Ronja von Rönne: Kinder kriegen? Können wir auch noch übermorgen!

Joanna Schroeder Egg Freezing Ball Mood
Oder doch nicht? Ronja von Rönne berichtet, warum Egg Freezing trotz aller Vorteile nicht die Lösung für das wahre Problem ist.

Foto: Joanna C. Schröder

Es ist ein Gerücht, dass sich die Zeit nicht anhalten oder beschleunigen ließe.

Ich hatte einen Physiklehrer, der sehr, sehr langsam über sehr, sehr uninteressante Schaltkreise dozierte. „Seht, das Lämpchen brennt“, sagte er irgendwann und man selbst sagte nichts und wünschte sich weit fort, dorthin, wo sich niemand genötigt fühlt, funktionierende Lampen zu kommentieren. Die Doppelstunden waren mindestens so lang wie mein letzter Ur­laub in der Bretagne, der eigentlich zwei Wochen dauerte, mir aber viel zu kurz vorkam. Es ist also durchaus möglich, die Zeit anzuhalten.

Ich habe gerade keinen Nerv auf Kinder, weil ich gleichzeitig mein Liebesleben, meine Masterarbeit, meinen Nebenjob und meinen Food-Blog über Quinoa-Bagels in den Griff bekommen muss.

In den Zwanzigern und Dreißigern scheint das Leben zu rasen, hastig muss man alle möglichen Entscheidungen fällen: Soll ich Jura oder Kunstgeschichte studieren? Soll ich das Foto von meinem Quinoa-Bagel auf Insta­gram teilen? Oder wirke ich dann wie ein uninspirierter Foodie-Vollidiot? (Ja, tust du, selbst wenn du darunter einen ironischen Spruch schreibst. Das macht es sogar schlimmer.) Unter anderem entscheiden Frau­en in diesen Jahren auch, ob sie Kinder möchten oder nicht. Ge­zwun­ge­nermaßen, weil Tante Inge einen ständig daran erinnert, dass die biologische Uhr ticke. „Liebe Tante Inge“, möchte man antworten, „gib mir noch etwas Zeit, ich habe gerade keinen Nerv auf Kinder, weil ich gleichzeitig mein Liebesleben, meine Masterarbeit, meinen Nebenjob und meinen Food-Blog über Quinoa-Bagels in den Griff bekommen muss. Außerdem weiß ich überhaupt nicht, ob ich Kinder will.“

Egg Freezing schenkt dir also nicht nur große Frei­heiten, sondern zwingt dich auch dazu, dir selbst in deinen Vierzigern noch Gedanken übers Kinderkriegen zu machen.

Nun könnte man meinen, Egg Freezing sei die Lösung ­all unserer Reproduktions-Probleme. Doch das ist ein Trugschluss. Das Schöne und Schlimme daran: Beide – du und Tante Inge – erhalten ein wei­teres Argument. Du kannst ja jetzt auch mit 50 noch Kinder kriegen; die eine Hälfte deines künftigen Genhaufens, der später mal unsere ­Rente zahlen soll, liegt schließlich auf Eis, was für Eier ein besserer Aufbewahrungsort ist, als der eigene Körper. Egg Freezing schenkt dir also nicht nur große Frei­heiten, sondern zwingt dich auch dazu, dir selbst in deinen Vierzigern noch Gedanken übers Kinderkriegen zu machen. Es kann darüber hinaus als Argument dafür dienen, keine Kinder in die Welt setzen zu wollen, denn das sei unverantwortlich, da du dich doch nebenher um trendige Inkakörner und Jobsuche zu kümmern hast. Für mich ist Egg Freezing deshalb keine Lösung für das Problem: Der vornehmliche Grund, warum junge Frauen, die eigentlich ein Baby wollen, sich aber letztlich dagegen entscheiden, ist die miserable Betreuungs­situation in Deutschland. Es fehlt an Krippenplätzen und Ganztagsbetreuung, Dingen, die in Ländern wie Schweden längst keine Probleme mehr sind. Dort gibt es Kindergärten mit 24-Stunden-Service, die auch Betreuung am Abend oder am Wochenende anbieten. Ein Kindergartenplatz kostet in Schweden nie mehr als maximal 150 Euro im Monat.

Solange du jemanden gefunden hast, der gerne mit dir künftige Ren­tenzahler züchten möchte, sollte dies möglich sein, ohne in Existenzängste verfallen zu müssen. Gerade in den Zwanzigern haben Frauen ge­nügend Energie für plärrende Kleinkinder – ob du deine Energie aber darauf verwenden willst, sollte deine Entscheidung bleiben.

Und wenn du generell keine Kinder möchtest, kannst du Tante Inge auch einfach bitten, das Maul zu halten. Ist schließlich dein Leben. Das gilt übrigens auch für Quinoa-Bagel: Poste, was du willst, und lass dich bloß nicht davon abhalten, nur weil eine schlecht gelaunte Kolumnistin nichts davon hält.

Ronja von Rönne
Die 25-jährige Berlinerin twittert unter @sudelheft über alles, „was das Menschsein zur Unverschämtheit macht“. Aber Ronja kann weit mehr als 140 Zei­chen: Sie schreibt Bücher – letztes Jahr „Wir kom­men“ und im Februar erschien „Heute ist leider schlecht“. Für die Blonde-Kolumne tippt sich Ronja ihre Erfahrungen zum jeweiligen Heft-Schwerpunkt von der Seele. sudelheft.blogspot.com
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