Noch vor Erscheinen ihres Debütalbums reißt sich die Cool Crowd um Mabel McVey. Wer ist die junge Sängerin mit dem Style einer 90er-Jahre-Aaliyah und der groovigsten R&B-Stimme seit den Sugababes?
Overall: Alpha Industries
Mabel ist 20 Jahre alt, sie ist vor zwei Jahren von Stockholm nach London gezogen, steht auf Beyoncé – und sie hat das Talent, gute Songs zu machen, im Blut: Sie ist die jüngste Tochter der schwedischen Musiklegende Neneh Cherry und von Cameron McVey, der – vielen Dank dafür! – unter anderem den größten Hit der Sugababes „Overload“ produziert hat. Eine Tatsache, der Mabel nicht allzu viel Bedeutung zukommen lassen möchte: „Meine Ma, mein Vater und ich sind uns sehr nahe und die Musik meiner Eltern hat mich stark beeinflusst, aber es war für mich von Anfang an klar, dass ich das ohne ihre Hilfe schaffen will.“ Ihre ersten veröffentlichten Songs „My Boy My Town“ und „Thinking Of You“ zeigen, dass sie auf dem besten Wege ist, sich ihren eigenen Platz in der Hall of Fame zu sichern. Wir haben die Newcomerin getroffen und mit ihr über den Kleiderschrank ihrer Mutter, ihre komplizierte Liebesbeziehung zu London und über unbeliebte Boxen, in die man, ganz besonders als Frau, gerne hineingesteckt wird, gesprochen.
Du hast schon einige Singles und Videos veröffentlicht. Welcher deiner Songs bedeutet dir selbst am meisten?
„My Boy My Town“ zu schreiben war sehr wichtig für mich. Es geht darin um meine Beziehung zu London. Ich bin gerade wieder zurückgezogen und habe gemerkt, wie sich die Stadt verändert hat. London und ich waren beste Freunde und als ich vor zwei Jahren wieder zurückkam, war alles anders. Ich dachte: „Was? Du erinnerst dich nicht daran, was wir alles zusammen durchgemacht haben?“ Aber nicht nur die Stadt, auch ich habe mich verändert. Um das zu verarbeiten, habe ich diesen Song geschrieben. Ich habe mich danach sehr befreit gefühlt, nur weil ich es ausgesprochen habe.
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Davor hast du acht Jahre lang in Stockholm, der Heimatstadt deiner Mutter, gelebt. Was vermisst du, wenn du in London bist?
In Stockholm ist alles kleiner, die Distanzen sind nicht so groß. Du rufst deine Schwester oder deine Freundin an, sagst, du kommst vorbei und bist in 20 Minuten da. In London kann es eine bis anderthalb Stunden dauern, bis ich bei Freunden bin. Man muss den Besuch richtig planen. Es ist weniger spontan. Und ich vermisse die klar definierten Jahreszeiten. Ein harter, intensiver Winter und darauf folgt ein schöner Sommer. Hier ist es … keine Ahnung, was ist es? Regen, grauer Himmel und das die ganze Zeit. Trotzdem liebe ich London. Für das, was ich mache, und für das, was ich bin, ist die Stadt perfekt. Stockholm ist so begrenzt. Inzwischen fühle ich mich in London sehr viel freier.
Du wolltest deine Karriere ohne die Hilfe deiner Eltern starten. Wie läuft es für dich? Wie wirst du als junge Frau in der Musikindustrie behandelt?
Wenn du jung bist und dazu noch eine Frau, kommt es schon vor, dass die Leute dich bevormunden oder in eine bestimmte Richtung lenken wollen. Aber ich weiß, was ich will. Also habe ich alles andere von mir ferngehalten. Wenn du als junge Frau in der Musikindustrie nicht weißt, was du willst, und nicht von den richtigen Menschen umgeben bist, kann es sehr hart und anstrengend sein. Eigenwillig zu sein ist in dieser Branche sehr wichtig. Ansonsten nutzen die Leute das aus.
Hast du mit deiner Mutter darüber gesprochen? Sie hat ja vermutlich Ähnliches erlebt.
