Tabu Abtreibung: Warum wir unser Selbstbestimmungsrecht nutzen sollten

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My Body, My Choice heißt es doch so schön. Und dieser Spruch soll Bitteschön auch dann gelten, wenn es um das Thema Abtreibung geht.

Abtreibung ist die dunkle Seite der Schwangerschaft, der kontroverse Aspekt des Kinderkriegens, die schmerzhafte Erinnerung einer Nicht-Ge­burt und aus ethischen, religiösen und ge­sell­schaftlichen Gründen immer noch verpönt. Dabei ist die Abtreibung seit den 70ern nicht mehr ein illegaler Akt – dank der Pro-Choice-Bewegung, die sich dafür engagierten, dass eine schwangere Frau das Recht hat, sich für einen Schwangerschaftsabbruch zu ent­scheiden. Während sich eine der Pro-Choice-Ak­ti­vistinnen, Schauspielerin Lena Dunham, im ech­ten Leben für das Recht zur Abtreibung engagiert, entscheidet sich ihre Serienfigur Hannah Horvath von „Girls“ für das Leben als alleiner­zie­hende Mutter. Damit ist das Thema auch in un­se­rem Unterhaltungsprogramm angekommen und wir fragen uns: Ist das ein Widerspruch? Kann eine Mutter pro Abtreibung sein? In der Gegenüber­stel­lung der beiden Möglichkeiten findet die Abtrei­bungs­debatte ihren Höhepunkt: Pro Choice vs. Pro Life. Für die einen steht das Selbstbestimmungsrecht der Frau im Vordergrund, für die anderen ist Abtreibung Mord. Dabei tut die Frau in dem Moment nichts anderes, als von ihrer Entscheidungsfreiheit Gebrauch zu machen. Und sie lebt ein Leben lang mit den Konsequenzen ihrer Entscheidung und dem damit verbundenen Schmerz. Denn wenn man sich für die Abtreibung entscheidet, kommen keine Freunde, die Geschenke vorbeibringen, es wird kein Jahrestag gefeiert und die Krankenschwester hat kein ermutigendes Lächeln parat.

Jasmin, 27, Kassel

„Man kriegt nicht alleine ein Kind, sondern zu zweit. Trotzdem hatte ich das Gefühl, als Frau ist man mit einer Schwangerschaft allein. Weil man als Mutter diejenige ist, die an dieses Kind gebunden ist. Und ich war nicht bereit, diese Verantwortung zu tragen. Also habe ich mit meinem Partner darüber gesprochen und wir haben gemeinsam beschlossen, dieses Kind nicht auf die Welt zu bringen, weil ich nicht bereit dafür war. Damals habe ich mir gedacht: ‚Zieh es durch und denke nicht zu viel darüber nach.‘ Drei Wochen später war ich in der Klinik. Mein Vater hat mich begleitet. Als ich nach der OP aufwachte, hatte ich Schmerzen. Um mich herum lagen acht andere Frauen, die ebenfalls Schmerzen hatten.

Das böse Erwachen kam erst Monate später

Alle haben geschrien oder geweint. Ich war ruhig. Es fühlte sich an, als wäre man in Quarantäne oder in einer Anstalt. Ich habe angefangen, die anderen zu trösten, mit ihnen zu reden oder sie in die Arme zu nehmen. Am Nachmittag bin ich dann nach Hause. Eigentlich sollte ich die ersten zwei Tage im Bett liegen bleiben, aber stattdessen habe ich mit meinem Partner zu­sam­men die Wände unserer neuen Wohnung gestrichen. Ich konnte mit ihm nicht darüber reden und wollte auch nicht wie eine Kranke im Bett liegen. Das einzige Gefühl, das ich hatte, war ein dumpfes. Das böse Erwachen kam erst Monate später. Es hat sich eingeschlichen. Ich hatte Zweifel und ein schlechtes Gewissen; häufig überfie­len mich Heulkrämpfe und ich fühlte mich leer. Ich dachte, Gott hat meinem Partner und mir ein Geschenk gemacht, doch ich hatte es verwehrt. Ich hatte Angst, dass ich nie wieder ein solches Geschenk bekommen würde. Von meinem Partner habe ich lange erwartet, er könne mir die Sicherheit geben, dass unsere Entscheidung trotzdem die richtige war. Heute weiß ich, dass nur ich mir das bestätigen kann. Das war ein langer Prozess.”

