Kann uns Empathie vor dem Weltuntergang retten?

Credit: Eberhard Grossgasteiger
Wir haben mit drei Menschen des Zeitgeschehens gesprochen und gefragt: Ist Mitgefühl ein Allheilmittel gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt? 

Die Stimmung ist düster und beim Blick in die Tageszeitungen, U-Bahnen und Clubtoiletten dieser Erde bekommen wir das Gefühl, dass wir kurz vorm Weltuntergang stehen. Hate Speech, schlechte Laune, Ellenbogen: Das wilde Treiben auf diesem Planeten scheint in eine Abwärtsspirale abzudriften, die wir auf der Stelle aufhalten möchten, statt nur ungläubig zuzusehen – lasst uns also mal wieder nett sein, ein bisschen enger zusam­men­rücken und Empathie great again machen. Hört sich in der Theorie gut an. Aber reicht so ein bisschen Mitgefühl ­tatsächlich aus, um unsere Welt besser zu machen? Ja, würden an dieser Stelle vielleicht die Millennials dieses Landes sagen – jedenfalls wenn es um das brennende Thema Flucht geht. Bei einer Studie der Bundeszentrale für politische Bildung mit Partnern wie der deutschen Kinder- und Jugendstiftung wurden Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren unter anderem zur Flüchtlings­krise befragt. Das Ergebnis: Die Akzeptanz von Vielfalt, die Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Religionen und die Bereitschaft, Geflüchteten und Asylsuchenden zu helfen, nehmen bei Millennials in Deutschland zu. Wie alle anderen demogra­fi­schen Gruppen auch sind sie außerdem am Thema Flucht und Asyl in­teressiert, die weit überwiegende Mehrheit befürwortet eine weitere Aufnahme von Flüchtlingen. 

Sich in andere hineinversetzen – eine wichtige Fähigkeit, gerade in Zeiten von Terror und Flucht? Nicht immer findet dieser Gedanke Zuspruch. Während die meisten Menschen Empathie als eine Tugend anpreisen, behauptet der Psychologieprofessor Paul Bloom von der Yale University, dass Empathie Vorurteile, Cli­quen­den­ken und Gewalt verstärke und sogar der Auslöser vieler grausamer und unfairer Seiten des menschlichen Zu­sam­men­lebens sei. Hört sich krass an? Es geht sogar noch weiter: In seinem Buch „Against Empathy: The Case of Rational Com­passion“ schreibt er zum Beispiel, dass wir unsere Empathie überwinden sollten, um mehr Gleichberechtigung in die Welt zu bringen. Einige der schlimmsten Entscheidungen von Ein­zel­per­so­nen und Nationen – wir sprechen hier von Themen wie Krieg oder Klimawandel – seien allzu oft durch ehrliche, aber unangebrachte Emotionen motiviert. „Empathie findet deswegen so großen Zuspruch, weil es zum Beispiel die Vorstellung gibt, dass alle dieselben politischen Ansichten hätten, wenn sie nur mehr Empathie besäßen.“ Doch diese Denkweise sei eine Illu­sion: Konservative und Liberale streiten sich so gut wie nie darüber, ob man Empathie haben sollte oder nicht. Sie streiten nur darüber, für wen man Empathie haben sollte.

Ob Blooms Argumente einleuchten oder nicht – auf jeden Fall werden Schlagworte wie „Mitgefühl“ und „Empathie“ wieder kon­trovers diskutiert. Wir haben deshalb mit drei Menschen des Zeitgeschehens über soziale Blasen, dunkle Momente und Shitstorms gesprochen und gefragt: Kann Empathie uns vor dem Weltuntergang retten? Ist Mitgefühl ein Allheilmittel gegen Hunger und gegen Krieg, gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt? Das haben sie geantwortet.

Mascha Alechina, 30 Jahre

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„Die Empathie der Leute kann dabei helfen, einen Traum Realität werden zu lassen“, sagt Mascha. Credit: Alexander Sofeev

Zusammen mit der feministischen Aktivisten-Kunstgruppe „Pussy Riot“ steht Mascha für den Punk-Protest gegen Putin. Um die Welt gegangen ist ihr Auftritt in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau, für den sie 2012 zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Ihre Erlebnisse aus dieser Zeit hat Mascha in ihrem Buch „Tage des Aufstands“ verarbeitet. 

