Ostblock im Kopf – warum denken wir in Schubladen?

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Wir haben drei Menschen gefragt: Warum haben wir noch immer den Ostblock im Kopf – und wie bekommen wir ihn da raus?

 Wer die Wörter „typisch“ und „Ostblock“ bei Google eingibt, findet gleich auf der ersten Seite einen Artikel der „Welt“ aus dem Jahr 2008, Überschrift: „die Superfrauen“. Während der folgenden 7.000 Zeichen wirft die Autorin die Frage auf, warum Russinnen eigentlich so viel besser aussehen als Deutsche – Miniröcke, Stöckelschuhe und Markenlogos sehe man in den ehemaligen Ostblockstaaten nämlich viel häufiger. „Die deutschen Frauen sind ungepflegt, sehr grau, irgendwie alle gleich“, wird eine „Brünette mit Riesensonnenbrille“ zitiert. So weit, so klischeehaft. 

Doch so undifferenziert das Ganze auch ist, so ehrlich müssen wir zugeben: Es gibt sie, die Schubladen, in die wir Menschen aus den ehemaligen Ostblockstaaten stecken. Polen klauen, Rumänen saufen, Bulgaren betteln und Russen sind alle schön, solange sie denn weiblich sind! Wir alle kennen mindestens eins dieser Vorurteile. Und haben sie (natürlich nur im Scherz) vielleicht sogar schon einmal selbst ausgesprochen. Autsch! Das ist nicht nur alles andere als politisch korrekt, sondern auch ziemlich dumm. Und passt noch dazu so gar nicht in eine Zeit, in der wir als offene Weltbürger über nationale Zugehörigkeiten und Ländergrenzen hinweg denken. 

Warum sind Vorurteile gegenüber anderen Nationen – und vor allem die Nationen der ehemaligen Ostblockstaaten – also trotzdem präsent? Liegt es vielleicht daran, dass Länder wie Polen, Slowenien, Mazedonien oder Serbien gefühlsmäßig nicht so mühelos zu bereisen sind, wie Italien, Schweden oder Frankreich und alles Unbekannte gern mal über einen Kamm geschoren wird? Die wissenschaftliche Erklärung für sogenanntes Schubladendenken klingt simpel: Der Oxforder Experimentalpsychologe Robin Murphy fand bei einer Untersuchung heraus, dass wir Informationen, die in das eigene – wenn auch unbewusste – Schema passen, mehr Aufmerksamkeit schenken. Er stellte fest, dass das Gehirn negative Infos über eine Gruppe bevorzugt sammelt, während es positive Aussagen eher vernachlässigt. Vorurteile wirken also wie ein Filter, der die eigene Wahrnehmung beeinflusst.

Dass – noch so ein Vorurteil – nur einfach gestrickte Menschen zu Schubladendenken neigen, stimmt natürlich nicht. Denn so sehr wir uns auch um Differenziertheit bemühen, das automatische Einordnen von Menschen und Situationen begleitet jeden von uns tagtäglich; im Großen und im Kleinen. Laut Murphy hilft diese Art des Denkens dem Gehirn, die Informationslast zu reduzieren. Das machen wir, indem wir beispielsweise Menschen oder Tiere in gewisse Gruppen einordnen und das Wissen abrufen, was wir über sie haben – wer in Schubladen denkt, macht es sich also schlicht bequem. Und die Rechnung Schnabel + Federn + Flügel = gleich Pinguin statt einfach nur Vogel geht nur dann auf, wenn wir unserem Gehirn hier und da mal einen ordentlichen Arschtritt verpassen. Um die Ecke denken. Antrainierte Muster über Bord werfen und uns eine eigene Meinung bilden – auch über Länder wie Polen, Mazedonien und Lettland, sowie ihre Bewohner. Wir haben deshalb mit drei Menschen, die es wissen müssen, gesprochen und gefragt: Warum haben wir noch immer den Ostblock im Kopf – und wie bekommen wir ihn da raus? 

MASHA SEDGWICK, 30 JAHRE

Seit 2010 schreibt Masha auf ihrem Blog über Mode und Beauty-Themen und gehört zu einer der Influencer-Größen Deutschlands. Und weil auch Podcasts mittlerweile ein Muss in der Branche geworden sind, startete sie im vergangenen Jahr mit ihrer Kollegin Lisa Banholzer „Matcha Latte“ – mit vielversprechenden Titeln wie „Mit Mikropenis in der Sauna“ oder „Freundschaft mit dem Ex – ja oder nein?“.