Annika, 29, Berlin

„Ich war damals in einer sehr komischen Phase meines Lebens. Ich hatte wechselnde Gelegenheitsjobs, war nur am Feiern, wusste nicht, wohin mit mir, und habe mich die ganze Zeit selbst bemitleidet. Genau in der Zeit habe ich im ,Berghain‘ einen Mann kennengelernt. Er war DJ und ich nicht ganz bei Trost. Und voll verknallt. In den ersten Monaten haben wir es richtig krachen lassen, wechselten ständig zwischen on/off – und auf ein­mal war ich schwanger. Im ersten Moment machte mich das sehr glücklich. Ich hatte keine Zweifel und wollte das Kind behalten. Das kippte jedoch, nachdem ich ihm davon erzählte hatte.

Ich bin weinend durch das kalte Berlin gestapft und habe mir vorgestellt, wie es wäre, ein Kind ohne Vater zu erziehen

Denn er wollte zurück nach Kanada, wo er herkam, und Verantwortung war das Letzte, wonach er sich sehnte. Ich bin weinend durch das kalte Berlin gestapft und habe mir vorgestellt, wie es wäre, ein Kind ohne Vater zu erziehen. Wie sehr ich mir damals jemanden herbeiwünschte, der mir diese Entscheidung abnehmen könnte! Aber ich musste sie allein treffen. Bei der Beratungsstelle habe ich gelogen, um schneller den Schein zu bekommen. Glauben sie dort wirklich, dass zehn Minuten ausreichen, um einem die Zweifel und die Ängste wegzunehmen? Ich habe es aussaugen las­sen und bereue es seitdem jeden Tag, obwohl ich weiß, dass es in dem Moment die richtige Entscheidung war. Ein paar Jahre später bin ich wieder schwanger geworden. Ich hatte einen Partner, einen Job und stand mit beiden Beinen im Leben. Im zweiten Monat hatte ich dann eine Fehlgeburt.“

Maria, 24, Berlin

„Ich habe dreimal abgetrieben. Alle drei Male war der Vater der Gleiche. Ich war 17 und er neun Jahre älter als ich. Er hat mit mir den Test gemacht, und als es positiv war, habe ich mich dafür entschieden, es operativ entfernen zu lassen. Ich war sehr jung und wollte bei dem Eingriff begleitet werden, der für mich am sichersten war. Ich wollte das Kind nicht und war mir zu 100 Prozent im Klaren darüber.

Über die Abtreibungen zu reden war meine Art, das Trauma zu verarbeiten

Wenn ich an diese Zeit denke, kommt immer eine Szene wieder auf: In dem Aufwachraum war ein Tisch, auf dem Tee und Kaffee standen, daneben stand ei­ne Schüssel mit Keksen. Die Kekse waren für die jungen Frauen gedacht, die von der OP aufwachen. Etwas Süßes für den Kreislauf, damit ihnen nicht schlecht wird. Er hat die Kekse gegessen. Nicht ein paar, sondern alle. Dann fragte er die Krankenschwester, ob er noch mehr Kekse ­haben kann. Ich werde mich immer an ihren Blick erinnern. Es war eine ältere Frau. Sie hat ihn voller Ekel angeschaut und geantwortet: ‚Die sind für die Patientinnen.‘ Danach habe ich noch zweimal abgetrieben. Diesmal mit Medikamenten. Der Wunsch, doch ein Kind zu kriegen, ist erst nach dem dritten Mal nicht mehr weggegangen. Ich bin jetzt Mutter eines vierjährigen Kindes – von einem anderen Mann.“

