Instagram – Das Tor zur Welt

Soziale Medien sind nicht auf der ganzen Welt frei zugänglich. Instagram ist das einzige soziale Medium, das im Iran zumindest teilweise verfügbar ist. 

FOTOS: @thetherantimes

Mal eben im Café beim Chai Latte die neue Frisur von einer Freundin fotografieren lassen und auf Facebook teilen? Das Portfolio einer provokanten Akt-Fotografin auf Twitter teilen? Für uns ganz normal. Im Iran aber ist all das verboten. Facebook ist dort gesperrt, Twitter, Google+  und YouTube auch. Instagram ist immerhin teilweise verfügbar. Doch auch auf der Fotoplattform können Frauen aus dem Iran nicht alles posten, was sie wollen. Denn seit 1979 gilt in der Islamischen Republik: Frauen müssen in der Öffentlichkeit ihr Haar und ihre Kurven verhüllen. Miniröcke, Trägertops, offene Haare sind außerhalb des Hauses nicht erlaubt. Das klingt nach verdammt vielen Verboten. Und wohl kaum eine von uns kann sich vorstellen, täglich mit und in diesen Grenzen zu leben.

Mit Mode und Styling zeigen wir, wer wir sind – und  über soziale Netzwerke zeigen wir es der ganzen Welt. Im Iran darf beides nur im Rahmen strenger Gesetze geschehen. Die Aufhebungen der internationalen Sanktionen gegen das Land im Januar geben zwar Anlass zur Hoffnung, dass sich auch in Sachen Netzfreiheit etwas tut. Doch bisher bleiben Facebook, Twitter & Co blockiert, auch wenn immer wieder feine Risse die ausgeklügelten virtuellen Mauern des Iran durchziehen. Dann sind die Netzwerke plötzlich frei zugänglich, die Freude ist groß – und wenige Stunden später sind die Seiten wieder gesperrt. Seit 2009 geht das so. Damals wurden die meisten sozialen Netzwerke gesperrt, als sie nach den Präsidentschaftswahlen zu Plattformen des Protestes wurden. Und doch hat sich ausgerechnet in der Islamischen Republik eine Netz-Community entwickelt, die Streetstyle aus Teheran genauso feiert wie Kampagnen für Frauenrechte.

Manteau: #TajFashionDesign leggings: #Zara Handbag: #Mango www.thetehrantimes.com

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Manteau: #TajFashionDesign leggings: #Zara Handbag: #Mango www.thetehrantimes.com Ein von The Tehran Times (@thetehrantimes) gepostetes Foto am

„Anfangs lachten meine Freunde über meine Idee, einen Modeblog über Streetstyle im Iran zu starten“, erinnert sich Araz Fazaeli. Vier Jahre ist das jetzt her. Heute lacht niemand mehr über seinen Blog The Tehran Times. Die spanische Marie Claire, die deutsche GQ und der britische The Guardian, sie allen haben schon über seine Impressionen von den Straßen Teherans berichtet. Fazaeli zeigt junge iranische Frauen in Jeans im Used-Look und Mänteln mit persischen Stickereien, Sneakers zur Clutch mit orientalischen Ornamenten und Männer im Heisenberg-Shirt vor persisch gefliesten Mauern. Auch moderne Kunst und Interieur-Design kommen auf seinem Blog nicht zu kurz.  „Es ist ziemlich viel Arbeit“, gesteht Fazaeli lächelnd: „Ich habe zwei Fulltime-Jobs“. Denn der Blogger ist eigentlich Mode-Designer, in Paris hat er studiert. Von dort aus leitet er sein Label Maison Araz Fazaeli, verkauft seine Kollektion in der Boutique Les Suites – und koordiniert seinen Blog.

Vor vier Jahren entdeckte er auf einer Reise in seine Heimat, wie vor allem Frauen mit Mode und ihrer eigenen Kultur experimentieren: „Sie spielen mit dem Schleier und dem Mantel, selbst wenn sie nur ein kleines Budget haben. Da wird zum Beispiel ein Kleid von Prada oder Kenzo zur Inspiration für Mäntel, die sich Iranerinnen schneidern lassen. Gleichzeitig integrieren sie persische Einflüsse in ihre Looks. Das ist aufregend!“ Seit 2012 zeigt Fazaeli auf The Tehran Times ein ganz anderes Bild vom Iran als jenes, das Nachrichten und Kinofilme sonst transportieren: Statt dunkel verhüllter Frauen mit gesenkten Blicken lachen hier junge Fashionistas in detailsicheren Kombis in die Kamera. Die hauchdünnen Schals liegen oft so tief auf dem Hinterkopf, dass sie kaum noch auffallen. „Die meisten Fotos schicken mir die Leute selbst zu“, erzählt Fazaeli. Gerade erst beeindruckte ihn eine Deutsch-Iranerin mit ihrem ganz eigenen Mix aus elegantem Teheran-Style und reduziertem Berlin-Look.

