Warum postet man Instagram-Sprüche? Die Menschen hinter 3 Typo-Accounts erzählen

Auf Instagram erfreuen sich Quotes, Lebensweisheiten und Typografie-Accounts schon länger wachsender Beliebtheit – warum? Sind Bilder am Ende doch vergänglich und Instagram-Sprüche bleibend? Hier zeigen die Menschen hinter drei Accounts zum ersten Mal ihr Gesicht und erklären den Reiz von Wortbildern

In unserer aktuellen Ausgabe BLONDE #48 beschäftigen wir uns mit der Vergänglichkeit, mit Wandel und auch mit dem Momentum, das im Zuge aktueller Entwicklungen fast kaum noch greifbar wirkt. Dennoch scheint es Instagram auch weiterhin zu schaffen, jede noch so kleine Momentaufnahme zu filtern und möglichst schnell zu definieren. Das umfasst alles von politischen Entwicklungen bis zur Debatte über Popstars und Nageltrends. Und während Videos in Endlosschleife zirkulieren und Bilder Symbolträger werden, sagen Instagram-Sprüche auf dem bildlastigsten Netzwerk unserer Zeit doch manchmal mehr.

Instagram-Sprüche: Nicht nur 140 Zeichen, aber kurz

Wer solch einen Effekt erzielen will, muss sich kurz fassen – so jedenfalls die ursprüngliche Annahme. Twitter, Trump und Titelzeilen basieren darauf. Was Rupi Kaur in Urban-Outfitters-Ästhetik in der Poesie geschafft hat, sollen Typografie-Accounts auf Instagram bewirken – die inhaltliche Richtung bleibt dabei zunächst außen vor. Die meisten schreien jedoch vor lebensbejahender Selbstliebe und sollen nicht selten dazu animieren, alles Negative und Toxische mit einem metaphorischen Pinselstrich aus dem Leben zu streichen. Da kommen wir nicht ohne die Anmerkung aus, dass ein Großteil dieser verschiedenen Spruchbilder dem verschrienen Wandtattoo aus dem Möbeldiscounter auf den ersten Blick nicht allzu fern scheint.

Wie viel positive Message ist zu viel?

In Zeiten der Pandemie, gefährlichen Verschwörungstheorien und Polizeigewalt scheint es schwierig, überhaupt positive Worte zu finden und so kommen einem die „Instagram-Feed-Tattoos” nicht selten naiv und realitätsfern vor. Toxic Positivity (hier erklärt in einer Folge des Podcast Combined Impact) ist hier ein Stichwort und meint die psychisch nicht hilfreiche Reduktion von Problemen oder Lebenseinstellungen auf wenige und oft generische Sätze. Diese emotionale Abkürzung kann letztendlich wichtige mentale Prozesse wie Trauer und Schmerz erschweren. Darüber hinaus kann uns vor allem der permanente Aufruf, glücklich und positiv zu sein, besonders unglücklich machen.

Dies scheint natürlich nicht die Intention der Personen der drei folgenden Accounts zu sein. Die meisten von ihnen möchten „helfen” und die Menschen dort abholen, wo sie sich in diesem Moment mental befinden. Und wer kann schon von sich behaupten, nicht hier und da mal über einen Insta-Sinnsspruch zu stolpern, der perfekt zur eigenen akuten Lebenssituation passt? Das wirkt dann vor allem zwischen Hiobs-Botschaften, utopischen Körperbildern und Happy-Life-Dokumentationen ermutigend und entspannend für Herz und Seele.

Drei Accounts hinter Instagram-Sprüchen beantworten die Fragen nach dem Warum

Helfen kann ein Spruchbild also tatsächlich für den Moment, aber auch nachhaltig? Oder hat die Macht der Worte auf Instagram denselben kurzweiligen Effekt wie seine Bilderwelt? Mit therapeutischen und medizinischen Maßnahmen sowie notwendigen inneren Prozessen können sie ganz sicher nicht verglichen werden, aber sie scheinen so oder so zu funktionieren: Berühmte Quote-Seiten haben eine Followerschaft in Millionenhöhe und sprießen nach wie vor aus dem Datenboden der bunten Plattform.