Marion, 32, Berlin

„Ich habe mehrmals abgetrieben, weil ich jedes Mal unbeabsichtigt schwan­ger wurde. Bei meiner zweiten Abtreibung hätte ich das Kind fast behalten. Glücklicherweise hatte ich gute Freundinnen, die es mir ausgeredet haben. Ich hatte zu dem Zeitpunkt keine Wohnung, kein Geld und wusste nicht, wie meine und die Zukunft meines Kindes aussehen sollte. Außerdem war ich jedes Mal schwanger von Männern geworden, mit denen ich mir nicht vorstellen konnte, ein Kind zu erziehen. Ich habe kei­nen Hehl daraus gemacht und mit vielen über die Abtreibungen ge­redet. Es war meine Art und Weise, damit umzugehen, das Trauma zu verarbeiten. Nach den Abtreibungen hatte ich mehr mit Neid als mit Zwei­feln zu kämpfen. Ich habe Frauen beneidet, die Mütter waren und sich für das Kind entschieden haben. Als ich zum vierten Mal vor der Ent­scheidung stand, wollte der Vater mitreden. Er ist ein Gegner der ‚My Body, My Choice‘-Rhetorik – und wollte Teil des Entscheidungsprozesses sein. Ich konnte es irgendwie nachvollziehen, obwohl ich erst genau dieses Argument benutzen wollte. Es ist schwierig, bei dem Thema nicht in das eine oder andere Extrem zu verfallen. Gemeinsam haben wir schließ­lich entschieden, das Kind zu behalten. Er war da, ich war verliebt und die Umstände waren die richtigen. Wenn ich über meine vorherigen Abtreibungen nachdenke, bereue ich diese nicht. Aber ich habe eine Sache dazugelernt: mich selbst genug zu lieben, um nicht mit dem erstbesten Typen in der Kiste zu landen, nur weil ich geliebt werden möchte.“

 

 

Matilda, 35, Zürich

„Als ich erfuhr, dass ich schwanger bin, war ich gerade für eine Weiterbildung in den USA. Ich war unter Schock. Damit hatte ich nicht gerechnet, denn mein Partner und ich hatten beim Sex verhütet. Ich ging erst mal spazieren, stellte mir vor, wie mein Leben mit einem zweiten Kind sein würde, und habe gespürt, dass ich dieses Kind nicht auf die Welt bringen kann. Mein Sohn war gerade erst ein Jahr alt geworden; mein Körper litt noch unter den Folgen meiner ersten Schwangerschaft und mei­ne Beziehung war noch sehr zerbrechlich. Außerdem kam meine Libido gerade wieder zurück. Der Gedanke, wieder Mutter zu werden, löste in mir Ängste aus. Ich habe lange gebraucht, um meine eigene Identität zu finden, selbstsicher zu sein. Als ich zum ersten Mal Mutter wurde, ging meine Selbstsicherheit verloren. Als ich also erfuhr, dass ich knapp ein Jahr nach der Geburt meines ersten Kindes wieder schwanger war, hatte ich Angst, das Gleichgewicht zu zerstören, das ich mir so lange erkämpft habe. Objektiv gesehen hatte ich kein Recht dazu abzutreiben: Ich hatte einen Partner an meiner Seite, einen Job und ein Kind. Ich stamme aus einer Familie von Frauen, die sich über ihre Kinder definieren. Vielleicht hat sich deswegen die Entscheidung gegen eine weitere Schwangerschaft wie eine Befreiung angefühlt. Sagen zu können: ‚bis hierhin und nicht weiter’, meine eigenen Grenzen zu ziehen, zu definieren. Vor wem muss ich mich rechtfertigen? Vor Gott? Der Teil von mir, der sich dagegen wehrte, war tatsächlich der Teil, der in einer christlichen Familie aufgewachsen ist. Es ist nicht einfach, Nein zum Leben zu sagen, aber am Ende des Tages muss nur ich über mich selbst ­urteilen.“

 

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