„Ich habe mir für dieses Jahr etwas vorgenommen,“ sagt Nora. Es ist längst nicht mehr Januar, aber wir haben uns lange nicht gesehen um nun Grundlegendes aufzubereiten.
Ich nippe an meinem Vermouth Tonic und erwarte Aufregendes. „Ich werde mich jetzt schicker anziehen“, verkündet Nora und ich nehme einen irritierten zweiten Schluck. Mein Blick fällt auf ihr Kleid mit ausgestelltem Rock. Jetzt, wo sie es sagt: Schick. „Äh…?“, frage ich messerscharf und bekomme die erhoffte Erklärung. „Ja, dieser ganze Beanie- und Turnschuhstyle, den man auf Hamburgs Straßen so performt: Das bin ich eigentlich gar nicht, hab ich gemerkt.“ Ich nicke und wir bestellen die Käseplatte, international. Ich denke über Noras ambitionierte Lebensplanung nach und merke, dass ich ganz ähnliche Tendenzen bei meinen morgendlichen Bekleidungszeremonien verzeichnen kann. Seit einiger Zeit greife ich häufiger zu Blazer statt Hoodie und tatsächlich gelegentlich zu hohen Schuhen. WHAT? Doch: Meine Agenda 2017 sieht das nicht explizit vor, aber mein Bauchgefühl sehnt sich nach Glamour.
Auf Sneakers schlurft man bequem durch den Tag. Zwischen Kapuze und Bildschirm erstreckt sich die Comfortzone: Ein kollektiver modischer Winterschlaf, getarnt als mutwilliges Understatement. Es herrschte lange Zeit Konsens über das richtige Tagesschuhwerk. Und nun kribbeln die Füße. Zumindest meine. Und Noras. Es ist Zeit für den großen Auftritt, für ausgestellte Röcke und hohe Hacken. Vielleicht weil sich die Wintermüdigkeit legt. Vielleicht weil wir in Zeiten internationalen Wahnsinns mal wieder lauter auftreten möchten. Vielleicht weil wir uns dafür entschieden haben, unsere Weiblichkeit zu feiern, statt sie herunterzuspielen. Noch gucken Kollegen irritiert, wenn forsche Schritte den Gang zum Kopierer protokollieren: Was macht die denn jetzt für einen Wind? Eben: Stürmische Zeiten erfordern Gegenwind. Es lohnt sich nicht länger, auf lauen Lüftchen einzureiten. Nora gibt der Beanie eine Auszeit. Ich dezimiere meine sportliche Lässigkeit. Wir entscheiden uns für Schulterpolster, aufrechten Gang und nervenstrapazierende Fortbewegungsgeräusche. Hallo Welt, wir sind hier. Overdressed und ohne Anlass. Einfach schick.