In der neuesten BLONDE-Ausgabe dreht sich alles um das Thema Kommunikation und anfangen sollte man da doch vielleicht am besten mit sich selbst. Das geht heutzutage mit DNA-Tests für Zuhause für recht kleines Geld und binnen weniger Wochen. Also haben wir uns gefragt: Was sagen unsere Gene über uns aus?
100 Millionen Menschen werden sich laut einer Schätzung des MIT bis 2021 einen DNA-Test nach Hause bestellt haben. Alle in der Hoffnung, Antwort auf eine der ältesten Fragen der Menschheit zu erhalten: Wer bin ich? Sechs Mitglieder der BLONDE-Redaktion haben jetzt schon mitgemacht bei der Ahnenforschung der etwas anderen Art. Wir lassen die Wissenschaft zu Wort kommen und fragen uns: Sagt ein DNA-Strang wirklich mehr als tausend Worte?
Nayas DNA
„Meine Familienhistorie ist recht transparent und trotzdem stellte ich mir schon häufiger die Frage, wie ich wohl ethnisch zusammengesetzt bin und welche kulturellen Strukturen in mir zusammenlaufen. Auch war ich gespannt, ob meine Optik, sprich meine dunklen Haare, meine hellen Augen und mein eher dunklerer Hauttyp, einfach nur einem zufälligen Gen-Mix entspringt.
Dass ich zu über 50 Prozent aus Nord- und Westeuropa komme, hat mich eher enttäuscht. So einen kleinen nicht europäischen Ausschlag hatte ich mir schon gewünscht. Kommt meine Körpergröße von den Nordeuropäern und Skandinaviern, der Teint von den südlicheren Westeuropäern, sind meine Gesichtszüge eine Mischung aus skandinavisch und osteuropäisch und ist das Ganze gewürzt mit einem derben Humor, der polnischen Frauen oft nachgesagt wird?
Ändern tut sich für mich durch diesen DNA-Test nichts, denn ich betrachte ihn eher als interessante Spielerei. Unsere jeweilige ethnische Zusammensetzung ist vielfältig und zum Beispiel durch Völkerwanderungen nicht wirklich eindeutig nachvollziehbar. Den Diskussionsanstoß – innerhalb der Familie –, den solch ein Test liefern kann, finde ich allerdings großartig. Am Ende kann man so oder so nur dazulernen.“
Martynas DNA
„Auf wenige Fragen zu meiner Familiengeschichte kenne ich genaue Antworten, denn ich bin ohne Vater und somit auch ohne jegliches Wissen über satte 50 Prozent meiner Gene aufgewachsen. Aber aus welchem Land meine Vorfahren stammen, dachte ich zu wissen: Polen. Vielleicht noch aus der Ukraine, weil wir aus dem südöstlichsten Zipfel des Landes stammen. Und so auch laut Aussage meiner Oma die Familie meines Erzeugers. ‚Hier ist früher niemand hin- oder weggezogen.’ Das kam mir schon immer eher spanisch als polnisch vor…
Der Wunsch, Ahnenforschung zu betreiben, besteht in mir wegen der Vaterthematik bereits quasi seit meiner Geburt. Gefühlt werde ich auch ständig mit dieser Lücke konfrontiert. Beim Arzt, wenn die Frage nach der Familienhistorie bestimmter Krankheitsbilder fällt, kann ich nur von mütterlicher Seite sprechen. Bei Dates, wenn ich salopp dahinsage, dass ich meinen Vater nie kennengelernt habe, darf ich mir in neun von zehn Fällen Fragen nach eventuellen Komplexen anhören. Beim Beantragen des elternabhängigen BAföGs wurde ich in einem offiziellen Wisch unwirsch darum gebeten, doch einen Nachweis darüber einzureichen, denn ,das kann ja jeder behaupten‘.
Für mich hat dieser DNA-Test also mehr bedeutet als Prozentzahlen. Und die kommt scheinbar nicht nur aus Polen, sondern auch aus dem Balkan und – Überraschung – dem Mittleren Osten? Gut, 0,9 Prozent ist jetzt nicht viel, aber dennoch interessant. Meinen Vater habe ich per DNA-Test nicht gefunden. Aber das war erst der Anfang, denn für mich geht die Reise durch die Stränge definitiv weiter.“
Ediths DNA
„Ich habe dunkle Augen, dunkle Locken und Sommersprossen – das allein gab vielen Menschen um mich herum wohl mein Leben lang die Legitimation, mir das Deutschsein abzusprechen. Als Kind wurde ich auf Türkisch angesprochen oder gern mal damit aufgezogen, dass meine Eltern mir was verschweigen würden… Meine Eltern sind aus dem Schwabenland, meine Großeltern auch. Die Linie meines Vaters lässt sich wohl bis ins 14. Jahrhundert an den Bodensee verorten. Ich persönlich traue den Deutschen auch dunkle Augen, dunkle Locken und Sommersprossen zu – und trotzdem hat mich der DNA-Test interessiert. Man muss ja schon sagen, dass in Kriegsgenerationen viel passiert ist, das zu schmerzhaft oder vermeintlich schandhaft war, um es weiterzuerzählen.