Definitiv. Als es darum ging, den Vertrag zu unterschreiben, war ich sehr besorgt. Ich bin jung, ich bin eine Frau und Universal ist diese riesige beängstigende Maschine. Klar hatte ich Angst, dass sie mich verschluckt. Meine Ma meinte aber direkt, dass es egal sei, solange ich wisse, was ich will, und wenn ich die besten Leute finden würde, um dieses Ziel zu erreichen. Die Vision müsse klar sein und jeder im Team solle sich dieser Vision bewusst sein. Wenn das gegeben wäre, sei eine große Maschine gut. Je größer, desto besser.
Du stehst offensichtlich auf die Mode der 90er-Jahre. Hat deine Mutter noch einige Teile von damals aufbewahrt, die du jetzt tragen kannst?
Meine Ma zieht sich immer noch so cool an. Und das ohne jede Anstrengung. Sie besitzt sehr viel Vintage-Kleidung. 90er-Jahre-Teile von Azzedine Alaïa und Jean Paul Gaultier. Ihre Sammlung ist toll, vor allem ihr Vintage-Rollkragenpullover mit Cut-outs von Alaïa. Aber auch wenn sie für mich ein Kleidungsstück kauft, kann ich mir immer sicher sein, dass es mir gefallen wird.
Verleiht sie dir gerne ihre Kleider?
Ja, total, aber es macht sie superemotional. Ich bin ihr jüngstes Kind. Sie jammert dann: „Du bist jetzt eine erwachsene Frau und trägst meine Kleider.“
Bist du als jüngstes von vier Kindern sehr verwöhnt?
Auf jeden Fall. Auch weil sie mich nicht wirklich erwartet haben. Ich bin sieben Jahre später als meine Schwester auf die Welt gekommen. Ich war eine freudige Überraschung. Und sie haben mich wie eine Prinzessin behandelt. Ich habe meine Geschwister wahnsinnig gemacht, weil ich alles bekommen habe, was ich wollte.
Fällt es dir dann nicht jetzt umso schwerer, dich allein in London durchzukämpfen?
Ich wurde verwöhnt im Sinne endloser Liebe. Meine Eltern haben immer darauf geachtet, dass ich glücklich bin. Aber sie haben auch dafür gesorgt, dass wir uns darüber im Klaren sind, dass es nicht selbstverständlich ist, so viel zu haben. Sie hatten anfangs kein Geld und haben sehr hart dafür gearbeitet. Für unsere unglaublich tollen Urlaube und unzähligen Konzerte. All das fällt nicht einfach vom Himmel und daran haben sie uns immer wieder erinnert. Als ich dann beschloss, Musik zu machen, war es wie ein stilles Übereinkommen, dass ich das selbst schaffen möchte. Ich wollte ihre Hilfe nicht. Wir sind vier sehr starke Kinder. Sie wollen, dass wir unabhängig sind. Ich komme sehr gut damit klar. Ich liebe die Herausforderung.
Wolltest du schon immer Musik machen?
Ja, ich wusste es schon immer. Es fühlte sich natürlich an, weil meine Eltern auch Musik machen. Ich war immer dabei, wenn sie auf Tour waren, und ich fand immer, dass es das Beste ist. Und Musik ist die erste Art, mit der ich gelernt habe, mich selbst auszudrücken. Das in eine Karriere umzuwandeln erschien ziemlich cool.
Wie finden deine Eltern deine Musik?
Sie unterstützen mich sehr. Die Musik meiner Eltern hat mich stark beeinflusst und sie sind stolz auf das, was ich mache. Es gefällt ihnen. Meine Ma wäre allerdings auf alles stolz, was ich mache. Mein Vater würde mir hingegen sagen, wenn es ihm nicht gefallen würde.
Du bist gerade 20 Jahre alt geworden, offiziell kein Teenager mehr. Fühlst du dich jetzt erwachsen?
