Little Simz ist nicht nur preisgekrönte Rapperin, ihr Flow gilt schlicht als einer der Besten ihrer Kunst. Seit Neuestem ist sie aber auch bekennend introvertiert. Passend dazu erscheint heute ihr neues Album „Sometimes I Might Be Introvert”, das dem Ruf eines persönlichen Albums tatsächlich gerecht wird. Über wahre Introspektion, Individualismus und Intimsphäre spricht die Londonerin in der neuen BLONDE Digital Coverstory.
Was bedeutet es wirklich, introvertiert zu sein? Wenn es nach der Rapperin, Musikerin und Schauspielerin Little Simz geht, passt eine Definition aus dem Wörterbuch oder alten Persönlichkeitstests: Demnach bedeutet „introvertiert” zu sein, sich eher an internen Gefühlen und dem inneren Seelenleben auszurichten als an allem Äußeren. „Das trifft auf mich zu, ziemlich spot-on”, sagt die 27-Jährige Simz an einem Juniabend am Telefon. Hinter ihr liegt ein langer Promo-Tag für ihr neues Album, das nun drei Monate später erscheint. Der Titel: „Sometimes I Might Be Introvert”. Die Zeitangabe „sometimes” könnte dabei aber eigentlich irreführend sein. Spricht man mit Simz, eigentlich Simbiatu Ajikawo, genannt Simbi (so auch die Abkürzung des Albumtitels), über die neue Platte und persönlichen Erkenntnisse, die in ihre Texte geflossen sind, könnte aus „sometimes” fast ein „always” werden.
Nach dem gefeierten „Grey Area”: Das neue, große Kapitel der Little Simz
Little Simz ist jedenfalls dann ein Vollzeit-„Introvert”, wenn es um ihre jüngste Vergangenheit geht. Das letzte Jahr hat die Nordlondonerin wie Millionen Andere mit überdurchschnittlich viel Introspektion verbracht. Zwei Jahre zuvor war ihr letztes Album erschienen, das von Kritiker*innen gefeierte und mit einem Ivor-Novello-Award für Songwriting ausgezeichnete „Grey Area”. Die Zeit damals beschreibt Simz gerne mal als die bisher beste ihres Lebens. Auf „Grey Area“ folgte im letzten Jahr dann „Drop 6”, eine EP, mit der Simz ihre Reihe an Drops zwischen offiziellen Alben fortsetzte – auch im Lockdown. „[Die EP] war eine Möglichkeit, meinen Fans zu sagen: ,Ich bin noch da, I still got you“, reflektiert sie. Trotzdem ist es gut, dass das offizielle Warten nun ein offizielles nun ein Ende hat. Jetzt, so Simz , spüre sie die Extase, mit der ihre Fans auf ganz neue Musik reagieren.
„Habe ich meine Prioritäten richtig gesetzt?”, fragt sich Simz jetzt. „Wofür mache ich das alles eigentlich?”
Mit der neuen Musik bekommen Fans und Hörer*innen einen erweiterten Eindruck davon, wie es die Künstlerin selbst definiert, ein „Introvert” zu sein. Nicht nur in den vorab veröffentlichen Singles „Woman”, „Rollin Stone”, „Point and Kill” und „Introvert” hat sich Simz dafür erneut mit Meta-Philosophien beschäftigt. Gerade auf letzterem Track gehe es darum, Kraft in all der Introspektion zu finden, sich zu zentrieren und Frieden mit sich selbst zu schließen, sagte sie im April gegenüber i-D. Es gehe darum, sich ehrliche und reale Fragen zu stellen. „Was sind meine Ängste?”, benennt Simz in unserem Gespräch eine davon. Und: „War ich für Menschen da? Habe ich meine Prioritäten richtig gesetzt? Wofür mache ich das alles eigentlich?”