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Manteau: #MarshaLabel Shawl: #Termeh Jeans: #Koton Handbag: #Susen shoes: #StanSmith www.thetehrantimes.com Ein von The Tehran Times (@thetehrantimes) gepostetes Foto am

Fazaeli ist begeistert vom neuen Selbstbewusstsein junger Iraner und Iranerinnen:
„Sie haben sich von diesem Komplex, iranisch zu sein und die westliche Mode imitieren zu wollen, gelöst.“ Deshalb postet er auch gerne Fotos von Entwürfen iranischer Nachwuchs-Designer. Zum Beispiel von Afi Torabi, die 2014 ihr Label NoFuX gründete. NoFuX steht vor allem für Mantelmode; schlichte Schnitte und Pastelltöne treffen auf knallbunte persische Stickereien. Der Manteau, wie ihn die Iraner nennen, ist das wichtigste Stück in der Garderobe jeder iranischen Frau, meint Afi. Kein Wunder, schließlich ist der Mantel auch die einzige erlaubte Alternative zum Tschador. Afi sieht ihr  Label als Teil der globalen Modewelt, die voller gegenseitiger Einflüsse ist: „Gerade bei Mänteln gibt es gemeinsame Trends, zum Beispiel bei den Schnitten.“ Ihre Mode zeigt und verkauft sie vor allem auf Instagram, dem einzigen Netz­werk, das im Iran – fast – komplett frei zugänglich ist. „Fast“, weil der Staat hier das sogenannte Smart Filtering anwendet, also einzelne Seiten sperrt. „Kriminelle und unmoralische Inhalte“ sollen so verborgen bleiben, aber auch Profile von Promis wie Madonna und Accounts, die „provokante“ Fotos von Frauen enthalten können. So wie der offizielle „Vogue“-Account.

Mit ungefähr zehn Millionen Nutzern ist Insta­gram dennoch die wohl populärste Plattform im Iran. Das liegt daran, dass sie weitgehend frei zugänglich ist, aber auch am ausgeprägten ira­ni­schen Sinn für Ästhetik. „All die stylishen iranischen Mädchen sind ja nicht plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht“, sagt Araz Fazaeli, der auf Instagram über 62.000 Abon­nenten hat: „Optik spielte im Iran schon immer eine große Rolle.“ Tat­sächlich gehört der Iran nicht nur zu den Top Ten der größten Absatzmärkte der Welt für Kosmetik, auch in der Liste der Länder mit den meisten Schönheits-OPs liegt die Islamische Republik weit vorne. Die Selfie-Kultur von Instagram trifft da auf fruchtbaren Boden. Das zeigt auch der Account „Rich Kids of Tehran“, der 2014 weltweit für Aufsehen sorgte – und der im Iran offiziell nicht aufrufbar ist.

„Filternet“ nennen Technik-Nerds das Internet im Iran. Nur wenige Länder auf der Welt filtern so umfassend, was die Nutzer an den Bildschirmen oder auf den Smartphones legal sehen können: China, Nordkorea oder Pakistan zum Beispiel. Alle Seiten mit potenziell „unmoralischen“ Inhalten werden geblockt, aber auch Portale, in denen es um Men­schen- und Frauenrechte geht. Während Instagram zur staatlich geduldeten Bühne für Modemut und Tex­til­diplomatie im Iran avancierte, kann auf Facebook, Twitter und YouTube bis heute nur zugreifen, wer sich ein Virtual Private Network (VPN) herunterlädt. Damit lässt sich das Filtersystem umgehen. Und das tun laut Angaben des iranischen Ministeriums für Kultur und Isla­mi­sche Führung rund viereinhalb Millionen Menschen im Iran: So viele aktive Facebook-Nutzer gab es dort im Februar 2015. Auf der Plattform finden sie Kampagnen wie „My Stealthy Freedom“ von Masih Ali­ne­jad. 2014 rief die 39-jährige Iranerinnen dazu auf, Fotos von sich zu posten – in der Öffentlichkeit und ohne Schleier. Tausende Frauen mach­ten mit, fast 100.000 Fans hat die Facebook-Seite heute. Wie viele davon aus dem Iran auf „Gefällt mir“ klickten, kann man nur ­erahnen. Etwa 35 Prozent der knapp 78 Millionen Iraner sind im Netz aktiv, das ist mehr als in anderen Ländern des Nahen Ostens. Dort sind es durchschnittlich nur rund 26 Prozent. Und das, obwohl schon im Oktober 2006 die Surf-Geschwindigkeit in privaten Haushalten und Internet-Cafés im Iran von staatlicher Seite gedrosselt wurde. Mehr als 128 Kilobytes pro Sekunde waren fortan nicht mehr drin.

