Wollen oder können Frauen keine Alphaweibchen sein? Wir haben drei Peronalities gefragt.
Foto: Friederike Dejan
Alphatiere sind in der Regel die stärksten, erfahrensten und aktivsten Tiere der Gruppe und werden deshalb zum Anführer auserkoren. Bei den Stieren ist es der Leitbulle, bei den Gorillas der Silberrücken und bei den Menschen offensichtlich der Mann – zumindest wenn man einen Blick auf die Zahlen der männlichen Führungskräfte in Deutschland wirft. Das statistische Amt der Europäischen Union zeigt, dass Frauen 2017 zwar die Hälfte aller Beschäftigten in der EU ausmachen, aber nur mit 35 Prozent in den Führungsetagen der Unternehmen vertreten sind. In Deutschland sind es sogar nur 22 Prozent, wir belegen damit einen der letzten Plätze im EU-Vergleich. In der deutschen Gründerszene sieht es ähnlich aus: Der Frauenanteil liegt bei 13,9 Prozent und damit ebenfalls unter dem europäischen Durchschnitt von 14,7 Prozent. Woran liegt es, dass sich so wenige Frauen im Chefsessel finden lassen? Ist das einfach nicht ihr natürlicher Lebensraum? Wollen oder können sie kein Alphaweibchen sein?
Warum geht die Gesellschaft davon aus, dass Frauen keine guten Chefs sind?
Jüngst hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer Studie aufgezeigt: Der Großteil der weiblichen Chefs ist kinderlos und lebt allein. Obwohl die Studie belegt, dass in Bezug auf eine gute Bildung Männer und Frauen dieselbe Ausgangslage haben, verdienen Frauen bei gleicher Tätigkeit immer noch weniger als ihre männlichen Kollegen. Das DIW schlägt vor, dass Frauen von Anfang an besser in die Karriereförderung miteinbezogen werden und nicht nur aufgrund der Tatsache, dass sie Kinder bekommen könnten, auf eine gesellschaftliche Rolle reduziert und damit aus der Chefetage verbannt werden. Doch wollen wirklich alle Frauen Kinder bekommen? Lassen sich Familienplanung und Beruf nicht dank unserer modernen Welt problemlos miteinander verbinden? Und warum geht die Gesellschaft davon aus, dass Frauen keine guten Chefs sind? Laut norwegischen Forschern sind Frauen deutlicher in ihrer Kommunikation, aufgeschlossen für Innovationen und Änderungen, gewissenhafter und besser darin, ihr Team zu fördern. Im Gegenzug können Männer besser mit Stress umgehen und machen sich nicht so viele Sorgen. Pauschal können aber weder die Sorgenfalte auf der Stirn noch der weibliche Uterus der Grund dafür sein, warum Frauen in Führungspositionen eine Seltenheit sind. Jahrelang waren Männer die Entscheider, doch in den letzten Jahrzehnten haben Frauen viel mehr Freiheiten erlangt, sich selbst auch beruflich zu verwirklichen. Warum zögern so viele, die Karriereleiter bis zur Spitze zu erklimmen? Haben sie Angst, dort oben einsam zu enden? Oder sind ihre Bedingungen so erschwert, dass sie gar keine Wahl haben?
Filme wie „Der Teufel trägt Prada“ gaukeln uns vor, dass eine Frau nur dann mächtig ist, wenn sie von anderen gefürchtet wird.
Rollenklischees und Vorurteile vermitteln, dass Frauen das Machtgerangel scheuen, nicht risikofreudig sind oder sich nicht richtig durchsetzen können. Filme wie „Der Teufel trägt Prada“ gaukeln uns vor, dass eine Frau nur dann mächtig ist, wenn sie von anderen gefürchtet wird. Schon seit einigen Jahrzehnten versuchen Experten herauszufinden, mit welchen Karriereblockaden Frauen konfrontiert werden – oder ob es ihnen an Mut, Leidenschaft und Kampfgeist fehlt. Schließlich gibt es erfolgreiche weibliche Vorbilder, die ihren Weg nach oben gemacht haben und damit der Beweis sind, dass die Arbeitswelt nicht nur für Männer reserviert ist.