Meta-Fragen als Mutprobe
Antworten darauf habe sie zwar so manche gefunden, sagt Simz, das Ganze sei aber – wenig überraschend – ein laufender Prozess. Es ginge ohnehin nicht darum, sich möglichst harte Fragen zu stellen, sondern darum, dass sich viele Menschen diese ohne einen Schubs von außen gar nicht erst stellen würden. Simz aber wartet auf niemanden, der ihr sagt, wie sich verhalten soll – sie habe sich den Push zu unbequemen Fragen ganz allein gegeben. Deshalb wolle sie nun bei anderen Gedanken provozieren und zum Nachdenken anregen, das wiederholt sie mehrfach – fast so, als hätten ihre prämierten Werke das zuvor nicht getan. Dabei war „I’ve got something to say” doch schon lange ihr Mantra, besonders auf „Grey Area”. Jetzt aber soll es eben noch mehr um „thought-provoking stuff” gehen – ein Zeugnis von Simz eigener innerer Gedankenreise.
Simz, die Künstlerin oder Simbi, die Person?
Wenn es aber um ihre äußere Wahrnehmung geht, bleibt Little Simz nach wie vor vage – außer in ihren Texten. Das kommende Album ist das, was bei vielen Künstler*innen das „most personal one yet“ genannt wird. Klingt abgedroschen, für Simz ist diese Platte aber tatsächlich eine, in der sie ihre intimen Gedanken und Gefühle so einfließen lässt wie nie zuvor. Es geht um ihre Familiengeschichte, ihre Freund*innen und Gemeinschaft, die sich im Lockdown gegenseitig gut unterstützt hat. Und um die Erwartungen, diese Platte noch größer und besser werden zu lassen als alle zuvor, die Erwartungen ihrer Fans, und ihre eigenen Ansprüche, die natürlich immer die höchsten sind – „Greatness“ eben! Leicht war dieser Prozess nicht. „I sabotage what we are trying to build”, rappt Simz auf „Introvert“, ”’Cause of feelings I keep inside but it’s time to reveal / I hate the thought of just being a burden / I hate that these conversations are surfaced / Simz the artist or Simbi the person?”
„All I see is black stars and I frigging love it / Time’s up, tell the people that we comin” („Woman”)
Simz, damit möchte sie im Interview lieber angesprochen werden. „Can’t believe it’s Simbi here that’s had you listenin’”, heißt es passend dazu auch auf „Rollin Stone”, „well, fuck that bitch for now, you didn’t know she had a twin”. Die Frage nach der vermeintlichen Trennung von Artist-Persona und realem Mensch ist eigentlich eine Art Huhn-und-Ei-Frage, ein alter Hut in Interviews und Selbstvermarktung – und doch scheinbar unumgänglich für Menschen, die schon nur mit dem kleinen Zeh in der Öffentlichkeit stehen. Little Simz ist da keine Ausnahme. Verurteilen würde sie keine Person, die ihr Privatleben auf Social Media rausposaunt, aber sie selbst sei sich des Schutzes ihres eigenen Raums nach wie vor sehr bewusst. Dem Ruf der vagen Interviewpartnerin bleibt sie dementsprechend eben treu – kaum eine Antwort in unserem Telefonat ist so pointiert wie die Zeilen ihrer Songs.
Der „Thought-provoking stuff”, aus dem Debatten gemacht sind
Die Auseinandersetzung mit inneren Gefühlen ginge auf diesem Album auch mit „all dem Chaos, das die Welt gerade beschäftigt” einher, sagte Simz im April. Das Video von „Introvert” zeigt zum Beispiel Archiv-Aufnahmen von Protesten und Polizeigewalt. Und dennoch soll auch bei allem gesellschaftspolitischen Kommentaren Spielraum für persönliche Einschätzungen bleiben. Zu Strömungen von Meinungen, die durch Social Media fließen, hält Simz ohnehin Distanz, das war schon früh im Promo-Prozess klar.
