22 Bahnen: Wenn Geschichten Wellen schlagen – Caroline Wahl, Luna Wedler und Jannis Niewöhner im Gespräch

Foto: Frederike Wetzels

Caroline Wahls Roman „22 Bahnen“ hat unzählige Leser:innen bewegt – jetzt wird die Geschichte noch größer: ab dem 04.09.25 kommt der Roman auf die Kinoleinwand. Wir haben mit Caroline Wahl über die Entstehung von 22 Bahnen und ihre Figurengesprochen Zum Gespräch kamen dann noch die beiden Schauspieler Luna Wedler undJannis Niewöhner– und erzählten, wie sie die Geschichte vor der Kamera lebendiggemacht haben.

Zwischen Seiten und Schwimmbahnen

– Autorin Caroline Wahl über die Entstehung von 22 Bahnen

Vivien: Dein Roman 22 Bahnen hat viele Leser:innen tief bewegt. Gab es einen Moment, in dem dir klar wurde: Jetzt verändert sich mein Leben – jetzt wird es ernst mit dem Schreiben?

Caroline Wahl: Ja, den gab es tatsächlich. Als mein Manuskript von meiner Agentur an verschiedene Verlage geschickt wurde und gleich so viel Interesse da war, dass es eine kleine Auktion gab. Da habe ich gemerkt: Okay, das wird wirklich ein Roman, und er könnte vielleicht sogar größer werden. Das war der Moment, an dem ich gespürt habe: Jetzt beginnt ein neuer Lebensabschnitt.

Vivien: Und warst du in dem Moment eher stolz oder hattest du auch Angst, dass es vielleicht doch nicht klappt?

Caroline Wahl: Natürlich mischt sich da vieles – Freude, aber auch Zweifel. Doch vor allem war es ein Gefühl von Aufbruch, von Energie. Vorher steckte ich in einem Job, in dem ich mich überhaupt nicht wohlgefühlt habe. Auf einmal war da dieser Lichtblick , der gezeigt hat: Da geht etwas Neues los

Foto: Frederike Wetzels

Vivien: Du hast dich in 22 Bahnen für eine sehr schwere Thematik entschieden. War es nicht belastend, dich abends nach einem anstrengenden Tag noch damit zubeschäftigen?

Caroline Wahl: Im Gegenteil, das Schreiben war für mich ein Rückzugsort. Ich habe schon immer gerne Heldinnen in Büchern begleitet, die aus schwierigen Verhältnissen kommen – Figuren, die auf den ersten Blick kühl und stark wirken, auf den zweiten Blick aber sehr zart, liebevoll und zerbrechlich sind. Genau so eine Heldin wollte ich erschaffen: eine junge Frau, die es trotz allem schafft, ihren Weg zu gehen.

Vivien: Hast du dich im Film wiedergefunden? Wurde die Stimmung transportiert, die du beim Schreiben hattest?

Caroline Wahl: Ja, total. Ich hatte beim Schreiben dieses Gefühl von einem flirrenden Sommer, in dem so viel in der Luft liegt und man spürt, dass sich etwas verändern wird. Und genau dieses Gefühl hatte ich auch beim Anschauen des Films. Es war, als wäre die Stimmung direkt ins Bild übersetzt worden – das hat mich sehr gefreut.

Vivien: Warum glaubst du, dass gerade diese Geschichte so viele junge Menschen – vor allem Frauen – anspricht?

Caroline Wahl: Weil es eine Phase beschreibt, die wir alle kennen: den Schritt ins selbstbestimmte Leben. Es geht darum, den eigenen Weg zu finden. Das ist etwas, das viele junge Frauen gerade sehr bewegt. Ich schreibe allerdings nie mit der Intention, eine Botschaft zu transportieren. Ich bin ganz bei meinen Figuren und ihrer Geschichte. Wenn Leser:innen oder Zuschauer:innen daraus Hoffnung oder Mut schöpfen, ist das wunderschön – aber es war nicht geplant.