Da überrascht es, dass sich ausgerechnet der Präsident des Landes als wahrer Twitter-Fan erweist. Hassan Rohani, seit 2013 im Amt, informiert seine über 430.000 Follower fast täglich auf gleich zwei Twitter-Accounts über sein Tun. Im Juni 2013, noch vor seiner Wahl zum Präsidenten, weckte der 67-Jährige mit einem Tweet sogar Hoffnungen auf eine Lockerung der Kleidungsvorschriften: „If some1 doesn’t comply with rules for clothing, person’s virtue shudn’t come under question. Our emphasis shud b on virtue.“ Zwar schreitet die iranische Sittenpo­li­zei, vielen noch aus dem Film „Persepolis“ in Erinnerung, nicht mehr so strikt ein wie vor Rohanis Amtsantritt, doch iranische Mode-Labels und Modelagenturen unterliegen nach wie vor der Aufsicht durch das Mi­nisterium für Kultur und Islamische Führung. Kleidung und deren Prä­sen­tation müssen sich innerhalb „iranisch-islamischer Werte“ be­we­gen, sagt das Gesetz. Und daran hat sich bisher nichts geändert.

Genauso wenig wie am offiziellen Twitter-Verbot. Jack Dorsey, Mitbe­grün­der des Kurznachrichtendienstes, stolperte schon 2013 über den twittern­den Präsidenten Rohani, dessen Wähler keinen Zugang zu seinem Lieblingsmedium haben: „Good evening, President. Are citizens of Iran able to read your tweets?“, fragte Dorsey dann auch ganz direkt. Die präsidiale Antwort folgte natürlich per Tweet: „Evening, Jack. As I told ­
@camanpour [Christiane Amanpour, Chefkorrespondentin bei CNN; Anm. d. Red.], my efforts geared 2 ensure my ppl’ll comfortably b able 2 access all info globally as is their right.“ Über zwei Jahre ist das her. Auf legalen Zugang zu allen globalen Infos warten die Iraner noch immer. Denn der Präsident erntet auch Kritik für seine Netzaktivität: Es sei kein gutes Signal, wenn ausgerechnet die Regierung immer wieder rote Linien überschreite, meint etwa die Polizeiführung. Rohani wiederum dankte gerade erst auf Twitter den Iranern – die es denn lesen konnten – für ihre Geduld bis zum Ende der Sanktionen. Außenminister Mohammad Javad Zarif nutzt lieber Facebook und auf Instagram hat der 76-jährige Ali Khamenei, geistiges Oberhaupt der Islamischen Republik, eine beachtliche Fangemeinde von 600.000 Followern.

Ob soziale Netzwerke oder Mode: Im Iran wird alles zum Politikum. Nicht nur virtuelle Grenzen avancieren so zur Inspirationsquelle. Bei Labels wie NoFuX wird aus der Pflicht zur Verhüllung kurzerhand die Basis von Kreativität. Das beobachtet auch Araz Fazaeli. Politischen Fra­gen kommt er aber zuvor: „Ich tue das, was ich am besten kann: Te­heran mit den Augen eines Designers sehen. Ich konzentriere mich auf die Schönheit, die Kunst, das Design. Die helle Seite des Irans wird näm­lich viel zu oft übersehen. Es gibt dort so viel zu entdecken!“ Sein Blog „The Tehran Times“ ist ein ziemlich deutlicher Beleg dafür. Und der ist auch im Iran zugänglich. Ganz ohne Filter.

Mehr unter: @thetehrantimes

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