Gegen Panikmache und für die Vernunft: Wir wollen, dass ihr euch mehr gönnt und nehmen uns in unserer Kolumne „Gönn Dir“ die Freiheit unzensierten Klartext zu sprechen. Dieses Mal: ein Plädoyer für mehr Nacktfotos.
Illustration: Laura Binder
Die Schlagzeilen sind groß. Die Häme ist es auch. Wenn Nacktfotos von Stars an die Öffentlichkeit gelangen (wir erinnern uns an Lena Meyer-Landrut, Jennifer Lawrence oder Rihanna) lassen spöttische Kommentare, sexistische Anspielungen und ein Haufen Typen, die sich die Finger wund googeln, um die Bilder zu finden, die von einer Armee Anwälten immer wieder gelöscht werden müssen, nicht lange auf sich warten. Wenn wir aber mal ehrlich sind: Wir dürsten alle danach, die großen Stars nackt zu sehen, vermutlich weil diese ungeschminkte Intimität das Letzte ist, was unser voyeuristisches Verlangen noch befriedigen kann, und wir uns einreden können, dass ihre angebliche Perfektion doch nur Photoshop zu verdanken ist. Und weil wir denken, dass uns so was niemals passieren wird. Wer will sich schließlich schon in den Computer von Otto-Normalverbrauchern einhacken, um dessen unspektakuläre Nacktaufnahmen an Magazine zu verkaufen? Eben.
NACKTFOTOS GEHÖREN ZU DEN NATÜRLICHSTEN SACHEN DER WELT.
Nacktfotos gehören zur Liste der Tabuthemen und wir hören immer eine tadelnde Stimme in unseren Köpfen: „Fräulein, so was macht man nicht!“ Aber nicht nur Lena tut es oder Jennifer oder die kopflosen nackten Typen bei Tinder – sondern fast jeder von uns. Sich selbst zu fotografieren in seiner vollen Pracht, wie Gott uns geschaffen hat, gehört zu den natürlichsten Dingen auf der Welt, spätestens seitdem wir alle eine Frontkamera an unseren kleinen Geräten haben. Das Ganze hat nichts mit dem zu tun, was Webcam-Girls für Geld tun, oder mit den pornografischen Anzeigen, die auf den Streaming-Seiten unserer Online-Serien aufpoppen. Das Ganze hat auch nichts mit Fremdscham-Content wie dem Ekelfilm „Two Girls One Cup“ zu tun und der „Playboy“ hat erst recht nicht das Privileg dieser Fotografie gepachtet. Nein, Nacktfotos gehören eigentlich zur Erforschung des eigenen Körpers. Ähnlich wie beim traditionellen Selfie probieren wir jeden Winkel aus und jede Position, bis wir das perfekte Bild haben. Auf dem Weg dahin können wir mit der kleinen Smartphone-Kamera jeden Zentimeter unseres Körpers abscannen. Statt eines kritischen Blicks auf Pickel und Rötungen obenrum betrachten wir nun Körperöffnungen und Wölbungen untenrum. Heutzutage müssen wir uns glücklicherweise nicht mehr mit einem kleinen Spiegel aufwendig verbiegen, sondern können bequem Fotos von allen Stellen machen, um sie danach auf unserem Handy ranzuzoomen. Allerdings sollte man seine persönli- che körperliche Dokumentation nicht an jeden schicken – nicht nur weil nicht jeder den kleinen roten Punkt an eurem Hintern sehen will.
„DAS VERBOTENE GEFÜHL IST DER TREIBSTOFF FÜR UNSERE NACKTFOTOKUNST UND DAS NONVERBALE FLIRTEN VIA BILDAUSTAUSCH IST SPANNENDER, ALS EIN PFIRSICH- ODER AUBERGINEN-EMOJI ZU VERSCHICKEN.“
Genau wie beim Sex gilt auch bei Nacktfotos: Safety first! Sonst fangt ihr euch schnell irgendwas ein: einen Virus, einen Hackerangriff, die Rache eines Exfreunds und/oder den Scham öffentlicher Bloßstellung – nicht zwingend bei der Vierbuchstaben-Boulevardpresse, sondern wahrscheinlicher in sozialen Netzwerken. Wer aber ein bisschen über technische Verhütung recherchiert hat und seine Intelligenz nicht mit zu viel Blitzlicht bestrahlt hat, der muss keine Angst haben, dass er ein Leben am Limit führt, sobald der Auslöser am Handy gedrückt und auf „Senden“ geklickt wurde. Allgemein bekannt sein dürfte, dass „Papa“ und „Paul“ als potenzielle Empfänger ähnlich beginnen, die Reaktionen werden es aber nicht. Und es dürfte ebenfalls kein Geheimnis sein, dass Blankziehen kein Garant für positive Aufmerksamkeit und ehrliches Interesse anderer ist. Entgegen aller Panikmache à la „Das verbaut deine Zukunft!“ sollte man nicht davor zurückscheuen, sich selbst nackt abzulichten. Der Nervenkitzel, wenn das Bild verschickt wurde, fühlt sich dafür zu gut an. Ehrlich gesagt ist gerade dieses verbotene Gefühl der Treibstoff für unsere Nacktfotokunst und das nonverbale Flirten via Bildaustausch ist wesentlich spannender, als ein Pfirsich- oder Auberginen-Emoji zu verschicken.
Gönnt euch das Selbstbewusstsein, dass Nacktsein keine Schande ist.
Nacktfotos sind vom Prinzip her flüchtige Erinnerungen, die auftauchen und uns den Kopf verdrehen und dann wieder verschwinden. Die Jüngeren, Technikaffinen unter uns wissen das bereits und versenden ihre Bildchen per Snapchat. Gut, man kann immer noch einen potenziellen Herzinfarkt erleiden, wenn jemand einen Screenshot gemacht hat, und eine sichere Verschlüsselung nutzt die App auch nicht – aber man kann auch beim Rutschen im Freibad sein Höschen verlieren und steht genauso nackt da. Trotz allem ist die Lust nach Nacktfotos auch immer eine Art Selbstbefriedigung, der man ohne Angst nachgeben sollte. Die Aktmalerei hat die Schönheit nackter Haut schon vor vielen, vielen Jahren gezeigt – und heute braucht man keinen Picasso, um sich zu verbildlichen, sondern nur ein Handy. Gönnt euch die Freiheit, euren Körper zu erforschen. Gönnt euch die Selbstliebe, indem ihr ihn ablichtet. Macht euren Lovern eine Freude. Und vor allem: Gönnt euch das Selbstbewusstsein, dass Nacktsein keine Schande ist.
Zuerst erschienen in der BLONDE Self Love Issue (01/2017)