Was ist deine Story? Man kann sich vorstellen, wie Künstler*innen immer wieder mit dieser Frage gequält werden, bis sich ihre Biografie auf einen griffigen, möglichst vermarktbaren Satz runterbrechen lässt. Kannste‘ vergessen bei Valentin. Nicht nur die Musik der Berlinerin ist divers, auch ihre Lebensgeschichte ist besonders und gehört ganz erzählt. Im Schnelldurchlauf: Als Wunderkind gehandelt, mit der Klarinette mal eben bei der Heidelberger Symphonie, mit 15 dann die Diagnose MS, geheime Karriere als Malerin, legt irgendwann das Pseudonym ab, wird Mutter – und jetzt frischt sie mit ihrem treibenden Sound die Queer-Szene auf.
Valentin ist Autodidaktin. Ausgerechnet das altmodisch anmutende Fremdwort beschreibt dieses kreative Power House doch am besten. Sie hat Beats im Kopf und am Rechner übersetzt sie die wie selbstverständlich in ein Soundgewand, das nur sie kleidet. „Ich musste mir nie irgendwas beibringen lassen. Wenn ich meine Tracks baue, dann muss ich nicht herumprobieren, welches Instrument oder welche Melodie da nun zu passt. Sondern mir ist immer direkt klar, was ich nun als nächstes tun muss und baue Schritt für Schritt den Beat, als würde ich den Song schon kennen. Das ist echt verrückt“, erzählt sie im Interview. Und betont, dass sie auch bewusst allein arbeitet, um authentisch zu bleiben. „Und wenn ich nun mit irgendwem zusammenarbeiten werde, der mich in eine Schublade stecken möchte, in die ich gar nicht gesteckt werden will? Wir müssen uns treu bleiben und uns nicht verführen lassen, von irgendwas oder von irgendwem, der falsche Versprechungen oder Prophezeiungen für die Zukunft gibt.“
„Für mich steht immer im Vordergrund, dass jeder alles machen kann, was er oder sie möchte und sich von nichts aufhalten lassen soll“
Im Gespräch lässt sie immer wieder solche Sätze fallen, die heroisch klingen. Die einen ermuntern, sein Ding durchzuziehen. Sie ist der Beweis dafür, dass Multiple Sklerose einem das Rückrat nicht nehmen kann – und das macht sie jetzt öffentlich. „Letztens habe ich noch darüber nachgedacht, dass ich total stolz darauf bin zu sagen, dass ich Musikerin und Mutter bin, aber ich setz‘ mich in ein gemachtes Nest. Es gab ganz viele Mütter, die nicht arbeiten konnten und dafür gekämpft haben. Mit der Thematisierung von MS setzte ich mich nicht in ein gemachtes Nest, da noch viel Unwissenheit über diese Krankheit im Raum steht und ich nun die Verantwortung habe, dies ein wenig zu ändern. Ich habe mich so entschieden und ich bin glücklich damit.“ Befreiend war es für sie, auch nach fünfzehn Jahren ihren Freunden von ihrem Doppelleben zu erzählen. Es ist der richtige Zeitpunkt, denn jetzt – so bei sich angekommen – kann sie die Reaktionen tragen.
„Ich habe es früher mal ein paar vereinzelten sehr engen Freunden erzählt, und die Reaktionen waren noch sehr anders. Unwissenheit kann eben auch zu Unsensibilität führen. Und der Partner aus einer früheren Beziehung hatte das schreckliche Bedürfnis, stark auf mich aufpassen zu müssen und mich zu bemitleiden. Und das hat mich eher dazu gebracht, meine Krankheit für mich zu behalten. Ich bin dann immer stärker in diesen Strudel von Gedankenkreisen gerutscht, in denen ich mich gefragt habe, wie viel ich denn noch wert bin mit dieser Krankheit, und ob ich denn überhaupt noch etwas wert bin.“
Valentin weiß nicht, wann der nächste Schub kommt, aber was sie weiß ist, dass sie die Sensibilitätstörungen niemals davon abhalten werden, Kunst zu machen: Unter dem Pseudonym Ruth Malina wurde sie auch als Malerin deutschlandweit bekannt. Es war ihr geheimer Umgang mit der Krankheit, denn sie malte ganz abstrakt kaputte Nervenstränge. Demyelinisierung, die Zerstörung der inneren Kommunikationsleitung. Fotografieren ließ sie sich auch erst 2020, bei der GALA der DMSG „bekam ich einen Preis für ein von mir eingereichtes Video über meine Krankheit und das Leben mit MS. Da habe ich ganz spontan entschieden zu erzählen, wer ich bin und mein Pseudonym abzulegen. Und tatsächlich wurde ab der Sekunde alles besser. Jetzt habe ich mich dem gestellt und mich letztens schon mit dem ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff fotografieren lassen und dabei schön in die Kamera gelächelt. Es war wirklich sehr befreiend“, erklärt sie stolz.
Zu ihrer Community zählt Valentin innerlich Heimat- und Ziellose, die individuell, ausgegrenzt oder besonders sind. „Nicht, dass ich mich selbst als heimatlos bezeichnen würde, aber ich denke, dass es wichtig ist, Heimat zu finden. Und da habe ich auch einen langen Prozess durchlaufen müssen und ich möchte, dass meine Musik als Unterstützung bei dem Prozess von Anderen dient“, erklärt sie. Und weiter: „ Irgendwann habe ich für mich einfach festgesetzt, dass ich Songs produzieren will, in denen die Menschen ihre eigenen Geschichten und Gedanken hineinprojektieren können.“ Deshalb verzichtet sie auf einen klassichen Aufbau. Sie schmettert wortgewaltige Zeilen hintereinander, dann greift sie zur Klarinette, wenn sie es fühlt. Bei ihren Liveauftritten geht es spährisch zu, es ist ein fast unbeschreiblicher Mix aus Fashion-Techno, Electro-Pop und Fusion und feministischer Attitüde. Eben der stylische Sound einer Autodidaktin.
„Ich mache meine Musik so wie sie ist, weil ich es vermisse, dass die Menschen richtig Spaß haben und das Verlangen spüren, zu tanzen, auch zu Techno-Musik und tieferen Beats. Dass die Menschen richtig abgehen, zu Songs mit Inhalt und coolen Texten“
Heute kommt ihre erste Single „Drogen nehmen“, die EP folgt bald. Wer die Berlinerin live erleben möchte, hat auch die Chance sie als Vor-Act auf der „Limbo“-Tour zu sehen. Mehr Infos unter valentin-official.com.
Surprise: Ihr erster Song steht jetzt hier als Download zur Verfügung. Viel Spaß beim Reinhören!