Wir haben uns gefragt: Können oder wollen Frauen nicht? Was muss man tun, um sich seine Karrierewünsche zu erfüllen? Und was denkt unsere Generation über Frauen? Drei junge Menschen setzen auf das Zeitalter einer neuen Aufklärung, räumen mit Vorurteilen auf und erzählen, warum Selbstbewusstsein eine gute Basis ist.
Moshtari Hilal
In ihren Porträts konfrontiert die freischaffende Künstlerin aus Hamburg die Gesellschaft mit ihrer Sicht auf die Welt. Auch sonst ist konventionell nicht ihr Ding: Statt Kunst studierte sie Islam- und Politikwissenschaften und stellt auf Instagram statt in Galerien aus.
„Dein Geschlecht bestimmt nicht deine Führungsfähigkeiten. Man sollte nicht annehmen, dass alle Frauen dieselben Eigenschaften und Charakterzüge haben, denn wir werden erst durch die Sozialisierung zu den Menschen, die wir sind. Würden wir jungen Mädchen die Möglichkeit zu mehr Selbstbewusstsein und Macht geben und ihnen mehr Verantwortung übertragen, dann würden sie sich in der Boss-Rolle auch wohl fühlen und sie als selbstverständlich annehmen. Es ist ein Mythos, dass alle Frauen fürsorglich und selbstlos seien. Es gibt auch Herrschsüchtige oder Gewalttätige. Ich glaube nicht daran, dass es genetisch bestimmt ist, wie fähig du bist, Macht zu übernehmen. Da spielen Erziehung, Bildung und auch der Zufall mit rein. Das Einzige, was Frauen von Männern auf dem Karriereweg unterscheidet, ist die Fähigkeit, Kinder zu bekommen, denn im Falle einer Schwangerschaft fällt man als Frau für eine gewisse Zeit aus. Deshalb streben bestimmt viele erst gar keine steile Karriere oder Führung an, da sie wissen, sobald sie ein Kind bekommen, verschieben sich die Prioritäten und sie müssen sich selbst zurücknehmen.
Wir merken nur nicht, dass wir die Fäden schon in den Händen halten
Es sollte aber keine Frau eingeschränkt werden, wenn sie aufgrund dessen nicht in Betracht gezogen wird für eine höhere Position, obwohl sie sich dafür bewirbt. Wir haben dieses total beschränkte Bild, dass nur Arbeit, die mit Geld entlohnt wird, auch als solche wahrgenommen wird. Die Organisation des Familienlebens, des Haushalts oder die Kindererziehung ist auch Arbeit und geht mit Verantwortung und Macht einher. Würden wir unseren Blick erweitern, würden wir erkennen, dass Frauen bereits sehr viele Aspekte des gesellschaftlichen Lebens kontrollieren und am Laufen halten. Wir sind uns nur nicht bewusst, dass wir als Frauen die Fäden bereits in den Händen halten. Unser Bild der Frau als stets gefällig und gefügig entspringt dem Wunsch, von allen gemocht zu werden. Jüngeren ist es wichtiger, attraktiv zu sein, als mit Männern zu konkurrieren. Das liegt daran, dass die ersten Komplimente, die junge Mädchen bekommen, mit ihrem Aussehen zu tun haben. Ginge man eher auf die Leistung ein als nur auf Äußerlichkeiten, würde sich nicht nur das Selbstbild verändern, sondern auch die Wahrnehmung von Frauen in der Gesellschaft. Für mich ist absolutes Boss-Verhalten, keine Kompromisse einzugehen, wenn es um die eigene Vision und Integrität geht. Es ist wichtig, dass man nie etwas tut, zu dem man nicht stehen kann. Frauen sollten mehr Raum einnehmen und nicht immer um Erlaubnis bitten. Und als Chefin dürfen sie sich nicht davor fürchten, Kritik zu üben und sich auch mal unbeliebt zu machen.“
Sxtn – Nura und Juju
Das Hip-Hop-Duo aus Berlin mischt die Musikszene mit provokanten Texten und Hooks auf, die vor stilistischen Beleidigungen strotzen. Ende 2015 veröffentlichten die zwei Frauen das Debütvideo zu „Deine Mutter“ und wetteten noch darum, ob es 15.000 Klicks erzielt. Heute sind es über 1,3 Millionen Aufrufe und spätestens das zweite Album „Leben am Limit“ (2017) ist der Beweis, dass Rap keine reine Männersache ist.
