Schlussmachen hat ja auch etwas Befreiendes. Deshalb hört Ronja von Rönne morgen auf zu rauchen. Vielleicht.
Ich rauche, seit ich etwa 17 gewesen bin. Die Gründe dafür haben sich in den letzten Jahren immer wieder geändert. Früher, weil es neu und aufregend war und ich immer sehr für Neues und Aufregendes zu haben bin. Später, weil es schlicht zur Gewohnheit wurde. Ab und zu, weil ich es wirklich gerne mag. Manchmal, weil ich denke, es ist ein Privileg der Jugend, sich kaputt zu machen. Man könnte also sagen, ich bin Raucherin (und eine sehr gute übrigens). Dabei ist es so einfach nicht.
Denn das Ich ist eine sehr unordentliche Sache. Was soll das sein? Das Baby, das vor Jahrzehnten ungefragt in die Welt geschmissen wurde? Das Kind, das aus unerfindlichen Gründen Nudeln hasste? Oder der Teenager, der sich von eigentlich nichts anderem ernährt hat? Oder ist das Ich immer nur eine Sekundenaufnahme, bin ich also eigentlich nichts außer jemand, der auf ein Word-Dokument starrt, dabei halb vergammelten Orangensaft trinkt und sich fragt, warum man, egal wo man wohnt, Nachbarn hat, deren einziges Hobby nächtliches Staubsaugen, Möbelrücken und Stepptanz ist?
Eigentlich ist Mut nicht, eine neue Beziehung einzugehen, sondern eine kaputte zu verlassen. Es ist nicht der 25. Tequila-Shot, sondern die Einsicht, dass man seit einiger Zeit bedenklich viele Shots hatte und eine Pause einlegen sollte.
Wer bin ich? Die Nichtraucherin Ronja? Die Raucherin Ronja? Irgendeine Alte, die ihre Gedanken regelmäßig in Kolumnen mit der Welt teilt, obwohl die nie danach gefragt hat? Wahrscheinlich, so ist es ja immer bei komplizierten Fragen, stimmt alles und nichts. Sehr sicher allerdings ist man vor allem nicht nur die Dinge, die man liebt und tut, sondern viel mehr die, die man aufgibt und aufgegeben hat. Weil sie einem nicht gut tun. Oder weil man sie nicht mehr brauchte.
Denn eigentlich ist Mut nicht, eine neue Beziehung einzugehen, sondern eine kaputte zu verlassen. Es ist nicht der 25. Tequila-Shot (okay, das ist schon auch mutig), sondern die Einsicht, dass man seit einiger Zeit bedenklich viele Shots hatte und eine Pause einlegen sollte. Es ist nicht das angefangene Studium, sondern das, das man abbricht, weil man merkt, dass es nicht das richtige für einen ist (okay, und in meinem Fall auch das zweite und dritte Studium). Mut ist die letzte Zigarette (oder in meinem Fall die tausend letzten Zigaretten, noch besser als im Rauchen bin ich eigentlich darin, mir vorzunehmen, es wieder zu lassen).
Meistens schaut man sich um in seinem Leben und sieht nur die Dinge, die da sind. Ikea-Möbel, vielleicht ein unsicherer Job, Eltern, um die man sich kümmern muss, oder tausend Asos-Rechnungen, die man nie bezahlt hat. Dabei sind die allermeisten Eroberungen aus dem entstanden, was man hinter sich gelassen hat. Identität ist nicht eine Betonbüste, die in alle Ewigkeit gegossen ist. Nicht eine Ansammlung von „Ich bin 1,75 Meter groß, weine jedes Mal bei ,My Heart Will Go On‘ und finde Avocado extrem überschätzt“, sondern auch der sehr beruhigende Fakt, dass man nicht für Ewigkeiten in der siebten Klasse zur Rhythmischen Sportgymnastik genötigt wird.
Während es momentan sehr in ist, ständig seine Kleiderschränke auszumisten, und Leute mit Büchern übers Aufräumen Bestseller landen, sollte man vielleicht das Gleiche mal mit den Menschen und schlechten Angewohnheiten tun.
Identität ist auch das Losreißen von einer Familie, die nie an einen geglaubt hat. Es ist der Exfreund, der einen eigentlich nur noch nervt, aber bei dem man immer dachte, man könnte nicht ohne ihn. Und es sind die Millionen kleinen Dinge, mit denen man Schluss gemacht hat: sich nicht mehr nur von Nudeln zu ernähren, Komplimente von anderen nicht klein zu machen. Jedes Schlussmachen mit etwas bedeutet auch, Platz zu schaffen für ein neues Ich, eines, das im besten Falle noch viel stärker und schöner und mutiger ist als das davor.
Bleiben wir beim Schlussmachen: Während es momentan sehr in ist, ständig seine Kleiderschränke auszumisten, und Leute mit Büchern übers Aufräumen Bestseller landen, sollte man vielleicht das Gleiche mal mit den Menschen und schlechten Angewohnheiten tun. Ein bisschen sozialer Minimalismus. Denn es gibt eigentlich keinen geileren Gedanken als das Wissen, was man eigentlich nicht braucht. Zigaretten zum Beispiel. Die Autorin dieses Textes steckt sich bei diesem Satz übrigens eine neue an. Aber das ist nur die Autorin heute. Morgen kann schon alles ganz anders sein. Das ist Furcht einflößend. Und sehr großartig.