„Empathie hat mich auf jeden Fall vor meinem persönlichen Untergang gerettet. Nehmen wir zum Beispiel mein Buch: Es zu schreiben war für mich, als hätte ich mein Innerstes in Worte gefasst. Ein wirklich schwie­ri­ger Prozess, der aber essenziell war, um weitermachen zu können. Ein absolutes Wunder, dass es überhaupt existiert. Aber ich war nicht allein und konnte in den unmöglichsten Situationen auf Hilfe zählen. Zum Beispiel, als ich keinen ruhigen Ort zum Schreiben gefunden habe: Am En­de gab es immer einen netten Menschen, der mit einer Idee oder einem Tipp um die Ecke kam – ohne dass ich explizit danach gefragt hätte. Da habe ich gemerkt: Die Empathie der Leute kann dabei helfen, einen Traum Realität werden zu lassen. Mir speziell hat die Empathie der ganzen Welt geholfen, das Buch zu schreiben – so absurd das in meiner Si­tua­tion auch klingen mag. Und ich habe mir geschworen, nie zu ver­ges­sen und dankbar für alles zu sein, was passiert. Manche von den Leuten, die für mich da waren, habe ich nie vorher getroffen. Sie haben mir ein­fach aus Nettigkeit geholfen, sogar in meinen dunkelsten Mo­men­ten. Da war zum Beispiel eine Frau in der Lagerhaft. Sie hat sich ge­wei­gert, mit der Gefängnisverwaltung gegen mich zu arbeiten, um mich in Ein­zel­haft zu stecken. Sie kannte mich erst einen Monat, aber hat sich trotzdem für mich eingesetzt. Sie sagte: ‚Es ist egal, ob ich dadurch noch ein Jahr länger im Gefängnis bleibe. So oder so habe ich recht, denn sie wollen dich nur aus Angst in Einzelhaft sperren.‘ Das hat mich sehr beeindruckt. Ein Jahr nachdem ich freigelassen wurde, rief sie mich völlig un­er­wartet an, wir hatten die ganze Zeit nichts mehr voneinander gehört. Sie hatte wieder mit den Drogen angefangen. Ich fuhr zu ihr und brachte sie nach Moskau, um ihr zu helfen. Wir fanden einen Weg und sie wurde clean. Sie bekam sogar ihren Sohn wieder, der im Kinderheim gelandet war. Jetzt lebt sie mit ihm zusammen in ihrem Dorf. Und sie sag­te zu mir, ich sei ihr Engel. Am Ende habe ich ihr wahrscheinlich das Leben gerettet, genau wie sie mir. Und obwohl mich das als Mensch glück­lich macht, habe ich als Künstlerin ein schwieriges Verhältnis zum Thema Empathie. Sie ist nicht inspirierend. Was mich inspiriert, ist die Veränderung, auch wenn man dafür manchmal durch die Hölle gehen muss.“ 

Sophie Passmann, 24 Jahre

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Sophie Passmann. Credit: Patrick Viebranz

Früher Radiomoderatorin und Poetry-Slammerin, heute Comedian: Schon mit 15 wusste Sophie Passmann, dass sie die Leute von der Bühne aus unterhalten will. Mittlerweile gehört sie zu den witzigsten Frauen im Business – findet sogar Jan Böhmermann. 

Instagram: @fraupassmann

„Empathie kann uns nicht retten, aber sie kann das Leben erträglicher ma­chen – weil wir mit mehr Empathie alle aufhören würden, uns im Großen und Kleinen so unglaublich wichtig zu nehmen. Radikal betrachtet kann Empathie Denkweisen bedeuten wie: ‚Ja okay, der hat sich jetzt an der Supermarktkasse vorgedrängelt, aber der wird schon seine Gründe dafür haben.‘ Oder: ‚Der hat mein Portemonnaie ausgeräumt, aber wahr­scheinlich hat er’s auch nötig.‘ Am Ende lässt das die Welt zwar immer noch untergehen, aber es wird vielleicht ein bisschen weniger anstrengend in der Regionalbahn. Für mich hat Empathie aber auch immer etwas mit Humor zu tun: Wer empathielos ist, kann keine guten Witze ma­chen, weil du dich als Comedian immer in andere Menschen hineinversetzen musst. Was passiert, wenn man das nicht tut, sieht man an Kollegen wie Chris Tall, der zum Beispiel auch mal einen Rollstuhlfahrer in der ersten Reihe beleidigt. So eine Art von Humor ist nicht viel zu krass, weil die Worte so hart sind, sondern weil man von oben herab, und ohne sich in Menschen hineinfühlen zu wollen, Witze macht. Dann wird’s schnell gefährlich – man darf nämlich nie vergessen, dass es Menschen sind, die da im Publikum sitzen. Solche Witze werden nur verziehen, wenn man mit der richtigen Haltung in eine Show reingeht und klarmacht: ,Ich habe dich jetzt nicht beleidigt, weil ich daran Spaß habe, sondern der Witz ist mir vielleicht ein bisschen rausgerutscht, ich mach sicherheitshalber mal einen über mich selber, denn wir sind hier ja ein

