Risk Love: Was hat wahre Liebe mit Rausch zu tun?

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Als sich Autorin Hannah Laser in den Freund ihres Ehemanns verliebt, trennt sie sich im Rausch der Gefühle von ihrem Mann. Doch schon bald fragt sie sich: Wer war die Frau, die sich in den wirren ihrer Gefühle verloren hat, wirklich?

Lukasz hat ein Gesicht wie ein Engel, ein teuflisches Lachen und großes Schauspieltalent. Als ich ihn mit meiner Freundin Julia vor sieben Jahren in Paris traf, kannte ich ihn nur aus Erzählungen. Ich hatte Geschichten über ihn gehört, die von seiner ausschweifenden Zeit als Model in Tokio handelten und die er dort zu einem Teil mit Jakob, meinem Ehemann, verbracht hatte. Er übertraf meine Vorstellung. Dieser Charmeur mit der Lust auf Exzentrik und Irrsinn – vom Fleck weg eroberte er mein Herz, als er mir zur Begrüßung auf der Rue St. Honoré seinen Arm hinhielt, um mich ins legendäre „Café Marly“ zu geleiten. Champagner für alle. Dekadenz ohne Demut.

IN DIESER NACHT GAB ICH IN DEN TEUERSTEN HOTELS DER STADT EINE UNMENGE GELD FÜR GIN TONICS AUS UND ES FÜHLTE SICH NICHT VERSCHWENDERISCH AN.

Am Ende küssten Lukasz und ich uns. Ein Kuss, der befremdlich schmeckte. Dieser Mann war ein Freund von Jakob, den ich kurz zuvor geheiratet hatte. Obwohl die beiden wie Brüder wirken, haben sie nicht viel gemeinsam – bis auf ihr wildes Herz und ihre Faszination für das Abgründige, was mich als Frau mit Punkrock-Sozialisation schon immer anzog. Nach dieser Nacht sah ich Lukasz über lange Zeit nur sporadisch, doch die Magie zwischen uns blieb.

2015 war ein schwieriges Jahr für mich so kurz nach dem 40., in einem Alter also, in dem ich begann, etablierte Konzepte infrage zu stellen – den Job, die Ehe, dazu das Muttersein, eine Rolle, in die ich noch hineinwachsen musste, was mich temporär überforderte –, und ich gleichzeitig leise spürte, dass ich älter wurde. 

WIR FEIERTEN WEIHNACHTEN ZU VIERT, GEMEINSAM MIT UNSEREM SOHN OSKAR, DEN LUKASZ VON ANFANG AN IN SEIN HERZ SCHLOSS. 

Und auch umgekehrt entwickelte Oskar ein Faible für Lukasz. Nach jenen Weihnachtstagen ging mir Lukasz nicht mehr aus dem Kopf. Wir waren uns nähergekommen, dieses Mal anders, wirklich nah – über echte Gespräche, unmissverständliche Blicke und flüchtige Berührungen. Die Unruhe, die das in mir auslöste, plagte mich. Ich fühlte mich Jakob gegenüber verantwortlich, mit dem ich aus Liebe eine Familie gegründet hatte. Am meisten aber schmerzte mich die Vorstellung, dass Oskar eines Tages ein Trennungskind werden könnte wie ich.

ZUNEHMEND REALISIERTE ICH DIE BITTERE WAHRHEIT

Die Turbulenzen und Strapazen durch Schwangerschaft, Geburt und Kleinkindpflege hatten meine Beziehung zu Jakob nach sieben Jahren in eine Sackgasse geführt. Obwohl ich darauf drängte, wurde das nie wirklich reflektiert oder gar verbessert. „Alles gut“, hat Jakob immer gesagt, bis ich es nicht mehr aushielt. Stagnation, Gleichgültigkeit und Genervtsein wollte ich unserem Sohn auf keinen Fall vorleben. Was folgte, war der Ausbruch aus Prinzip, die totale Provokation als finale Waffe. Nicht umsonst habe ich den Satz „Liebe will riskiert werden“ auf meiner Hüfte tätowiert, nicht umsonst vertrete ich auch die Ansicht „Lieber bereuen, etwas getan zu haben, als bereuen, etwas nie getan zu haben“. 

IM FRÜHLING DESSELBEN JAHRES FUHR ICH DANN FÜR EINEN JOB NACH BERLIN UND LUKASZ RIEF MICH AN, ER WUSSTE, DASS ICH DA SEIN WÜRDE. 

Diese Nacht im Hotel wurde eine der besten meines Lebens. Es war zwingend und mir eröffnete sich der Glaubenssatz „Mit dir kann ich alles, mit dir will ich alles“. Wieder zu Hause gestand ich Jakob mein Intermezzo. Lügen und Heimlichtuerei waren noch nie mein Ding. Ich wollte ehrlich sein, ich versuchte es zumindest. Wie auch meine anderen Eskapaden nahm Jakob meine Beichte mit einer Ruhe hin, die beängstigend war. „Find’s raus“, sagte er bloß. Auf mich wirkte das gleichgültig. Für ihn war es Liebe.

DIE ACHTERBAHNFAHRT MIT LUKASZ BEGANN. 