Noch vor Ausbruch der Coronavirus-Pandemie haben wir die Menschen hinter drei Instagram-Accounts gebeten, ihr Archiv zu durchforsten. Rusty (@depressingfridgepoems), Christina (@quotesbychristie) und Cally (@emotions_therapy) stellen sich persönlich vor: Wer sind die Menschen hinter den schnell publizierten Sprüchen, welche Message wollen sie hervorheben? Verdienen sie durch ein paar Worte das große Geld? Welche Bedeutung schreiben sie etwas zu, was eigentlich als „nachdenklicher Spruch mit Bild” angefangen hat? Ist ihr Instagram-Account für sie vielleicht sogar eine Form des Aktivismus?

Rusty, @depressingfridgepoems“

„Mein Name ist Rusty Epstein und ich schreibe traurige Gedichte, die man an den Kühlschrank pinnen könnte. Das Schreiben ist nicht mein Hauptjob, aber ich arbeite in New York im Bereich Content-Strategie. An sich steckt keine bestimmte Botschaft hinter meinen Gedichten, aber ich glaube fest daran, dass Traurigkeit universell und daher relatable ist – und aus irgendeinem Grund finden wir diese Dinge manchmal lustig. Es geht darum, Komik in traditionell nicht leichtherzigen Dingen zu finden. Ich bin in keiner Weise Aktivist, ich bin nur ein Typ mit einem Kühlschrank und ein paar Magneten.”

Christina, @quotesbychristie“

„Mich mit wenigen Worten zu beschreiben, ist viel schwieriger, als es scheint! Ich würde sagen, dass ich einfach täglich das Ziel verfolge, ein guter Mensch zu sein und den Menschen zu helfen, wo immer ich kann. Neben der meinem Account Quotes by Christie arbeite ich hauptberuflich als Marketing Specialist in einer Software-Firma. In letzter Zeit habe ich immer mehr versucht, mit meinem Account Geld zu machen, und es hat mir viel Spaß gemacht, mit verschiedenen Unternehmen und Personen zusammenzuarbeiten, die ihre Marke durch schöne Worte promoten wollen.

Ich denke, wenn Leute von „der Macht von Worten” sprechen, meinen sie in Wirklichkeit den Einfluss, den Worte darauf haben, ob sich Menschen mit ihren Erfahrungen und Gefühlen weniger allein fühlen. Ich weiß, dass mir selbst jene Worte und Zitate im Gedächtnis geblieben sind, die ich genau zum richtigen Zeitpunkt in meinem Leben gelesen habe. Sie haben zum Nachdenken angeregt, so nach dem Motto: „Oh wow, das haben andere Leute auch durchgemacht, ich bin nicht allein“.

Ich denke, wenn Leute von „der Macht von Worten” sprechen, meinen sie in Wirklichkeit den Einfluss, den Worte darauf haben, ob sich Menschen mit ihren Erfahrungen und Gefühlen weniger allein fühlen.

Mein Account verbreitet hoffentlich die Botschaft, dass wir uns am Ende des Tages alle so viel ähnlicher sind, anstatt dass wir uns unterscheiden. Wir alle wollen uns geliebt fühlen, wir alle wollen uns sicher fühlen, wir alle wollen, dass man uns sagt, dass es uns gut geht und dass sich die Dinge zum Guten wenden werden. Ich weiß nicht, ob ich mich selbst als Aktivistin bezeichnen würde, denn ich glaube nicht, dass ich versuche, etwas zu ändern. Ich versuche nur, etwas hervorzuheben, das bereits existiert. Ich hoffe, dass meine Worte und die Interaktion, die sie erhalten, den Menschen als Erinnerung daran dienen, wie ähnlich wir uns alle sind. Wenn wir das erkennen, hoffe ich, dass wir uns unseren Mitmenschen gegenüber ein wenig nachsichtiger, weniger verurteilend und ein bisschen liebevoller verhalten.”