Foto: Frederike Wetzels

Vivien: Gibt es eine Figur, die dir besonders am Herzen liegt?

Caroline Wahl: Ich mag alle Figuren, weil ich für jede von ihnen Empathie entwickle – auch für die schwierigen. Selbst die Mutter, die alkoholkrank ist: Man versteht, dass sie eigentlich anders sein möchte, es aber nicht kann. Ich glaube, als Autorin kann man eine Figur nicht hassen. Man nimmt sie so an, wie sie ist – mit allen Fehlern.

Vivien: Hattest du beim Schreiben ein Bild von den Figuren im Kopf? Und wie war es dann, als die Schauspieler:innen feststanden?

Caroline Wahl: Es ist weniger ein optisches Bild als ein Gefühl. Man weiß ungefähr, wie die Figur sein sollte. Und natürlich ist es ein besonderer Moment, wenn dann reale Schauspieler:innen diese Rolle übernehmen. Als klar war, dass Luna Wedler und Jannis Niewöhner dabei sind, hat es für mich sofort gepasst. Sie verkörpern Tilda und Viktor auf eine sehr authentische Weise. Natürlich hat jede:r beim Lesen eigene Vorstellungen – aber ich finde, der Film ist in der Besetzung absolut gelungen.

Vivien: Ein großes Thema im Roman ist auch die Frage, ob Tilda Ida zurücklassen darf. Hast du selbst damit gehadert?

Caroline Wahl: Sehr. Ich habe viel darüber nachgedacht, ob Tilda ihre kleine Schwester einfach bei der Mutter lassen kann. Ich habe sogar recherchiert, ab wann das Jugendamt einschreiten würde. Am Ende war mir aber klar: Tilda würde diesen Schritt gehen – auch wenn sie damit Schuldgefühle hat. Mir war wichtig, das realistisch zu erzählen. Und im Folgeroman „Windstärke 17“ habe ich dann ja noch einmal aufgegriffen, wie es mit Ida weitergeht.

Vivien: Der Titel 22 Bahnen ist sehr prägnant. Wie kamst du darauf?

Caroline Wahl: Tilda ist ein Mensch, der Strukturen liebt und oft in Zahlen denkt. 22 ist eine gerade, runde Zahl – und steht für sie auch für Kontrolle. 20 Bahnen schwimmen alle,21 wäre zu ungerade. 22 Bahnen zu schwimmen passt perfekt zu ihrem Charakter: ein bisschen neurotisch, ein bisschen kontrolliert, aber auch voller Disziplin.

Foto: Frederike Wetzels

Caroline Wahl hat mit 22 Bahnen nicht nur eine berührende Geschichte über Geschwisterliebe, Verantwortung und Neuanfang geschrieben – sie hat Figuren geschaffen, die Leser:innen und Zuschauer:innen lange begleiten. Im Gespräch wird klar: Ihre Heldinnen sind stark, verletzlich und zutiefst menschlich – und vielleicht ist genau das das Geheimnis des Erfolgs.

Tilda, Viktor und die 22 Bahnen dazwischen

-Luna Wedler und Jannis Niewöhner im Interview über Nähe, Schmerz und die Kraft der leisen Momente in „22 Bahnen“

Foto: Constantin Film Distribution⁠

Vivien: Als ihr das Drehbuch zum ersten Mal gelesen habt – wie war euer Eindruck? Konntet ihr euch sofort mit euren Figuren identifizieren oder musstet ihr euch erst hineinfinden?

Luna Wedler: Für mich war ziemlich schnell klar, dass ich das machen möchte. Gleich die erste Szene wirft so viele Fragen auf: Wer ist dieses Mädchen? Ist es die Tochter, die Schwester? Man spürt sofort die komplexe Familiensituation – mit einer Mutter, die alkoholkrank ist und dadurch kaum für ihre Kinder da sein kann, und Tilda, die extrem abgeklärt wirkt, weil sie das alles schon tausendmal durchlebt hat. Das hat mich sofort gepackt. Und dann ist es ja auch eine Geschwistergeschichte – eine Verbindung voller bedingungsloser Liebe, wo man sich nicht erklären muss. Das finde ich unglaublich spannend.