Instagram: @sxtnmusik
„Bestimmt sind viele Frauen bossy genug, andere aber müssen diese Eigenschaft erst in sich finden und Selbstbewusstsein tanken: Wir werden zwar als Frauen geboren, aber die äußeren Faktoren hindern uns daran, Boss zu sein. Zum Beispiel Typen, die anders mit uns umgehen, oder Frauen, die Konkurrenzkämpfe anzetteln. Rollenklischees sind uns zwar egal, aber genug Mädels denken noch, sie müssten sich verstellen. Deshalb pupsen sie nicht in der Öffentlichkeit oder gehen nicht kacken, während sie Zeit bei einem Typen verbringen. Aber das Ding ist, er geht ja selbst aufs Klo und scheißt drauf, ob die Frau das cool findet. Warum sollte man sich dann andersherum zurücknehmen?
Das gilt auch im Job. Wir zum Beispiel hatten nie eine Strategie. Wir waren im Studio und haben losgelegt, ohne zu wissen, ob wir damit Erfolg haben, aber wir hatten Bock drauf und haben uns zum Chef gemacht. Deshalb schreiben wir unsere Songs selbst, obwohl das genug Rapper in der Branche nicht tun, die uns aber genau dafür feiern oder dann fragen, ob wir was zusammen machen können. Als Frau wird dir schnell unterstellt, du hättest dich hochgeschlafen, auch wenn du dir alles selbst aufgebaut hast. Vor allem wenn man geschminkt ist oder versucht, sich gut anzuziehen, kommen Leute und behaupten, dein Erfolg hätte was mit deinem Aussehen zu tun. Wir sind zu niemandem gegangen und haben nach nichts gefragt, die meisten Leute oder auch andere Künstler sind auf uns zugekommen.
Mit dem, was wir machen, zeigen wir, dass man sich als Frau überall durchsetzen kann.
Trotzdem kam fast immer nach einem Feature oder Festival ein neidischer ,Hochschlafen‘-Kommentar. Oder es gab Typen, die unter unsere Videos so was schreiben wie ,Die sollten lieber Pornos drehen statt zu rappen‘. Aber im Real Life hatte noch niemand die Eier, uns das direkt zu sagen, weil mittlerweile jeder weiß, dass wir schlagfertig sind. Das Gute daran ist, man lernt, solche Sprüche nicht ernst zu nehmen, und lässt sich nicht verunsichern. Da wir als zwei Frauen in einer männerdominierten Branche Rap-Musik machen, haben die Leute versucht, uns in eine Schublade zu stecken. Es hieß, wir würden aus feministischen Gründen Mucke machen. Feminismus ist ja nichts Schlechtes, aber wir wollten gar nicht auf diesen Hype aufspringen. Es ist immer so in Berufen, in denen es weniger Frauen als Männer gibt, dass Leute eine Erklärung dafür finden wollen, warum diese Frauen in der Branche arbeiten oder Erfolg haben – aber das ist Quatsch. Wir sollten da arbeiten, wo wir möchten, weil wir es können, und nicht, weil wir Frauen oder Männer sind.
Als Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde, hieß es: ,Krass, jetzt ist eine Frau an der Macht!‘ Wir dachten uns: ,Na und, Alter? Die ist auch nur ein Mensch.‘ Das Denken, das zwischen Frau und Mann künstlich unterscheidet, beginnt in der Pubertät und man checkt in dem Alter gar nicht, dass man nur aus Unsicherheit eine zugewiesene Rolle einnimmt, als Frau meist die der Schwächeren. Deshalb ist es wichtig, Vorbilder zu haben, die dazu ermutigen, das zu machen, was man will. Auf die Frage, wer man ist, antwortet man meist automatisch so was wie: ,Ich bin Arzt oder Krankenschwester oder dies oder das‘ – aber eigentlich ist man in erster Linie weder Arzt noch Krankenschwester, sondern zuallererst einmal ein Mensch. Wir sollten uns nicht nur durch unseren Beruf oder eine hohe Stellung definieren.