Und jetzt die große Auflösung: Laut MyHeritage bin ich zu 60,4 Prozent Engländerin, dann sind da noch 27,7 Prozent griechische, 7,7 Prozent osteuropäische und 4,2 Prozent aschkenasische DNA. What? Glauben kann ich das wirklich nicht. Entweder, da hat sich jemand im Familienstammbaum regelmäßig verschrieben oder der DNA-Test aus dem Internet ist Quatsch. Ich reise also jetzt nicht nach England oder gar nach Griechenland, um meine Verwandten ausfindig zu machen. Meine Familie bleibt meine Familie und mein Schwäbischsein – tja, manchmal wünschte ich, ich könnte es verleugnen, aber bei mir Sparfüchsin gibt es daran wohl keinen Zweifel.“
Christines DNA
„Oft laufe ich durch diese wundersame Welt, und wenn ich kurz innehalte in meinem täglichen Gebaren, frage ich mich: ,Was tust du hier? Wozu, warum? Ist das hier mein Ort? Warum bist du, wer bist du?‘ Während meiner Surf-Reisen, die für mich die intensivste Form der Auseinandersetzung mit mir selbst sind, suche ich nach Antworten. Die Wahrheit liegt womöglich doch in den Genen. Schon seit dem Tod meines Vaters vor zweieinhalb Jahren beschäftige ich mich verstärkt mit meiner Herkunft. Er stammt aus Ostpreußen.
Eigentlich kam die Frage nach meinem Interesse an der Teilnahme an einem DNA-Test genau richtig. Sollte man zumindest meinen. Da ich aber eine sehr distanzierte Haltung zu den sozialen Medien habe – soll heißen, ich poste mein Privatleben weder auf Facebook noch auf Instagram –, war ich dennoch skeptisch und dachte: ,Vielleicht steckt ja Trump oder die CIA dahinter, eine verkappte übergriffige Aktion aus dem Oval Office? You never know…‘ Aber es arbeitete in mir und jetzt wollte ich es wissen!
Eigentlich hat mich nur der baltische Teil gewundert – und dennoch hat sich etwas mit dem Ergebnis für mich verändert: Mein Interesse für die Heimat meines Dads hat sich verstärkt. Die habe ich noch nie bereist, was ich aber bald tun werde. Ich kenne viele Erzählungen, weiß, dass er dort glücklich war als Kind bis zur Flucht vor den Russen. Diese Tatsache hat ihn sein ganzes Leben lang beschäftigt und unser Familienleben beeinflusst. Es gab Ostpreußen-Treffen, er hat als Rentner Geschichte studiert, ein Buch geschrieben, es gibt detaillierte Berichte über die Flucht. Im aktuellen Kontext der internationalen Flüchtlingsdebatte habe ich ein anderes Verständnis dafür bekommen, was es heißt, sein Land, seine Habe, Menschen und Orte verlassen und verlieren zu müssen.“
Ninas DNA
„Was prägt mich und hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin? Ist es meine Sozialisation, meine Familie, Freundschaft oder womöglich Datteln, meine Geburtsstadt, in der ich aufgewachsen bin? Wie viel Einfluss haben meine Wurzeln, die vielen vor mir gelebten Generationen, meine Ahnen, auf mein heutiges Ich? Da ich meinen Stammbaum nur grob bis zu meinen Urgroßeltern nachverfolgen kann und heute kein Kontakt mehr zur Familie väterlicherseits besteht, taucht die Frage nach meiner Herkunft in mir in regelmäßigen Abständen auf.
Schon oft wurde ich darauf angesprochen, woher ich komme, und die Schätzungen gingen von Frankreich über Polen bis nach Russland. Höchst interessant – denn mein genaues Ergebnis lautet wie folgt: 52,3 Prozent Nord- und Westeuropa (Deutschland, Frankreich, Niederlande), 43,9 Prozent sind osteuropäisch (Ukraine, Polen, Russland) und 3,8 Prozent sind Schottland und Irland zugeordnet. Meine Oma ist im Zweiten Weltkrieg mit ihrer Familie aus Schlesien nach Deutschland geflohen – mir sind meine osteuropäischen Wurzeln also bekannt. Aber mit einer so hohen Prozentzahl habe ich nicht gerechnet. Ich habe seit jeher eine Vorliebe für osteuropäische Kultur, sogar bei meiner Männerwahl. In der Berliner Karl-Marx-Allee fühle ich mich zu Hause, obwohl ich dort nie gewohnt habe.