Team. Am Ende machen Comedians ihren Job auch nur, um lieb gehabt zu wer­den. Der Witzbold ist ja immer der, der über Schwächen hinwegtäuscht, auch in der Schule. Und ich glaube, viele Leute gehen auf die Bühne, weil das eine Art Umgang mit Angst oder unangenehmen Ge­füh­len ist, wenn auch ein sehr mutiger. Aber es gibt natürlich auch immer Leute, die meine Art von Humor scheiße finden. Es ist zwar noch nie pas­siert, dass das Leute während eines Stücks lautstark zu verstehen ge­ge­ben hätten, aber im Nachhinein bekomme ich häufig Hate-Kommen­tare. Das Krasseste, was mir in letzter Zeit passiert ist, waren die Reak­tio­nen auf einen Post von mir bei Twitter. Da ging es um das Thema Lohn­un­gleich­heit und ich habe einen riesigen Shitstorm bekommen. Ich wur­de heftig beleidigt und mir haben ganz viele Männer geschrieben, dass es kein Wunder sei, dass ich weniger Geld bekomme. Und dann gab es da einen Kommentar auf Instagram, wo ich mein Gesicht immer sehr viel in die Kamera halte. Der lautete: ‚Ich hab dich auf Twitter auch total beleidigt, aber jetzt, wo ich dich hier so sehe, tut es mir fast ein bisschen leid.‘ Das war so von wegen: ‚Ach so, du bist ja doch ein Mensch. Ja dann, sorry.‘ Zum Glück bin ich, was so was angeht, ein biss­chen älter und abgebrühter geworden. Wenn mir jetzt jemand einen Spruch drückt oder vielleicht unsensibel in einer Redaktionskonferenz ist, dann denke ich mir: ‚Ha, scheißegal. In vier Stunden gehe ich nach Hau­se, gucke acht Folgen ,Stranger Things‘, mach mir Popcorn und du kannst mir gar nix anhaben.‘“

Lisa Banholzer, 29 Jahre

Mit ihrem Blogazine „Blogger Bazaar“ richten sich Lisa und ihre Partnerin Tanja Trutschnig an „Powerfrauen, die über ihren Hori­zont blicken und sich nicht in Schubladen stecken lassen“.  Diese Beschreibung passt auch zu Lisa: Sie liebt Mode- und Lifestylethemen, bezieht auf ihrem Blog aber auch politisch Stellung und ist im letzten Jahr in die SPD eingetreten. 

Instagram: @lisa_banholzer

„Ich versuche immer, mich intensiv mit meinen Fol­lowern auseinanderzusetzen und in unseren Themen auf ihre Gedanken einzugehen“, so Lisa Banholzer von Blogger Bazaar. Credit: Elena Breuer

„Mehr Empathie kann Teil eines Lösungsmixes sein. Wenn du einzelne Schicksale betrachtest, zum Beispiel jetzt während der Flüchtlingskrise, Menschen in die Augen blickst und siehst, dass sie am Ende genau so sind wie du, statt nur eine anonyme Masse, wird es schwieriger, Dinge zu verurteilen und beispielsweise die AfD zu wählen. Wie wichtig Offenheit und Mitgefühl sind, habe ich schon als Teenager gemerkt, als ich eine Jugendgruppe geleitet habe. Da waren schwierige Kinder und auch schwierige Eltern dabei. Sie steckten in Problemen, mit denen ich noch nie in Berührungen gekommen war: Existenzängste, Verzweiflung und Hilflosigkeit. Mit ihnen darüber zu sprechen und ihnen vielleicht sogar zu helfen hat aber alle Seiten weitergebracht. Trotzdem fällt es mir heute immer schwerer, aus meiner eigenen Blase herauszutreten – obwohl ich es, so oft es geht, versuche. Zum Beispiel indem ich mich in einer Bar mit einem Fremden unterhalte, von dem ich weiß, dass er gar nicht in mein Leben oder meine Branche passt. Oder mich politisch engagiere und als Fashion-Girl zu den Mitgliedstreffen der SPD gehe. Empathisch zu sein heißt aber auch, Schwäche zu zeigen. Wenn ich in ein Meeting gehe, hilft es manchmal zu sagen: ‚Eigentlich geht’s mir auch gerade gar nicht so gut’, oder andersrum: ‚Ich bin gerade extrem euphorisch und gut drauf, weil ich total verliebt bin.’ Sobald ich etwas über mich preisgebe, vertraut mir mein Gegenüber und denkt sich: ‚Ah, die zeigt Schwäche, dann darf ich auch Schwäche zeigen.’ Und das sorgt immer für einen Aha-Effekt und eine viel ehrlichere Kommunikation, bei der sich nicht jeder auf die Brust schlägt und sagt: ‚Ich bin aber hier der Geilste und will aus der Verhandlung mit dem meisten Budget rausgehen.’ Auch auf Insta­gram & Co. dürfen wir nicht vergessen, in den Dialog zu gehen. Ich finde, dass wir das Wort ,Social‘ bei Social Media vergessen haben. Es hat was mit Empathie zu tun, sich zu fragen: ‚Ich habe 130.000 Follower – aber wer ist das?’ Ich versuche immer, mich intensiv mit meinen Fol­lowern auseinanderzusetzen und in unseren Themen auf ihre Gedanken einzugehen. Trotzdem kann ich nicht auf jede E-Mail, jede Nachricht bei Instagram oder Facebook reagieren. Denn wenn ich all meine Wörter in Online-Kommunikation stecke, habe ich danach keine Kraft mehr, ein Te­­le­fonat mit meiner Mutter oder einem anderen wichtigen Menschen zu führen, weil mir quasi die Wörter fehlen. Ich glaube daran, dass jede mensch­liche Energie begrenzt ist, auch meine. Aber es ist trotzdem wichtig, hinzuhören, immer wieder Dialoge anzustoßen – sonst haben wir am Ende alle verloren.“

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