Mit dem, was wir machen, zeigen wir, dass man sich als Frau überall durchsetzen kann. Und eigentlich haben wir, zumindest in unserer Branche, einen großen Vorteil: Als Frauen fallen wir auf. Klar, wir hatten auch allgemein mit dem üblichen Rassismus und Sexismus zu tun, aber das juckt uns nicht mehr. Wirklich wichtig ist, das Selbstvertrauen zu haben, alles schaffen zu können, hinter dem man steht. Jeder, der es will, sollte Boss sein können.“
Tarek Müller
Tarek baute mit 15 Jahren seinen ersten Onlineshop und verkaufte Shishas und Poker-Zubehör. Heute radelt er nicht mehr mit Paketen auf dem Gepäckträger zur Post, sondern zu seiner Arbeit: Der Halbägypter ist Mitbegründer und Geschäftsführer der E-Commerce-Unternehmen About You und Edited.
Instagram: @tarekmueller
„Es gibt viele Arten von Chefs, unabhängig vom Geschlecht. Gemeinhin sind Frauen wohl teamorientierter, während Männer die Welt oft mehr um sich selbst kreisen lassen. Das bedeutet nicht, dass Frauen nicht bossy genug seien, sondern einfach nur, dass sie ihre Rolle anders interpretieren. Ich persönlich kenne mehr männliche Gründer und glaube, so blöd es klingt, dass sie sich auf der Karriereleiter weniger schnell mit ihrem Status zufriedengeben und immer mehr wollen. Und an irgendeinem Punkt muss man dann sagen: Wenn du jetzt mehr willst, musst du gründen und dein eigenes Unternehmen bauen, denn nicht jeder kann Boss sein. Das tun viele dann auch, da Männer eher dazu neigen, anderen etwas beweisen zu wollen, wohingegen Frauen vom Wesen her etwas sicherheitsbezogener sind.
Als Leader sind Talent und Tatendrang am wichtigsten.
Mir ist es passiert, dass ich auf Networking-Events auftauche und andere denken: „Was will denn dieser Drogendealer hier?“ oder „Was hat der Azubi hier zu suchen?“ Ein 45-Jähriger lässt sich nichts von einem 20-Jährigen sagen, egal ob Mann oder Frau. Trotzdem: Im Schnitt werden Frauen nicht nur, aber doch häufiger ausgeschlossen als Männer. Es heißt zwar, dass viele Investoren Männer bevorzugen, aber das bewerte ich umgekehrt. Ich gebe zu, es klingt nach einem Klischee: Aber müsste ich zwischen einer Frau und einem Mann wählen, weil ich darüber nachdenke, wer verantwortungsvoller mit meinem Geld umgeht, würde ich mich in der Tendenz eher für eine Frau entscheiden. Männer haben oft den ,Ich verändere die Welt‘-Anspruch, während Frauen eher die ,Ich löse ein Problem‘-Taktik verfolgen. In einigen männerdominierten Bereichen hat man es als Frau aber auch leichter, einen Fuß in die Tür zu bekommen, weil viele Unternehmen auf die Quote achten. Es gibt durchaus ambitionierte Frauen, die durch ihren Willen und ihre Art auffallen und sich gegen die geleckten Typen durchsetzen.
Dennoch belegen Studien, dass Homosexuelle und Frauen beim Gehalt benachteiligt werden – was sich hoffentlich ändern wird, denn weder Alter noch Geschlecht noch sexuelle Orientierung dürfen eine Rolle spielen. Als Leader sind Talent und Tatendrang am wichtigsten. Ich halte Frauen für sehr gute Chefs, aber sie sind noch in der Minderheit und das muss sich ändern. Mein Rat ist daher: Wenn du erfolgreich sein willst, musst du einfach Gas geben. Und wenn es nicht passt, wechsel den Job und nimm dir die Freiheit, es woanders zu probieren. Niemand sollte Benachteiligungen hinnehmen.“