Wie viele Antworten ein DNA-Test bringen kann, ist fraglich; auch ohne diesen habe ich im tiefsten Inneren meine Zugehörigkeit gefühlt. Es ändert sich dadurch also nichts für mich. Dass ich Kontakt mit meinen DNA-Matches aufnehmen werde, beispielsweise einen Neffen dritten Grades in der Ukraine treffe, steht für mich nicht zur Debatte. Da sind mir meine nicht genetischen DNA-Matches, meine Freunde, um ,Kettenlängen‘ lieber!“
Annes DNA
„Die Frage nach der Herkunft eines Menschen empfinde ich als wichtig und äußerst interessant. Durch die Kenntnis des ethnischen und damit kulturellen und gesellschaftlichen Hintergrunds ist es möglich, einen Menschen in seinem Denken und Handeln besser zu verstehen. Die Identitätsfindung ist ein zentrales Begehren, ein Ur-Wunsch. Das beinhaltet nicht nur, wer man ist und wer man sein wird, sondern auch, woher man kommt. Für mich sind das alles entscheidende Parameter der Selbsterkenntnis.
Mein Vater hatte diesen Test bereits gemacht, sodass mir die väterlichen Einflüsse bekannt waren, als ich an der Reihe war. Nun interessierten mich die restlichen 50 Prozent, nämlich die ethnischen Einflüsse meiner Mutter. Ihr Vater war Jude, kam ursprünglich aus Holland, lebte aber als Schauspieler schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland, nach der Teilung dann in der damaligen DDR. Viel mehr habe ich über die Herkunft der Vorfahren meiner Mutter nicht gewusst.
Enttäuschen können hätte mich nur ein Ergebnis: Wenn der Großteil meiner Vorfahren aus dem Teil der Erde gekommen wäre, der heute Deutschland ist. Dass ich also 66,7 Prozent nord- und westeuropäische DNA in mir trage, die sich dazu noch in französische, griechische und italienische Vorfahren unterteilt, ist mir neu. Für mich verdeutlicht das die Vielfalt der DNA.
Mir reicht dieser grobe Überblick; die vielfältige Herkunft meiner Urväter ist wie bei den meisten Menschen somit bewiesen. Die immense Vielfalt macht, so empfinde ich es, uns alle doch zu universelleren Menschen, als wir erst einmal immer vermuten möchten. Vergessen darf man bei alledem nicht, dass die allerersten Menschen aus Afrika kamen. Wenn man dieses Wissen mit dem Wissen um seine eigene DNA-Vielfalt ergänzt, macht es einen ein Stück weit demütiger.“
Speziell bei so sensiblen Informationen wie der DNA sollte man das Kleingedruckte genauestens lesen, insbesondere da die Kit-Hersteller meist nicht in Deutschland sitzen und demnach anderen Datenschutzgesetzen unterliegen, als wir es in der EU gewohnt sind. 2018 gab es ein Datenleck, bei dem die Log-in-Daten von Millionen von Nutzern auf einem privaten Server landeten. Das rief DNA-Test-Kritiker auf den Plan. Mit Einsendung der Probe an MyHeritage (Sitz: Israel) akzeptiert man automatisch die Nutzung der Daten. Diese kann jedoch jederzeit schriftlich widerrufen werden. Wie verlässlich dieser Tausch Daten gegen (Familien-)Informationen ist und ob es einem das Risiko wert ist, bleibt am Ende jedem selbst überlassen. Man sollte aber wissen: Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, warum sich das vermeintliche Wissen über die eigene Ethnizität nicht mit den Ergebnissen deckt. Dazu gehören laut MyHeritage „biologische Beschränkungen für DNA-Tests wie die Tatsache, dass einige Populationen ähnliche DNA haben, weil sie sich in geografischer Nähe befinden, oder Migrationsmuster, die zur Vermischung von zuvor isolierten Gen-Pools führten“. Damit lässt sich der Unglaube einiger BLONDE-Teammitglieder erklären. DNA-Tests dieser Art sind noch recht neu und gleichen die wissenschaftlich äußerst komplexen Ergebnisse bisher nur mit ihren eigenen Datenbanken ab.