Instagram: @masha

„Mit der russischen Mentalität verbinde ich auch immer eine gewisse Melancholie“, sagt Masha. Credit: Masha Sedgwick

„Seit ich drei bin, lebe ich in Deutschland. Geboren bin ich in der ehemaligen Sowjetunion, aber meine Mutter wollte eine bessere Zukunft für mich und ist ausgewandert. Meinen Migrationshintergrund sieht man mir nicht an und einen Akzent habe ich nur, wenn ich Russisch spreche – vielleicht werde ich auch deshalb kaum mit Klischees bezüglich meiner Herkunft konfrontiert. Als Russin, die in Deutschland aufgewachsen ist, habe ich mich trotzdem oft zwischen den Stühlen gefühlt. Vor ein paar Jahren war das noch sehr extrem, auch wegen der politischen Situation. Du hast jeden Tag die Nachrichten eingeschaltet und es hieß immer nur: Der böse Russe hier, der böse Russe da. Aber die Menschen die ich aus meiner Heimat kenne, sind nicht böse – es ist ein Klischee, dass auch von den Medien geschürt wird. Und so entsteht letztendlich auch Schubladendenken über meine Heimat. Dabei haben die Russen ein sehr positives Bild von den Deutschen und schützen sie geradezu – vielleicht auch, weil beide Völker gar nicht so verscheiden sind, wie manche denken. Zum Beispiel sind sowohl Russen als auch Deutsche sehr willensstark und fleißig. Das bewundere ich. Ich selbst kann mich aber auch nicht ganz frei von Vorurteilen machen und wenn ich etwas typisch russisches benennen müsste, kommt mir als erstes die Küche in den Sinn. Es stimmt nämlich, dass sie sehr deftig ist und wir viel mit Kartoffeln, roter Beete und Schmand machen – zum Beispiel Borschtsch. Ich bin seelig, wenn meine Oma sie kocht!

Mit der russischen Mentalität verbinde ich auch immer eine gewisse Melancholie. Und das sieht man ja manchmal auch auf meinem Blog: Ich schreibe die besten Texte, wenn ich gerade in einer melancholischen Stimmung bin. Ich fühle Musik auch am meisten, wenn ich Herzschmerz habe, da bin ich dann voll drin.

Es hieß immer nur: der böse Russe hier, der böse Russe da.

Dass man gepflegt aussehen muss, eine schöne Maniküre und gute, gepflegte Haut wichtig sind, ist vielleicht auch so ein Vorurteil – oder nicht!?. Denn Russen geben tatsächlich sehr gern Geld für schöne Dinge aus. Die Gründe dafür findet man in der Geschichte. Damals in der UDSSR war alles sehr unsicher: Heute hatte man vielleicht Geld, morgen aber nicht mehr. Und deswegen hat auch keiner gespart und es wurde alles, was man hatte, ausgegeben – auch wenn das während des Kommunismus gar nicht so einfach war.

Für mich persönlich hat all das nie eine große Rolle gespielt, weil die Leute mich ja als Deutsche wahrnehmen. Ich muss dafür im Job gegen Klischees kämpfen: Als junge, attraktive Frau, die in der Mode arbeitet, hast du gefühlt verloren. Niemand traut dir zu, dass du was in der Birne hast oder dich für Dinge abseits der Mode interessierst. Man wird oft belächelt und die Leute sagen Dinge wi: ‚Ach die muss ja nur gut aussehen und dann heiratet sie irgendwann reich‘. Es wird einem gar nicht zugetraut, dass man eigene Ziele oder einen gewissen Kampfgeist hat – und ich könnte jedes Mal an die Decke gehen, wenn ich sowas höre.“

DENA, 35 JAHRE

„Cash, Diamond Ring, Swimmingpool“ heißt der Song, mit dem Dena aka Denitza Todorova dank Ohrwurm-Lyrics, Berliner Charme und ganz viel Bling-Bling 2012 einen Internet-Hit landete. Jetzt legt die Sängerin, die ihre Musik als „Bedroom Pop“ bezeichnet, nach: Ende März kam ihre neue Single „Imaginary Friends” raus – und für die nächsten Monate verspricht sie uns noch mehr. Lets hope so!

Instagram: @dena_ftb

Sängerin Dena: „Die Chance nach Deutschland zu gehen, war für mich trotzdem einmalig – für die Generation meiner Eltern war es viele Jahre unmöglich, westliche Länder zu bereisen.“ Credit: Tonje Thilesen

„Ich war früher gegen Klischees total allergisch und habe die Leute gestoppt wenn so etwas kam wie: ‚Frankreich und seine Croissants‘. Mittlerweile habe ich erkannt, dass viele Menschen es sich mit ihrem Schubladendenken leichter machen wollen und sie sich so die Welt erklären. Ich selbst halte mich aber fern von dieser generalisierenden Denkweise – sie ist nämlich ziemlich gefährlich. Deshalb führe ich manchmal stundenlange Diskussionen mit Freunden und Bekannten, wenn sich unsere Sichtweisen unterscheiden. Klischees können ganz leicht aus dem Weg geräumt werden, wenn man auf sie reagiert. Natürlich hilft es auch immer, wenn man mal in einem fremden Land lebt. Mache ich selbst ja auch gerade: Anfang der 2000er bin ich von meiner Heimat Bulgarien nach Westdeutschland gegangen, mittlerweile lebe ich in Berlin-Kreuzberg. Anfangs war mir vieles fremd, und vor allem der Westen war ein Kulturschock. Alles war viel organisierter als in Bulgarien – und dann noch diese U-Bahnen! Mit der Dynamik von Berlin konnte ich dann viel mehr anfangen. Trotzdem ist Bulgarien für mich immer ein bisschen schräger und die Dinge funktionieren anders als hier – zum Beispiel nickt man mit dem Kopf für ‚nein‘ und schüttelt ihn für ‚ja‘. 

