Ein Tag in Belgrad

„Ihr wollt das neue Berlin? Ich gebe euch mein Belgrad.“

Belgrad wird heute oft als das neue Berlin bezeichnet. Warum wir immer einen neuen Vergleich suchen, ist noch ein Rätsel. Fest steht, Mieten und Lebenshaltungskosten in Belgrad sind günstig, Korruption regiert das Land, und – es sei denn, man möchte ein Unternehmen aufbauen – hier herrscht die Freiheit des Individuums mit Geld. Dieses Gefühl weht durch die ganze Stadt bis hin zu den Zara-Kleidchen, die seit 2007 auf dem Silicon Valley-Strich in Dorcul, wie Designer-Couture getragen werden. Künstlerkollektive richten sich in leerstehenden Fabriken ein, Clubs und Bars finden sich zu Hauf und auch tönen neue Klänge aus dem Untergrund abseits des kreischenden Turbofolks. Die Nächte Belgrads sind endlos und münden in Tage, die auf den gewundenen Straßen stattfinden.

      

Es ist September, ich fliege von Berlin nach Belgrad. Ich weiß, dass es in Belgrad heiß sein wird. Hier kann man den Sommer verlängern. Am Flughafen steht der Taxifahrer meines Onkels mit meinem kyrillischen Namensschild und wir fahren durch die schwüle Nacht in Richtung Stadtzentrum. Ich will mich anschnallen und er lacht kurz auf. „Prava svabica“ (richtige Kartoffel), sagt er zu mir. Am berüchtigten Stadion des Roten Sterns bleiben wir stehen und ich gehe in die Wohnung, in der meine Mutter aufwuchs. Am nächsten Tag will ich zur Ada Ciganlija – das Naherholungsgebiet für das Belgrader Stadtvolk. Der Flussarm der Sava, der zum See umfunktioniert wurde, bietet im Sommer alle Vornehmlichkeiten, die sich der gemeine Stadtmensch gönnen mag – Fahrradtouren um den See, Wasserski und Schwimmen im See, Bier trinken und Fleisch konsumieren am See. Als ich an der Ada ankomme, ist es diesig, wenige Menschen sind zu sehen. Ein fremder Mann und ich geben uns ein kleines Wettschwimmen im grünlichen Wasser und vor dem FKK-Bereich empört sich eine Frau lauthals über das nackte Gevölk. Die Stille am See törnt mich irgendwann ab und ich beschließe einen Spaziergang über die neue Brücke (Most na Adi) nach Novi Beograd zu machen. Novi Beograd ist der Stadtteil, den Tito während seiner Amtszeit aufbaute und in dem er jegliche brutale Architekturträume auslebte. Diese Wucht lässt einen ganz schön klein werden. Ich nehme also eine Baseler Oldtimer-Tram aka. Draemmli in Richtung Altstadt, die freudig verkündet: «Die Schweiz und die Stadt Basel grüßen Belgrad.»

Belgrads gebrochenes Stadtbild erzählt die historische Geschichte der “weißen Stadt”. Die zum Teil noch zerbombten Gebäude, die sich wie Krater auftun, erinnern an die jüngste Geschichte, in der Belgrad Ende der 90er-Jahre zum Ziel von Nato-Bomben wurde. Diese unterschiedlichen Einflüsse, die sich über Jahrhunderte etablierten, stehen in sonderbarer Einigkeit miteinander und beeinflussen den Charakter der Stadt. Der Palacinke Stand, der sich neben dem bosnischen Cevapcici Grill (die Besten, da sie ausschließlich aus Rind gemacht werden!) einreiht, nebst der Bäckerei, die Burek und Pita anbietet. Die Draemmli Bahn erreicht die Festung Kalemegdan, die sich über ein begrüntes Plateau erstreckt, von der man die Sava und die Donau sehen kann. Hier gibts es, neben den saufenden Jugendlichen und älteren Herrschaften mit Buch, auch einen neuen Dino-Park, der sich in die Reihe der Absurditäten der serbischen Neuzeitkultur eingliedert. Ein Ausgang des Kalemegdan führt auf die “Flaniermeile” Knez Mihailova. Es ist die Haupteinkaufsstraße, das Prunkstück der Stadt und wird von Bauten im Jugendstil eingerahmt. In der Jugend meiner Mutter wurde die Knez Mihailova als Flanierstrich belagert und auch heute laufen sich hier die überdurchschnittlich schönen Frauen ihre Hacken wund. Der Frauenüberschuss, der sich als Folge des Krieges durch das Land zieht, maskiert sich hier als visuelle Hochglanzparade. Bevor der Abend mich schluckt, besuche ich noch das Restaurant Mala Fabrika Ukusa, in die Nähe des Viertels Autokomanda.

