Balbina: Liebe auf den zweiten Blick

Wer die Musik von Balbina zum allerersten Mal hört, begibt sich mit seinem Ohr in ungewohnte Gefilde. Die Newcomer-Sängerin aus Berlin rebelliert gegen die Harmonie der Jedermann-Musik und sägt mit ihrer Stimme an unseren Nerven.

Auf ihrem neuen, in den Feuilletons hoch gelobten Album „Über das Grübeln“ trällert Balbina Geschichten von alltäglichen Gegenständen wie „Oropax“, „Wecker“ oder „Tisch“ und rangiert ihre Stimme von tief zu schrill, wie es ihr gerade in den Kram passt. Und trotzdem: Man drückt den Repeat-Knopf, weil die Musik besonders ist, weil es gut tut, für einen Moment aus der ewig gleichen Radiogedudel-Schleife auszubrechen. Bei genauerem Hinhören wird aus den nichtigen Dingen eine Metapher, die durch die auffällig unterschiedlichen Tonlagen an Bedeutung gewinnen. Die Songs werden zu Gedichten, die einen nicht mehr loslassen, vorgetragen von Balbina. Wir haben die Kreateurin der ungewöhnlichsten deutschen Popmusik seit Nina Hagen zum Interview gebeten.

Du bist in Neukölln aufgewachsen, ein waschechtes Ghetto-Kind sozusagen. Deine Musik ist allerdings mehr Conscious als Gangsta. Wie hast du es geschafft, deine Peer Group zu umgehen und dein eigenes Ding durchzuziehen?
Bei uns zu Hause wurde viel gelesen. Meine Mama hat mir viel von verschiedenen literarischen Welten mitgegeben. Das hat dazu geführt, dass ich schon sehr früh angefangen habe, Texte zu schreiben. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich am liebsten Gedichte schreibe. Aus den Gedichten wurden dann Songtexte. Damit war ich gut und gerne beschäftigt. In der Schule habe ich nur die Zeit abgesessen. Ich habe nie wirklich Anschluss gesucht an das Umfeld, in dem ich stattgefunden habe. Ich war nie auf Partys und habe auch niemandem erzählt, dass ich gerne singe oder Gedichte schreibe. Ich habe das sehr für mich selbst gemacht.

Aber braucht es nicht gerade als Teenager auch mal Feedback von Gleichaltrigen, um sicherzugehen, dass das, was man da vor sich hinwerkelt, auch ankommt?
Ja, klar wollte ich irgendwann wissen, was die anderen von meinen Texten halten. Wir sollten in der Schule mal einen längeren Textaufsatz schreiben. Ich habe dann gedacht: „Okay, ich zeig mal, was ich kann.“ Die Lehrerin hat es damals vorgelesen und die Mitschüler haben meinen Text wahnsinnig ausgelacht und fanden das irgendwie blöd. Das war das erste und letzte Mal, dass ich in diesem Umfeld etwas präsentiert habe.

Hat dich aber nicht wirklich eingeschüchtert. Du hast offensichtlich weitergemacht …
Ja. Und ich frag mich ehrlich gesagt bis heute, wie es sein kann, dass ich immer weitergemacht habe, ohne gesagt zu bekommen, dass das gut sei, was ich mache. Ich hatte auf jeden Fall kein übermäßiges Selbstbewusstsein. Ich glaube, es war eher meine Leidenschaft fürs Schreiben. Ich hatte auch Phasen, da dachte ich, ich könne nichts, und habe alles weggeschmissen, was ich geschrieben hatte. Aber ich habe es nicht aufgegeben, weil ich diesen inneren Drang habe. Egal ob ich den ganzen Tag in der Schule war oder am Geldverdienen oder sonst wo. Ich musste immer nebenher texten.

Was sich gelohnt hat! Einige Deutsch-Rapper wurden auf dich aufmerksam. Wie kam es dazu?
Das ging über mehrere Wege. Zum einen kenne ich Biztram schon sehr lange und mit ihm hab ich auch mein erstes Album „Bina“  produziert. Er hat mich vielen Rappern vorgestellt. Gleichzeitig gab es so einen Untergrund-Shop, der hieß „Royal Bunker“; das war auch ein Label und dort haben diese Rapper releast. Ich bin da auch ab und zu hingegangen und habe mir Kassetten oder CDs geholt. Der Laden war klein, die Szene auch. Man kannte die Leute automatisch und hat sich ausgetauscht so von wegen „Was machst du so?“ und „Ich mach das“ und „Wollen wir nicht mal was zusammen machen?“.

Zusammengearbeitet hast du dann unter anderem mit Justus Jonas, Prinz Pi und später auch mit Maeckes …
Ja, mir hat der lyrische Aspekt an ihrer Musik gefallen. Ich habe mich nicht für Gangsta Rap oder so interessiert. Ich war eher interessiert an der Lyrik im Rap. Ich habe daran Gefallen gefunden, weil ich selbst auch so einen großen Anspruch an Texte und Worte habe und so viel schreibe.