Cally, @emotions_therapy“

 

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Your feelings can’t control you unless you let them. You can’t control what happens. You can’t control what goes on. You can control how you react and what you do about it. Not everything will be great. Some things will come at you and you’ll have to be strong. It’s okay to break down as long as you get up. It’s okay to feel hopeless as long as you realize you’re not. Challenge those negative thoughts with good ones. Challenge yourself to be better than you were yesterday. You’re stronger than you give yourself credit for. You will be okay, I promise. Tags: #suicideprevention #eatingdisorderrecovery #anorexiarecover #mentalhealthawareness #youarenotalone #loveanimals #beyourself #lovequotes #quotestoliveby #anxiety #depressionhelp #ocdawareness #ptsdawareness #eatingdisorder #selfcare #selflove #loveyourself #equality #depression #bpdawareness #ocdrecovery #depressionhelp #depressionawareness #anxietyisreal #malementalhealth #femaleempowerment #equality #youareenough #itsajourney #growthmindset #mentalhealthawarenessmonth #branded

Ein Beitrag geteilt von My name is Cally 🌊 (@emotions_therapy) am

Ich würde mich selbst als „mutig verletzlich” bezeichnen. Ich möchte wachsen und ich möchte mich weiter vorwärts bewegen, denn dafür ist das Leben da. Am Ende ist man nur das, was man getan hat. Wir müssen ein denkwürdiges Vermächtnis hinterlassen, ganz gleich, wie viele Menschen es sehen.

Ich sehe Worte als ein Ventil, zusammen mit vielen Formen der Kunst, zum Beispiel Musik, Theater, Malen, Zeichnen.

Mein Instagram-Konto ist mir sehr wichtig. Ich habe das Profil erstellt, nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, in das ich aufgrund meiner schlechten psychischen Verfassung und der Gefahr, mir selbst etwas anzutun, gekommen war. Je größer das Konto wird, desto mehr sehe ich, wie viel ich gewachsen bin. Ich habe so lange mit einer Essstörung (Anorexie), Zwangsstörungen, Angst und Depression gelebt, dass diese Dinge begannen, mich zu definieren. Diese Plattform aber hat mir so sehr geholfen, zusammen mit anderen Dingen. Außerhalb von Instagram gehe ich zur Schule, schwimme bei Wettkämpfen, bin Teil einer Umweltgruppe und dem Redner-Team meiner Schule. Bis jetzt habe ich noch kein Geld durch Instagram verdient und profitiere nicht finanziell davon.

Ich sehe Worte als ein Ventil, zusammen mit vielen Formen der Kunst, zum Beispiel Musik, Theater, Malen, Zeichnen. Die Kraft liegt in unserem Körper und in unserer Stimme, aber die meiste Zeit schweigen wir selbst. Wir sollten das nicht tun, wir sollten uns leben lassen, um das Leben voll zu erfahren. Ich persönlich stehe hinter meinem Kanal, um zu lernen, mir selbst und anderen zu helfen. Wachsen ist das Beste, was man tun kann. Es ist erstaunlich, anderen dabei zu helfen, für sich selbst besser zu werden. Mein Instagram hat mir auch geholfen, meine aktivistische Seite zu erwecken. Ich würde sagen, in mir wächst mein Aktivismus für alles, was gut ist, wie zum Beispiel geistige und körperliche Gesundheit, Tierschutz, Umweltschutz, Menschenrechte und so vieles mehr. Die Welt ist ein großer Ort, und es gibt so viel, was wir hier noch in Ordnung bringen müssen. Ich würde gerne daran mitwirken, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

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