       

Das Essen schmeckt einfach gut, ohne pretentiöse Schlenker. Stichwort authentische Küche aus lokalen Anbaugebieten. Auf meinem Spaziergang in Richtung Centrala Bar, laufe ich an der orthodoxen Kirche des heiligen Sava vorbei, die in der Nacht hell erleuchtet ist und ohrenbetäubend zur vollen Stunde lärmt. In der Bar angekommen, zeigt sich ein Publikum unterschiedlicher Altersgruppen – Schulter an Schulter reiben sich Generationen, die sich im trinkenden Usus miteinander vereinen. Ich treffe dort eine gute Freundin, mit der ich mir, für unfassbar wenig Geld, ziemlich einen reinstelle, auch gemessen der Tatsache, dass ich einen alten Freund meines Onkels treffe, der sich nicht nehmen lässt, uns gebührend in den restlichen Abend zu verabschieden. Die Luft des Spätsommers hängt in den Straßen und wir laufen zum KC Grad (Kulturni Centar Grad) in Savamala, das in dem 1884 erbauten Fabrikgebäude regelmäßig Konzerte, Filmaufführungen und Parties veranstaltet, aber noch Gefahr läuft, mit Hilfe von einem mehrstelligen Investement aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, einem neuen, besseren Stadtteil inklusive dem höchsten Turm zwischen Wien und Istanbul weichen zu müssen. Es sind solche Entwicklungsfragen, die das Land spaltet. Das KC Grad wummert vor Leuten, die sich eklektisch zu Trap bewegt. Draußen labert mich ein Däne zu: “It’s so amazing, so cheap … so much fun, so many nice people. Where are you from?“ – „Wonderland.“ Die Straßen sind aus flüssigem Gold gegossen und ich bade im Strudel meiner Rakija-durchweichten Birne. Ich bin genervt, meine Freundin grinst. Sie zuckt mit den Achseln, und ich weiß, dass das alles besser ist als die Zeit, in der Belgrad wie eine abgeschnittene Insel behandelt wurde. Als nächstes fahren wir mit dem Taxi zu den Splavs, in denen sich Restaurants, Bars und Clubs an dem Ufer aneinanderreihen. Das 20/44 ist das Underground-Boot, wird mir gesagt, und während die kyrillischen Schriftzüge vor meinen Augen verwischen, geh ich zur Tanzfläche, die sich im Licht der Festung Kalemegdan der Stadt ergibt.

HOT SPOTS:

Sarajevski Cevap
Bosnische Cevapi sind die Besten – das hier ist ein Tipp für jede Tages- und Nachtzeit.
Cara Dušana 32

Mala Fabrika Ukusa
Serbische Küche mit Qualitätsstempel – unbedingt die heimischen Weine dazu probieren.
Nebojšina 49
https://www.facebook.com/malafabrika/

Centrala Bar

Eine von den typisch-serbischen Kafanas, in denen man den ganzen Tag verbringen kann und von Kaffee über Tee zum Bier kommt.
Simina 6

KC Grad
Hier finden täglich unterschiedliche, kulturorientierte Veranstaltungen statt – entweder einfach vorbeischauen oder das Programm im Internet checken.
Braće Krsmanović 4
http://www.gradbeograd.eu/

20/44
Die beste Tanzfläche der Stadt im Frühling, Sommer und Herbst.
Potpalublje broda 20/44 , Savska BB

Bivsi Bar
Die Besitzer des bekannten Drugstore gehört diese Bar, die im Erdgeschoss eines Wohnhauses gelegen ist. Das Publikum kennt sich untereinander und gay-friendly.
Kosovska 32

Ben Akiba
Eine der ersten Comedy Clubs in Belgrad. Der Besuch lohnt sich besonders bei Auftritten von Oliver Sotra
Braće Krsmanović 6

Zaokret
Im Gelände einer ehemaligen Bierbrauerei, hat sich him letzten Jahr eine Konglomerat an Bars und Cafes eingefunden – unter anderem Zaokret.
Dort kann man tagsüber arbeiten und unproblematisch zum Feierabend-Drink übergehen.
Cetinjska 15

Kafana Prolece
Typisch serbische Küche zu günstigen Preisen und einem wunderschönen Garten.
Vuka Karadžića 11

Gradska
Hier gibt es: Fleisch, Fleisch und noch mal Fleisch.
Visokog Stevana 43A (Mike Alasa 54)
http://gradska.rs/
Visokog Stevana 43

Moritz Sladoled
Entsprechend der Slow-Food Bewegungen wurde dieses Eis in Serbien geboren und verbreitet sich nun im balkanischen Raum.
http://www.moritzeis.com/en/locations/

Jevremovac Botanischer Garten
Der botanische Garten der Universität Belgrad liegt mitten in der Stadt und ist einen Besuch wert, wenn man sich dem Trubel entziehen möchte.
Takovska 43

Idiot Bar
Direkt neben dem botanischen Garten ist die Idiott Bar, eine Insitution der Rockszene Belgrads.
Dalmatinska 13

Przionica Café
Serben sind nicht unbedingt für ihren guten Kaffee bekannt, aber hier findet man den Besten der Stadt.
Dobračina 59b

 

TEXT & FOTOS: Kristina Jovanovic // projectparadeis.com

 

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