Wir Millennials sind nicht beziehungsunfähig. Wir wissen nur, was wir wollen

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Millennials, die hoffnungslosen Egomanen mit Bindungsängsten. Wirklich? Credit: Yared Leura via Unsplash
Wir sind beziehungsunfähig, sagen sie. Zu den Akten haben sie uns gelegt: Millennials sind die hoffnungslosen Egomanen mit Bindungsängsten. Wirklich?

Text: Turid Reinicke

Ich muss sagen, ich bin kein großer Fan von Motto-Shirts. Mit textiler Kategorisierung meiner selbst tue ich mich schwer. Aber ein Shirt mit Spruch auf der Brust hat es doch in meine Garderobe geschafft: In roten Lettern steht auf weißem Textil „romantic but tough but romantic“. Das spricht mir aus der Seele. Weil es den Zeitgeist unseres Liebes­le­bens so schön beschreibt. Wir Millennials sind nicht beziehungsun­fä­hig, wir wissen nur, was wir wollen: Love, Baby!

Okay, die Statistik spricht gegen uns. Die Heirats- und Geburtenraten sind abfallend. Die Hookup Culture ist auf dem Vormarsch: Wir reißen auf und lassen fallen. Langfristige Bindungen machen uns Angst. Lieber wischen wir uns un­ver­bindlich von einer Affäre zur nächsten. Millennials sind unfähig zu lieben. Das klingt dramatisch und macht sich gut als Schlag­zeile für das große Kopf­schüt­teln der vorangegangenen Generation. Aber stimmt das überhaupt? 

Wenn man noch mal genauer hinsieht, be­le­gen die Zahlen eigentlich nur eines: Unsere Generation liebt nicht weniger, sondern nur anders. In erster Linie haben wir eines gewonnen: Zeit. Ja sagen wir, wenn überhaupt, mit durchschnittlich 30 Jahren und auch das erste Kind fällt immer öfter in die Thirtysomething-Dekade. 

Wir Millennials sind nicht
beziehungsunfähig, wir wissen nur,
was wir wollen: Love, baby!

Und das soll jetzt schlecht sein? Nein, versichern optimistischere Experten: Die Sehnsucht nach einer festen Bindung ist ungebrochen groß, gewachsen sind allerdings auch unsere Ansprüche. Mit einem Partner, der allenfalls okay ist, gibt sich heute kaum noch jemand zufrieden und ebenso wenig mit der undankbaren Rolle der heimlichen Geliebten. Dazu bietet die digitale Vernetzung eine zu große Optionalität und auch das weibliche Selbst­bewusstsein ist sich für zweite Geigen und halb gares Glück endgültig zu schade. Prinzipiell also durchaus eine Wendung zum Positiven und hin zur Selbstbestimmung. Die Folge: Romantik 2.0.

Während rote Rosen, Schmusen und feste Beziehungen lange Zeit eher als Party-Bummer galten, darf es heute wieder „Romeo und Julia“ sein, und zwar so richtig. Ro­man­tik bedeutet nicht länger Unter­ord­nung, Gesichtsverlust und Angreifbarkeit, son­dern bekommt in Zeiten der gleichge­stell­ten Partner­schaft ein lang ersehntes Image-­Upgrade. Upgrading beschreibt auch unsere neue Sicht auf die Liebe ganz treffend. Unserer Ge­neration wurden allerlei Möglichkeiten in die Wiege gelegt, deren Nutzung fast schon zu einem Zwang geworden ist. Wissenschaftler erkennen einen Optimierungswahn im Handeln der nach 1980 Geborenen und auch vor der Liebe macht der kei­nen Halt. Millennials suchen den perfekten Lover. Auch eine gute Schlagzeile. Und zudem: wahnsinnig romantisch, oder?

Während rote
Rosen, Schmusen und feste
Beziehungen lange Zeit eher als Party-Bummer galten, darf es
heute wieder
,Romeo und Julia‘
sein, und zwar so richtig.

Denn eigentlich ist es doch genau der Glaube an die ganz große Liebe, der Märchenprinzen, Singer-Songwriter und Herzkeksbäcker seit jeher angetrieben hat. Wir suchen also nach wie vor etwas, das es vielleicht gar nicht gibt, und dürfen uns dafür auch wieder ordentlich ins Zeug legen. Ganz ohne Scham. Rosenmotive und Volants zieren Modekollektionen, leuchtende Neonherzen schmücken Hipster-Wände und Motto-Shirts dürfen von Liebe sprechen. Lösen wir jetzt etwa sämt­liche 90’s-Coolness in Weichspüler auf? Eben nicht. Wir sind selbstbewusst genug, um Kitsch zu handeln. Überschäumende Emotionen sind keine Schwäche, sondern mutig. Und das gilt natürlich unabhängig vom Geschlecht. Ob Herztattoos, florale Muster oder Rüschen – auch der Style der Romeos darf sich 2018 gerne auf die lange umschiffte weiche Seite berufen. Genau das ist ebenfalls Teil des neuen Feminismus. Nicht nur die Rolle der Frau wird von der jungen Generation neu definiert, sondern auch die des männlichen Konterparts. Wir wollen, dass Beziehungen uns voranbringen und zwar gegenseitig. Klar, dass es da um Unterstützung, aber ebenso Selbstverwirklichung geht. Und das kann und darf zum Beispiel auch immer lieber die umsorgende Vaterrolle in Familienkonstellationen sein. Mehr und mehr junge Männer beantragen Elterngeld und das Bild des emotionslosen Karrieristen hat abgedankt. Stu­dien zur Zukunft der Generation Z, also der nach 1995 Geborenen, machen nämlich vor allem eines deutlich: Den ganz Jungen ist ihr Privatleben wichtiger denn je. Beruf und Freizeit werden strikt getrennt und Überstunden sowie Führungspositionen vermieden. Super, denn wofür bleibt dann in Zukunft mehr Zeit? Genau, für Liebe und Romantik zum Beispiel – ob mit oder ohne T-Shirt! 

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