Zum Beispiel außergewöhnliche Songtexte mit gewöhnlichen Titeln wie „Seife“, „Oropax“, „Tisch“ oder „Blumentopf“. Dir scheinen Gegenstände des Alltags besonders viel zu bedeuten …
Nur auf den ersten Blick. Mir geht es darum, in der kleinsten Instanz des Lebens eine Metapher zu finden oder eine Analogie, die etwas beschreibt, was auch größer sein kann. Bei meinem Song „Seife“ zum Beispiel habe ich die Metapher „Schwamm drüber, ich wisch das schnell weg, mit Seife geht das vielleicht“ gewählt. Der Song handelt davon, dass es bestimmte Fehler gibt, die du einfach begehst und die du nicht wegmachen kannst, weil sie einfach passiert sind. Und du versuchst, was zu vertuschen und wieder gutzumachen, aber dieser Fehler wird immer da bleiben und du wirst das immer sehen. In meinen Liedern geht es dann letztendlich nicht um die Alltäglichkeit, sondern sie ist nur ein Mittel des Ausdrucks.

Wenn man das erste Mal „Seife“ hört, fällt sofort auf, dass deine Stimme an der ein oder anderen Stelle ungewöhnlich tief klingt, fast männlich. Musst du deine natürliche Stimmlage sehr verstellen, um diesen Klang zu erreichen?
Nein. Es ist meine Stimmlage. Ich habe das Glück, dass ich eine relativ tiefe Range habe, und benutze das gerne als Stilmittel. Ich verwende es häufiger, wenn ich bestimmten Worten besonders viel Ausdruck verleihen möchte. Allerdings fand ich das erst mit der Zeit gut, dass ich so tief komme. Früher in der Schule im Schulchor wurde ich immer in den Alt gesteckt und als Mädchen möchte man ja lieber die hohe Stimme und die schönen Sachen singen. Ich habe immer darunter gelitten, dass die Leute gesagt haben: „Nee, du klingst wie ein Junge, du bekommst die tiefe Stimme.“ Irgendwann habe ich dann Gefallen daran gefunden, weil es besonders war und weil ich gesehen habe, dass ich damit Songs machen kann, bei denen sich die Leute denken: „Hä? Das klingt jetzt irgendwie anders. Das hör ich mir mal genauer an.“

Auch deine Musikvideos sind irgendwie anders. Steckt da dein Kopf dahinter?
Die Ideen für meine ersten beiden Videos habe ich zusammen mit Maeckes [Rapper bei den Orsons; Anm. d. Red.] entwickelt. Er ist ein sehr guter Freund von mir und wir haben einen sehr ähnlichen Blick auf die Dinge. Maeckes hat dann auch Regie geführt. Allerdings ist er ja auch in einer Band und zeitlich nicht immer flexibel, daher habe ich bei den letzten Videos selbst die Regie übernommen. Ich bin ja keine ausgebildete Videoproduzentin, das ist viel Learning by Doing. Es ist eher so ein „Ich möchte das jetzt machen und da gucken wir mal, wie wir das hinkriegen“. Ich habe mittlerweile auch schon mein kleines festes Team zusammen und weiß, dass die Bock drauf haben und wir gut zusammen funktionieren.

Deine Outfits in den Videos sind immer äußerst extravagant. Hast du jemanden, der für dich designt?
Ich arbeite mit Susann Bosslau zusammen, das ist eine junge Designerin aus Berlin. Sie hilft mir dabei, Inhalte, die ich auf vertontem Wege der Menschheit präsentieren möchte, auch über die Kleidung widerzuspiegeln. Dabei richten wir uns nicht nach einer bestimmten Mode, sondern machen Silhouette und Stofflichkeit passend zur Denkweise. Das muss dann aber nicht unbedingt einem bestimmten Songtext entsprechen. Ich wollte beispielsweise ein Kleid aus Papier, weil ich auf Notizblöcke schreibe und Papier mein Handwerkszeug ist.

Während der Julian Zigerli Fashion Show in Berlin gab es ja schon einen kleinen Vorgeschmack auf Live-Musik und Outfits. Ab Mai geht’s dann auf die ganz große Bühne als Support Act von Herbert Grönemeyer. Bist du schon aufgeregt?
Und wie! Ich bin vor Auftritten generell sehr aufgeregt. Ich bin lieber für mich und nicht wirklich öffentlichkeits-affin. Aber mir macht es großen Spaß, den Menschen darzubieten, was ich gemacht habe, zu sehen, wie sie meine Musik hören, und mit ihnen direkt kommunizieren zu können. Das mag ich gerne. Ich glaube allerdings, dass der Grad meiner Aufregung höher als bei anderen Künstlern ist. Dass es überhaupt klappt, ist jedes Mal mit viel autogenem Training verbunden.

Wie soll es idealerweise mit Balbina weitergehen?
Mit den Musik- und Videoprojekten bin ich glücklich. Das kann alles so bleiben, wie es ist. Aber ich würde gerne mehr auftreten. Ideal wäre, wenn ich an der Stelle sein könnte, an der ich jetzt bin, nur noch mit mehr Konzerten. Das würde mich freuen.

Website: www.balbina.fm

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