Kein Stück. [lacht] Wenn man zehn Jahre alt ist und man sieht Leute, die in ihren 20ern sind, denkt man: „Wow, die sehen erwachsen aus, sie wissen, was sie tun.“ Jetzt bin ich 20 Jahre alt und ich denke: „Wow, ich bin so was von nicht erwachsen und weiß nicht, was ich tue.“ Ich habe dann meinen Vater gefragt, der fast 60 Jahre alt ist, und er meinte: „Ich habe absolut keinen Plan, was ich tue, aber irgendwas mache ich wohl richtig.“ Begriffe wie „erwachsen sein“ und „Alter“ sind so seltsam. Ich fühle keinen Unterschied zwischen 19 Jahre alt und 20 Jahre alt. Aber ich bin kein Teenager mehr. [lacht] Ich habe ein Bankkonto, eine Kreditkarte und eine Wohnung. Aber ich fühle mich definitiv nicht erwachsen.
Dein Vater ist Engländer, deine Mutter hat ihre Wurzeln in Schweden und Sierra Leone. Du hast deine Jugend in Stockholm verbracht. War es für dich dort schwierig, deine Identität zu finden, dich zugehörig zu fühlen?
In London bin ich „mixed race“. Es ist normal hier. Keiner wundert sich. In Schweden gibt es für das, was ich bin, noch nicht einmal ein Wort. Als ich jünger war, habe ich einfach gesagt, ich sei Latina. Weil, wenn ich gesagt habe, dass ich englisch sei, meinten sie: „Du siehst nicht englisch aus“, und wenn ich gesagt habe, dass ich schwedisch sei, meinten sie: „Du siehst definitiv nicht schwedisch aus.“ Ja klar, mein Großvater ist aus Westafrika, aber ich war noch nie dort. Es wird einem so kompliziert gemacht. Die Leute wollen einen immer in eine Box stecken. Sie meinen das nicht unbedingt böse. Sie sind neugierig und wollen wissen: „Was bist du?“ Meine Ma hatte dasselbe erlebt und sie hat mir gesagt, als die Frage aufkam, dass ich schön sei. Die Antwort ist einfach „schön“. Ich hatte eine starke Basis. Aber es war schon schwierig. Ich fühle mich nicht schwarz genug und in manchen Situationen bist du dann doch die, die am meisten schwarz ist. Die Leute wollen, dass du in diese Welt passt, aber ich bin, wie ich bin. Ich bin schwedisch, ich bin englisch. Und ich sehe auch meinen Großvater aus Sierra Leone in mir.
Mit sich zufrieden zu sein, wie man ist, ist das auch etwas, was du mit deiner Musik vermitteln möchtest?
Ja, unbedingt. Ich hatte eine harte Zeit als Teenager. In Schweden waren alle Mädels groß und blond und ich war das genaue Gegenteil. Ich wurde nie als eine der „Schönen“ betrachtet. Es war die absolute Hässliches-Entlein-Situation. Ich habe mich gefangen gefühlt in meinem Körper, in meinem Denken. Es war in dieser Zeit sehr wichtig für mich, junge, starke Frauen zu treffen. Ich fühle mich in meiner eigenen Haut erst seit etwa einem Jahr wohl und ich dachte: „Puh, endlich!“ Ich fühl mich jetzt stark und möchte so auch in meinen Songs klingen und die Stärke weitergeben.
Erfolgreich Musik zu machen bedeutet meist, dass man damit klarkommen muss, berühmt zu sein. Freust du dich darauf oder ist es für dich ein negativer Nebeneffekt?
Da meine Eltern das Ganze mitgemacht haben, weiß ich, dass „Berühmtheit“ nicht nur gute Seiten hat. Die meisten Leute glorifizieren es und denken, es wäre etwas unglaublich Tolles. Aber es kann auch schnell schmerzhaft werden, wenn alle Augen auf dich gerichtet sind. Du wirst zum Freiwild. Die Leute meinen, über dich urteilen zu können, sie schreiben gemeine Sachen über dich. Aber mir ist das eigentlich egal. Ich bin sehr zufrieden mit mir selbst. Aber klar wird jemand schlechtes Zeug über mich schreiben. Ich freu mich darauf. [lacht]
Mehr von Mabel seht und hört ihr hier und hier.
FOTOS: Ansgar Sollmann
PRODUKTION & STYLING: Anna Baur
MAKE-UP: Crystabel Riley
HAIR: Satomi Suzuki