Ich hatte früher oft das Gefühl, aus der falschen Ecke zu kommen.

Aber es ist schon ein Move, wenn man in ein Land zieht, in dem nicht die eigene Muttersprache gesprochen wird. Als Nicht-EU-Bürger hatte ich früher oft das Gefühl, aus einer Art ,falschen‘ Ecke zu kommen – das hat mich sehr geprägt. Die Chance nach Deutschland zu gehen, war für mich trotzdem einmalig – für die Generation meiner Eltern war es viele Jahre unmöglich, westliche Länder zu bereisen. Ich denke das hat die Menschen und ihre Mentalität verändert, Mythen und eben auch Klischees hervorgebracht, mit denen sie sich die Welt hinter der Mauer verständlicher machen wollten. Um dem entgegen zu wirken, müssen wir viel mehr lesen und uns tiefsinniger über die Welt informieren – gerade in Zeiten, in denen man nur noch Headlines im Twitterfeed liest.“

ANNA RAKHMANKO, 29 JAHRE

Ein Pappkarton oder eine Kleiderstange samt Klamotten, dazu die Aufschrift „zu verschenken“: Berlin und andere deutsche Großstädte sind voll davon. Anna Rakhmanko und ihre Freundin Karina Papp haben sich diese Tatsache zunutze gemacht und zeigen auf ihrem Blog „Found on the Street“ – ihr könnt es euch denken – ihre liebsten Fundstücke von der Straße. 

Instagram: @found_on_the_street

„Die russische Frau, das sibirische Mädchen, die Spionin – mir sind in Deutschland schon so viele Leute mit Klischees begegnet. Ich selbst versuche immer, neugierig und unvoreingenommen zu bleiben. Genau wie meine fünfjährige Tochter: Es ist wunderschön zu sehen, wie offen sie ist – sie weiß noch gar nicht, was Vorurteile oder Klischees sind und macht vieles ganz frei aus ihrem Herz heraus. 

„Warum es gerade in Bezug auf den Osten so viele Klischees gibt? Ich glaube das liegt daran, dass dieser Teil der Erde immer noch so unentdeckt ist“, sagt Anna von foundonthestreet.

Wie viele junge Menschen aus Deutschland waren schon mal in Russland, Belarus oder zumindestens in der Ukraine, wo man kein Visum braucht? Auch die Medien tragen dazu bei, dass existierende Klischees verstärkt werden. Manchmal ist eben einfacher zu sagen: Das hier sind die Guten und hier leben die Bösen, als sich genauer mit einer Sache zu beschäftigen. Und der Osten, vor allem Russland, produziert ja andersrum auch viele Klischees über den Westen! 

Berlin hat mich mutig gemacht – nicht nur, was Klamotten angeht.

Aber es gibt auch gängige Vorurteile über Russland oder allgemein den Osten, die stimmen. Zum Beispiel was den Alkohol betrifft. Ich habe 2016 eine Reise durch Russland gemacht, 25 Städte gesehen – und viel zu viele betrunkene Menschen auf der Straße getroffen. Das hat mich sehr getroffen. Andererseits gibt es auch viele schöne Dinge, die typisch russisch sind – wie die Liebe zur Literatur! Sehr viele meiner Freunde in Russland oder auch Sibirien lesen unglaublich gerne. Aber wir können auch anders. Meine Freundin Karina, mit der ich unseren Blog mache, sagt immer: ‚Die Art wie Russen feiern, können sich amerikanische Hip-Hopper nicht mal in ihren kühnsten Träumen vorstellen. Wir lieben große Gesten und epische Momente!‘

Natürlich habe auch ich manchmal Vorurteile. Als ich vor fünf Jahren nach Berlin gekommen bin, war ich überrascht, wie die Menschen auf der Straße rumlaufen. So bunt und kreativ – das hatte ich so nicht erwartet! Berlin hat mich mutig gemacht – nicht nur was meine Klamotten angeht. Es geht auch darum, seine Meinung zu sagen, wenn einem etwas nicht passt, und sich zu trauen, Dinge zu ändern. Aber es gibt auch Sachen, die mich nach so vielen Jahren in Deutschland stören. Vor allem dass die Menschen sich immer so ‚stressen‘, wie man hier sagt. Ich finde, sie sollten lernen, ein bisschen lockerer zu werden. Eine schlechte Note oder anstrengende Nachbarn? Entspannt euch!“

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