Wir wollten uns so oft wiedersehen, wie es ging, zwischen den Verbindlichkeiten von Job, Muttersein, Beziehung. Wir feierten das Leben und vor allem uns selbst; ohne Rücksicht, ohne Reue pendelten wir zwischen Köln, Berlin, Paris, Brüssel und Antwerpen. Immer mit dem gemeinsamen Ziel: Wir gehören zusammen. Du und ich. Wir lebten in 13 Domizilen, immer auf der Flucht, immer on the edge. Dann schmiss ich meine Ehe hin – und traf meinen Mann damit mitten ins Herz, ich erschütterte ihn, brach ihn, wie man einen Menschen kaum härter brechen kann, und das immer unter dem mir ethisch überlegen scheinenden Motiv der Ehrlichkeit. Jakob kämpfte nicht mehr und sagte stattdessen: „Dein Herz ist woanders, Hannah.“ Dann zog er aus. Weil uns irgendwann das Geld für weitere Domizile ausging und Lukasz mir eines Nachts am Telefon gestand, er wolle nie wieder ohne mich sein, zog er bald darauf bei mir ein. 

Freunde wendeten sich von mir ab, konnten nicht verstehen, was ich tat. Doch ich konnte nicht anders. Lukasz und ich, wir glaubten an uns und daran, gemeinsam die Welt erobern zu können. Endlich, nach all den Jahren, so tat ich meine Zweifel beiseite, hatte ich gefunden, was mir gebührt. Mit dem Alltag, der irgendwann einkehrt, offenbarten sich die Schattenseiten des einstigen Traummanns, der jetzt der echte Mann an meiner Seite war. 

ICH ENGTE IHN EIN, AUS ANGST, IHN ZU VERLIEREN. SO TRIEB ICH LUKASZ IMMER WEITER VON MIR WEG. 

Zu sehr beherrschten Bedürftigkeiten und Unsicherheiten sein Leben, zu sehr dominierte ihn die blanke Panik, ein Resultat seines exzessiven Lebenswandels. Nie zuvor in meinem Leben war ich derart unruhig angesichts der Präsenz eines anderen Menschen, der alles will, nur eines nicht: ankommen. Am allerwenigsten bei sich. Die Flucht in den täglichen Rausch dominierte sein Leben, ein Rausch, der ihn davon abhielt zu spüren, wie die widersprüchlichen Facetten seines Ichs in ihm toben. In steter Ambivalenz zwischen der Suche nach Anerkennung als großer Künstler und Mann von Welt, auf der anderen Seite nach Rückzug, Sicherheit und Familie. 

NUR SELTEN HAT MIR EIN MANN DERART BEDINGUNGSLOS UND OFT GESAGT, WIE SEHR ER MICH LIEBT, UND ES ZUGLEICH SO WENIG GEMEINT. 

In dem Moment, ja, und sicher aus tiefstem Herzen, aber nicht von Dauer. Während ich um und mit Lukasz kämpfte, traf Jakob auf eine andere Frau, die bald ein Kind von ihm erwartet. In einem Leben ohne festen Boden unter den Füßen ist das jähe Ende nicht weit. Lukasz distanzierte sich allmählich. Eines Tages packte er seinen Koffer, ich ließ ihn ziehen. Nur ein paar Tage wollte er weg sein, um zu sich zu finden, um ein besserer Mann für mich und meinen Sohn zu werden. Als ich sah, wie innig Oskar ihn umarmte, wusste ich, Lukasz wird nicht wiederkommen, das hier ist das letzte Mal. Ich unterdrückte die Tränen, so gut es ging. 

Bald darauf beendete er unsere Beziehung, kurz und schmerzlos. Weil er das nüchtern nicht gewagt hatte, kippte er in einer Bar in Berlin dabei einen Whiskey nach dem anderen. Gefangen in Verlustgefühlen fiel ich in Bodenlosigkeit, doch bald kam die Erkenntnis, dass es so besser ist, dass diese Beziehung nicht mehr war als eine Illusion, dass sie letztlich Auslöser dafür war, meiner wahren Identität nachzuspüren, die nun endlich neu justiert gehörte. 

DAS LEBEN IST LEBENSGEFÄHRLICH

Und das Leben zahlt auch immer zurück. Diese Rechnung ging auf mich. Doch jede Krise bringt auch Erkenntnisse mit sich. Zum Beispiel die, dass alles Lieben Leere bedeutet, wenn man sich selbst nicht liebt und sich und sein Glück von einem anderem Menschen abhängig macht.

Es ist okay, verwundet zu sein, auf nichts als auf das eigene Selbst zurück geworfen zu werden. Das zu umarmen und lieben zu lernen ist die Königsdisziplin. Es tut so gut, nach vorne zu schauen in eine Zukunft, die ungewiss ist. Aber ist sie das nicht immer? Und ist es nicht ein Geschenk, überhaupt so tief und leidenschaftlich gefühlt haben zu dürfen? Normalität fühlt sich seitdem befriedigend an, Wasser schmeckt, zumindest manchmal, besser als Whiskey. „Mittelmaß, du kannst mich mal.“ Dieses Credo bleibt. Aber wenn man die Mitte als Balanceakt zwischen den Extremen betrachtet, kann sie verdammt gut tun. 

Text: Hannah Laser

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