Vivien: Tilda wirkt einerseits stark und organisiert, andererseits spürt man, dass sie innerlich überfordert ist. War es schwer, diesen Balanceakt zu spielen?

Luna Wedler: Absolut. Tilda hat sich ein komplettes System aufgebaut, das funktioniert – mit klaren Strukturen, Routinen, ihre Leidenschaft – die Mathematik, als Halt. Sie lebt nach Logik, damit sie alles kontrollieren kann. Aber irgendwann gerät dieses Konstrukt ins Wanken, sei es durch das Angebot einer Promotionsstelle oder auch durch Viktor, der plötzlich in ihr Leben tritt und vieles in ihr aufbricht. Diesen Spagat zu zeigen – zwischen Stärke und innerer Überforderung – war anspruchsvoll, aber auch sehr reizvoll.

Foto: Constantin Film Distribution⁠

Vivien: Der Film lebt auch von seinen stillen Momenten – in der Küche, im Schwimmbad oder einfach im Miteinander. War es für euch herausfordernd, mit dieser Ruhe zu arbeiten?Jannis Niewöhner: Klar, manchmal habe ich mich gefragt: „Reicht das, was ich da spiele, wenn ich kaum Text habe?“ Aber gerade in der Stille entsteht etwas Besonderes. Über Blicke, über Atmosphäre kann man sehr viel erzählen. Das war eine tolle Erfahrung. Und weil wir nicht nur das Drehbuch, sondern auch den Roman kannten, wussten wir, wohin die Reise geht – das hat Sicherheit gegeben.

Vivien: Nach so intensiven Drehtagen – wie gelingt es euch, wieder abzuschalten? Ich selbst musste nach dem Film erstmal eine Runde spazieren gehen, um alles sacken zu lassen.

Jannis Niewöhner: (lacht) Ja, das kann ich gut verstehen. Für mich ist das aber eher etwas Schönes. Klar, die Szenen sind intensiv, aber unser Beruf bedeutet ja auch, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Nach einem anstrengenden Drehtag hilft mir Humor oder einfach ein lockerer Moment, um wieder rauszukommen. Und ehrlich gesagt macht es auch Spaß, in diese Emotionen einzutauchen – man entdeckt dabei oft Seiten an sich selbst, die man vorher nicht kannte.

Luna Wedler: Das sehe ich ähnlich. Manche Rollen halten einem auch den Spiegel vor. Bei Tilda habe ich viel über Verantwortung, Schuldgefühle und Geschwisterliebe nachgedacht. Und da merkt man: Diese Themen sind universell, sie betreffen uns alle.

Foto: Constantin Film Distribution⁠

Vivien: Viktor ist im Film ein sehr stiller, verschlossener Charakter. Würdet ihr sagen, dass er für Tilda eher eine Stütze ist – oder weckt er auch neue Konflikte in ihr?

Jannis Niewöhner: Ich finde, es ist beides. Viktor ist kein Mensch, der sofort mit offenem Herzen auf jemanden zugeht – er ist sehr zurückhaltend. Aber in seinen Taten zeigt er klar, wie sehr er für Tilda da ist. Gleichzeitig spiegelt er ihr auch ihre eigenen Verletzungen wider, weil beide einen ähnlichen Verlust erlebt haben. Das macht ihre Beziehung komplex: Sie ist nicht nur heilsam, sondern auch herausfordernd. Und genau das finde ich spannend – weil es echt ist.

Nach dem Interview bleibt vor allem eines hängen: 22 Bahnen ist mehr als eine Romanverfilmung. Es ist ein Film über Familie, Verantwortung und die Frage, wie man seinen eigenen Weg findet. Authentisch gespielt, nahbar erzählt – und damit ein Kinobesuch, der garantiert nachwirkt.

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