Ronja von Rönne: Von der Grenze zwischen Nord und Süd

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"Die Grenze in Deutschland läuft nicht nur an einer ehemaligen Mauer entlang durch Berlin zwischen Ost und West. Sie verläuft zwischen Nord und Süd. Zwischen Land und Stadt", sagt Oberbayerin Ronja von Rönne. Credit: Hanna Viellehner via Unsplash
Eine Grenze verläuft hierzulande nicht nur zwischen Ost und West, weiß Schriftstellerin und gebürtige Oberbayerin Ronja von Rönne. Zeit, ihrem Heimatdorf  ’ne Ansage zu machen.

Wenn man in der Eisdiele meines Heimatdorfs in Oberbayern zwei Kugeln Vanille mit Schokosauce möchte, bestellt man nicht „zwei Kugeln Vanille mit Schokosauce“. Man bestellt stattdessen: „einen Eisne***“. So steht es auf dem blauen Emailleschild graviert, zwei Euro für einen Eis­ne***. Der „Eis“-Teil ist dabei wichtig, ein einfacher „Ne***“ meint in Bayern nämlich ein Bier mit Cola. Nicht nur umgangssprachlich, so stand es gedruckt auf den Etiketten der dunklen Flaschen, die wir an heißen Sommernachmittagen beim Getränkemarkt klauten, um uns dann am Bag­ger­see mit Felix, Zenzi und dem Ne*** zu betrinken. Der dritte „Ne***“ war tatsächlich ein Junge mit dunkler Hautfarbe, wahrscheinlich der Einzige im Dorf, der sich auch selbst genau so vorstellte: „Servus, i bin der Ne***.“ Unironisch. Ironie gab es damals in Bayern noch nicht.

Die Grenze in Deutschland läuft nicht nur an einer ehemaligen Mauer entlang durch Berlin zwischen Ost und West.
Sie verläuft zwischen Nord und Süd. Zwischen Land und Stadt.

Es ist schwierig, mit seiner Heimat immer halb auf Kriegsfuß zu stehen. Denn der Ort, an dem ich aufgewachsen bin, könnte schöner kaum sein: malerisch im Voralpenland gelegen, der nächste See immer nur ein paar Kilometer entfernt, im Sommer Mountainbike, im Winter Skifahren. Ich kenne kaum schönere Landschaften in Deutschland. Dieser Ort ist meine Kindheit, meine Jugend, mein Urlaubsziel. Nur leider liegt dieser Ort in Bayern. Und in Bayern ticken die Uhren anders. Ja, immer noch.

Es ist seltsam, dass in Deutschland immer noch und ständig zwischen den Ost- und Westbürgern unterschieden wird, obwohl man in Bayern nicht mal die gleichen Parteien bei der Bundestagswahl wählt wie im Rest des Landes. CSU statt CDU. Als Tourist mag man die Verschlafenheit und den Konservatismus kleiner Alpendörfer schräg oder unterhaltsam finden. Wächst man dort auf, ohne seit Generationen im Ort verankert zu sein, kann es quälend werden. Ich frage mich, wie ein Land gedenkt, seine In­te­gra­tionspolitik in den Griff zu kriegen, während man in meinem Hei­mat­dorf nicht mal in den Trachtenverein durfte, wenn man nicht gebür­tige Bayerin ist und mit schlechten Noten bestraft wurde, wenn man nicht vor jeder Schulstunde zum lieben Jesuskind beten wollte. 

Bayern ist nicht nur spleenig und „irgendwie anders“.

Bayern ist ein Land, in dem es vielerorts immer noch in Ordnung ist, alles Fremde nicht mal einfach zu ignorieren. Ein Land, das immer noch versucht, sich ein weiß-blaues Paralleluniversum aufzubauen. Mein Ort: ein Dorf, in dem man Homosexuelle „Schwuchteln“ nannte und Dunkel­häu­tige „Ne***“. Bayern, ein Land, dessen stärkste Partei sagt: „Der Islam gehört, egal in welcher Form, nicht zu Deutschland.“ Zu Deutschland will man ja an sich nicht mal selbst gehören dort und so kämpft bei den Wahlen regelmäßig die Bayernpartei darum, endlich wieder souverän das Königreich Bayern regieren zu dürfen, abseits der Saupreißn.

Vielleicht ticken die Uhren in Bayern tatsächlich nur anders. Vielleicht wird irgendwann das Emailleschild mit der „Eisneger“-Werbung abgehängt und der „Ne***“ bekommt einen echten Namen.

Die Brauchtümer in Bayern sind von außen malerisch: Dorffeste, Maibäume, Trachtenverein. Von innen sind sie Voraussetzung zur Integra­tion. Wer nicht mitmacht, ist raus, wer kein Dirndl zum Dorffest anzieht, ris­kiert dumme Sprüche. Wer es sogar wagt, zwei unterschiedliche ­Farben Converse-Turnschuhe zu tragen, wird unter Umständen im Nacht­express von der Dorfjugend mit Krücken verprügelt (oder halt nicht unter Umständen, sondern ziemlich real). Es liegt wahrscheinlich an der Idylle und Schönheit dieses Landes, dass man ausländerfeindliche und erzkonservative Haltungen dort einfach hinnimmt. Vor der Kulisse einer Platten­bau­siedlung im Osten wirkt Fremdenfeindlichkeit eben nicht so charmant wie vor Alpenpanorama. Dabei ist die Fremdenfeindlichkeit im reichen Bayern eigentlich viel weniger zu rechtfertigen als im Osten, in dem Ge­meinden vielerorts um ihre Existenz fürchten müssen.

Nicht ganz Bayern ist mein Heimatort, nicht mal mein ganzer Heimatort ist wie der Heimatort, den ich hier beschrieben habe. Er ist auch: Zusammenhalt, Tradition, Gastfreundlichkeit. Aber mich macht das rein malerische Bild Oberbayerns müde. Vielleicht ticken die Uhren in Bayern tatsächlich nur anders. Vielleicht wird irgendwann das Emailleschild mit der „Eisne***“-Werbung abgehängt und der „Ne***“ bekommt einen echten Namen. Vielleicht braucht die Weltoffenheit nur etwas länger, bis sie auch ins Voralpenland schwappt. Ich würde es mir so sehr wünschen.

Ronja von Rönne
Die 26-jährige Berlinerin twittert unter @sudelheft über alles, „was das Menschsein zur Unverschämtheit macht“. Aber Ronja kann weit mehr als 140 Zei­chen: Sie schreibt Bücher – ganz tolle wie „Wir kom­men“ oder „Heute ist leider schlecht“. Für die Blonde-Kolumne tippt sich Ronja ihre Erfahrungen zum jeweiligen Heft-Schwerpunkt von der Seele.
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