazu. Seit ich 17 war, habe ich meine eigene Welt nicht mehr verlassen und ich werde sie auch nie verlassen wollen. Ich wohne noch immer in der Nähe meiner Eltern und gehe jeden Morgen durch denselben Park, durch den ich schon auf meinem Schulweg gehen musste. Das ist der Kern, aus dem ich all meine Macht schöpfe. Wenn ich mich in einem Moment mal einsam, verwirrt oder deplatziert fühle und nach Hause komme, wandeln sich die Gefühle in Freude und Aufregung um. Ich bin dann auf einem anderen Planeten und fühle mich, als ob mir Nichts etwas anhaben könnte. Selbst wenn ich nur für einen neuen Song-Part in meinem Studio in London bin kommt es mir vor, als ob ich eine Hürde überwinden muss. Oftmals kann ich es nicht. Ich bin so sensibel, wenn es um meine Umgebung und die Menschen darin geht, um deren Moral und Prinzipien. Ich muss das alles verstehen, um mich wirklich wohl zu fühlen. Wenn ich es nicht verstehe, fühlt es sich wie ein Kontrollverlust an. Dann flippe ich aus.

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Du verlässt deine Komfortzone also wirklich nur sehr ungern?
Ja, total. Als ich zum Beispiel nach Las Vegas flog, habe ich stundenlang geweint. Ich konnte mit der Situation einfach nicht umgehen. Mein Manager war ratlos.

Was ist in Vegas passiert?
Ich hatte das Gefühl, die Menschen dort hatten bloß düstere Gedanken. In meinem Hotel fand eine Party statt, für die der Eintritt 200 Dollar kostete. Alle trugen bunte Shorts, Strandklamotten und liefen mit Drinks in roten Plastikbechern für je 20 Dollar herum. Auf der Party wurden die schlechtesten EDM-Songs überhaupt gespielt, und das zehn Stunden lang. Man hat sich dort extra Hotels gebucht, in denen man rauchen durfte, da die Besucher eh alle frische Luft aus den Räumen aussaugten. Ich verstehe diese Form von Party nicht, ich bin eher altmodisch und kann mit dieser modernen Art der Ekstase nichts anfangen. Es ist wie eine Spirale, in die du dich begeben musst: Du bist auf diesen Partys, die eigentlich Massenveranstaltungen sind und dir nicht unbedingt gefallen, aber trotzdem sind dort alle wichtigen Personen vertreten, mit denen du dein Instagram-Profil aufwerten kannst. Also gehst du hin. Als ich da war, fragte ich mir einfach nur: „Was zur Hölle ist falsch mit diesen Menschen?“ und „Wie kann man sich bloß hier, in dieser Umgebung, freiwillig aufhalten wollen, wenn man überall anders sein könnte?“. Es ist dort so unglaublich teurer, für das Geld könnte man auf die Spitze der schönsten Berge klettern, die atemberaubendsten Wasserfälle in Sri Lanka besuchen oder so viele andere wundervolle Orte dieser Erde. Dass Menschen stattdessen lieber solche Orte aufsuchen, bereitet mir ehrlich gesagt große Sorgen.

La Rouxs neues Album „Supervision“ ist 2020 über Supercolour Records erschienen. Für die nächste Zeit will die Künstlerin wieder mehr Zeit an ihrem Heimatort und im Londoner Studio verbringen – dort arbeitet sie bereits an einem weiteren Album, für dass sie die erste Hälfte bis Ende diesen Jahres fertiggestellt haben will. 

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