So verarbeite ich den plötzlichen Tod meines Vaters

Foto: Youssef Naddam via Unsplash
Unsere Autorin schreibt hier über den Tag, an dem ihr Vater völlig unerwartet verstarb. Von der Kommunikation mit der Trauer.

Am Anfang fühlt sich alles an wie in einem Film. Mamas Anruf Donnerstagmorgen um acht Uhr, die einstündige Fahrt ins Krankenhaus mit den gleichen, permanent im Kopf kreisenden Gedanken: „Es ist bestimmt nichts Schlimmes passiert. Vielleicht ist es bloß ein kleiner Herzinfarkt. Papa ist nie krank. Mama war bloß panisch. Es wird schon alles gut sein.“ Die An­kunft in der Notaufnahme und die Ärztin, die mich in einen völlig leeren Raum führt. Und plötzlich steht die Zeit still…

„Es tut uns sehr leid, das Herz ihres Vaters hat aufgehört zu schlagen. Wir konnten nichts mehr für ihn tun.“

Ich schreie, weine, schlage um mich. Von einer auf die andere Sekunde bricht mein Herz in tausend Teile und ich kann kaum atmen. An das, was in den darauffolgenden Wochen passierte, kann ich mich nur noch vage ­erinnern.

Ein Jahr nach dem Tod meines Vaters: Mit den Schmerzen leben lernen

Heute, mit 28 Jahren, genau ein Jahr, drei Monate und elf Tage nach dem plötzlichen, und völlig unerwarteten Tod meines Vaters bin ich endlich in der Lage, da­rüber zu schreiben [Anm. d. Red.: Stand 2o19]. Wie es sich anfühlt? Erschreckend ähnlich zu damals. Wie betäubt, aber gleichzeitig sind da diese qualvollen Schmerzen – nur habe ich gelernt, mit den Schmerzen zu leben.

Ich persönlich halte nichts von abgedroschenen Sprichwörtern wie: „Die Zeit heilt alle Wunden.“ Das ist meiner Meinung nach nicht wahr und kann auch gar nicht möglich sein. Der Verlust bleibt immer der Gleiche – egal wie viel Zeit vergeht. Was sich ändert? Nach einiger Zeit, habe ich damit angefangen, mich ernsthaft mit dem Thema Tod auseinanderzusetzen, ihn wahrzunehmen, zu erforschen und ihn für mich selbst irgendwie zu akzeptieren. Das Schlimme ist, der Mensch kann sich an alles gewöhnen. Selbst an die schlimmsten Umstände. Ja, wir sind in der Lage, beinahe alles zu ­ertragen.

Erinnern, trösten – und überfordert sein

Und dann denke ich oft, dass Trauer etwas sehr Egoistisches ist. Ich bin traurig, den Menschen nicht mehr in meinem Leben zu haben. Papa selbst hat nichts von seinem Tod gemerkt, haben die Ärzte gesagt. Das sollte mir eigentlich ein Trost sein. Dennoch warte ich auf den Zeitpunkt, an dem ich wieder schöne Geschichten erzählen und mich über unsere gemeinsamen Zeiten freuen kann. Wann kann ich wieder an Papa denken, ohne direkt loszuweinen?

Die Menschen in meinem Umfeld sind heute immer noch überfordert. Übel nehme ich es niemandem. Ehrlich gesagt waren mir ihre Reaktionen auch egal. So etwas zählt nicht, so etwas ist nicht wichtig. Wichtig ist nur, dass die Menschen da sind, die dir Kraft geben. Meine Familie, mein Freund und meine besten Freundinnen. Hauptsache, sie waren da – reden wollte ich gar nicht.

Nach dem Tod meines Vaters ist Therapie Massage für den Kopf

Aber reden musste ich. Mittlerweile bin ich seit zehn Monaten in Therapie, um damit zurechtzukommen, einen der wichtigsten Menschen in meinem Leben verloren zu haben. Ich hätte nie gedacht, dass es mir guttun würde, mit einer fremden Person über meinen Papa zu sprechen, doch ich merke, wie sehr es mich befreit. An einem festen Termin in der Woche darf ich ohne Scham so richtig traurig sein, einfach losweinen, schreien und über nichts anderes nachdenken oder sprechen. Es ist wie ein Safe Space, ein Ventil für meine Gefühle, fast wie eine Massage für meinen Kopf.

Papa, alles, was mir bleibt, sind diese Zeilen und die Hoffnung, dass du sie irgendwie lesen kannst. Ich sende und irgendwie weiß ich, du empfängst.

Trotzdem wünschte ich, ich könnte noch ein letztes Mal mit ihm sprechen. Ich würde ihm einfach nur zum abermillionsten Mal sagen wollen, was für ein wundervoller Mensch er gewesen ist und wie stolz ich bin, so einen Vater gehabt zu haben. Nur ist es für diese Art der Kommunikation nun zu spät. Und alles, was mir bleibt, sind diese leeren Seiten und die Hoffnung, dass du sie irgendwie lesen kannst. Ich sende und irgendwie weiß ich, du empfängst. Aus „bist“ wurde „warst“ und aus „haben“ „gehabt“. Aber ich weiß, dass die meisten Menschen auf der Welt irgendwann meinen Schmerz spüren werden – die einen früher, die anderen später. Und auch wenn sich das jetzt gemein anhören mag: Ich fühle mich wegen dieses Wissens ein wenig besser, denn ich weiß, ich bin nicht allein.

„Du warst und bleibst der Beste”

„Wer sich an andere hält, dem wankt die Welt, wer auf sich selber ruht, der steht gut.“ Das war der Spruch, den du damals in mein Poesiealbum geschrieben hast. Du hast ihn einfach mitten ins Buch geschrieben und ich habe dich gefragt wieso. Deine Antwort darauf war: „Man muss nicht immer alles so machen wie die anderen.“ 

Papa, danke für all diese Worte, die so viel in mir ausgelöst haben. Du hast mir so viel auf meinen Lebensweg mitgegeben und ich konnte dir nie sagen, wie sehr du mir damit geholfen hast. Du warst der Beste und wirst es immer sein. Auch wenn du jetzt nicht mehr bei mir sein kannst, deine Worte werden immer in meinem Kopf bleiben, das weiß ich!

Text: Nadine de Buhr 

Dieser Beitrag wurde ursprünglich am 02. Dezember 2019 veröffentlicht. 

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