„Was Menschen [aus meiner Arbeit] ziehen, bleibt sehr subjektiv. Ich behaupte nicht, alle Antworten zu kennen. (…) Du kannst dir aussuchen, ob du tief reingehst oder nicht – der Song bleibt trotzdem ein Banger.“
Darüber, dass Songs und Visuals voll von Messaging sein können sagt sie: „Was Menschen daraus ziehen, bleibt sehr subjektiv. Ich behaupte nicht, alle Antworten zu kennen. (…) Du kannst dir aussuchen, ob du tief reingehst oder nicht – der Song bleibt trotzdem ein Banger. Ich gehe gegen den Strich und frage Dinge, die es Hörer*innen ermöglichen, nachzudenken. Ob damit dann einverstanden bist oder nicht – umso besser! Lasst uns eine Diskussion führen, lasst uns debattieren.” Auch in den noch so konkreten Zeilen ihrer Songs sieht Simz Luft für Interpretation. Auf die Frage, was das überstrapazierte Wort „Identität” gerade für sie bedeute, folgt die Antwort: „Individualismus”. Sie freut sich darauf, dass sich ihre Fans jetzt hinsetzen und diese Platte verarbeiten könnten, sagt sie später, „in welchem Raum auch immer sie das tun wollen. Es ist schon viel zu arbeiten in Sachen Songs, aber es geht darum zu lernen, damit zu leben.” To sit with your feelings, auch das ist ein Ausdruck, den Introvert Simz gerade oft verwendet.
Keine kalkulierte Message, sondern Geschichten, die gehört werden müssen
Dennoch, die Songs ihrer bisherigen Mixtapes und nunmehr vier Alben seien schon immer aus introspektivem Blickwinkel geschrieben, ergänzt sie. „Über die Jahre wurde es aber eine Mischung aus mir, die ihre Geschichte erzählt und dem, was um mich herum passiert und wie ich mich dabei fühle. Und den Geschichten, von denen ich das Gefühl hatte, dass sie gehört werden müssen.” „Sometimes I Might Be Introvert” sei nun mehr eine Art Bewusstseinsstrom, sagt Simz, nicht kalkuliert, wie manche Line es vielleicht vermuten ließe. Vielleicht geht es aber auch darum, sich einfach zu erinnern. „Manchmal höre ich mir später Sachen an und denke ,Shit, das hab ich wirklich gesagt? „Hab ich komplett vergessen.”
„Ich will jeden Raum betreten und stolz darauf sein, wer ich bin. Ich will ,unapologetic’ sein. Das muss nicht heißen, dass man laut ist.”
Selbstbewusstsein der Stillen
Spontaner Spit oder langer Sit-In mit Gefühlen, dem Moment, all diese Gedanken ab Januar in Song-Form auf internationalen Bühnen vorzutragen, sieht die Rapperin mit Vorfreude entgegen. Im vergangenen Monat zum Beispiel ließ sie die Musik in US-Formaten von „Tiny Desk” bis Jimmy Fallon schon für sich sprechen. Understatement und Zurückhaltung, noch so ein Klischee über die rigorose Zweiteilung zwischen „Introvert” und „Extrovert”? Im Gegenteil, wie Simz beweist. „Ich will jeden Raum betreten und stolz darauf sein, wer ich bin”, sagt sie. „Ich will ,unapologetic’ sein. Das muss nicht heißen, dass man laut ist. Überhaupt muss man dafür nicht ,loud & proud’ sein, weißt du? Es geht um stilles Selbstbewusstsein. Menschen denken: Woah, sie hat offensichtlich viel zu sagen’. And that’s cool.”
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Fotos: Nwaka Okparaeke
Creative Director: Jeremy Ngatho Cole
Foto-Assistenz: Alex Ingram
Styling: Luci Ellis
Make-up: Nibras Make-Up
Hair: Officially Chantelle, Tamiym, Tilla Arce
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