Zeina Nassar ist eine Athletin, die weiß wie es ist, wenn man sich durchboxen muss. Die Sportlerin mit libanesischen Wurzeln träumte bereits als 13-Jährige davon, in den Ring zu steigen. Seit Jahren ist sie nun erfolgreich in der Männerdomäne Boxen aktiv und ist damit nicht nur Frauen ein Vorbild. 2013 erreichte sie, dass Frauen bei Wettkämpfen mit Kopftuch in den Ring steigen dürfen, im September 2018 wurde das Nike-Testimonial in ihrer Gewichtsklasse deutsche Meisterin.
Du hast mit 13 Jahren mit dem Boxen begonnen. Wie haben deine Freunde darauf reagiert?
Erst haben sie mich nicht ganz ernst genommen. Einige haben gelacht und sich gefragt, wie lange ich das wohl durchhalte. Viele fanden es aber einfach spannend und haben mich sofort unterstützt, sind zu meinen Wettkämpfen gekommen – Sogar meine Schuldirektoren und meine Lehrer. Ich bin seitdem ein kleiner Star an meiner alten Schule, werde dort immer wieder für Veranstaltungen eingeladen und habe mitbekommen, dass sogar im Deutschunterricht oder im Ethikunterricht über mich gesprochen wird. Das finde ich total spannend! Und mir wurden coole Spitznamen gegeben: Zeina Nassar, die Boxqueen oder Junior Muhammed Ali. Das ist schon ziemlich cool!
Könntest du dir vorstellen, irgendetwas anderes zu machen?
Ich hatte neulich neun Tage lang eine Pause vom Sport. Das war zwar sehr entspannend, aber gleichzeitig habe ich schon mein nächstes Training geplant. Ich brauche meinen Sport und alles, was ich sonst noch so mache. Das merke ich auch jedes Mal an meinem Regenerationstag: Ich fiebere dem Tag entgegen und wenn er dann da ist, will ich einfach nur wieder Sport machen.
Ist es für dich als Frau in dieser Männerdomäne manchmal schwierig?
Am Anfang war es das. Ich habe in der Schulzeit mit einem Trainer einen Boxkurs geleitet. Erst waren nur Jungs da und die wollten sich nicht von mir trainieren lassen. Nach der ersten Einheit, habe ich sie überzeugt. Einige kamen dann regelmäßig für zwei Stunden, haben mich nach Tipps gefragt und mir von ihren Fortschritten berichtet, wenn sie zuhause vor dem Spiegel geübt haben. „Guck mal, ich hab das geübt, was du mir gesagt hast.” Das hat mich einfach stolz gemacht. Einige von ihnen schreiben mir heute noch, sind inzwischen in Boxvereinen. Irgendwann kamen dann auch junge Mädchen zum Training. Zu sehen, dass ich Mädchen erreiche, finde ich einfach schön.
Deine Message an Mädchen, die gerne boxen möchten, aber in ihrem Umfeld vielleicht belächelt werden?
Es ist super wichtig, dass man trotzdem dran bleibt! Und sich von wirklich niemandem etwas sagen lässt, oder sich einreden lässt, dass man etwas nicht erreichen könnte. Ich bekomme viele Nachrichten von Mädchen und berichte ihnen von meinen Erfahrungen. Es gibt immer wieder Hindernisse im Leben, oder so wie ich es sehe Herausforderungen. Bei mir lief es auch manchmal einfach nicht gut – und trotzdem habe ich weiter gemacht und bin dran geblieben. Und das versuche ich so auch zu vermitteln. Dass man für die Ziele, die man sich selbst setzt, auch wirklich einsteht. Über mich lacht niemand mehr, im Gegenteil: alle feiern mich extrem und ich werde respektiert. Und genau das versuche ich weiterzugeben. Dranbleiben, weitermachen. Du wirst besser, und dann lacht keiner mehr.
Du hast erreicht, dass die offiziellen Wettkampf-Regeln geändert wurden und Frauen mit Kopftuch boxen dürfen. Gleichzeitig ist dein Leben in deiner alten Schule Unterrichtsthema. Ist das für dich eher Bürde oder Motivation?
Ich merke schon, dass ich jetzt eine größere Verantwortung habe, weil ich für viele ein Vorbild bin. Was mich natürlich auch total motiviert; zu sehen, dass ich andere Menschen erreichen kann. Trotzdem bleibe ich mir dabei treu und mache einfach das weiter, was mir wichtig ist – und das ist in erster Linie mein Sport.
Was war der beste Ratschlag, den du je bekommen hast?
(Überlegt lange) Das ist eine gute Frage. Eigentlich habe ich sonst immer anderen Leuten Ratschläge gegeben. Ich werde oft auf Instagram angeschrieben – Häufig bekomme ich Nachrichten von Eltern, deren Töchter boxen wollen. Die mich nach Tipps fragen, weshalb ihre Töchter boxen sollten. Das sei doch viel zu gefährlich. Ich schreibe dann, dass Boxen viel Respekt und Disziplin erfordert. Ich wurde durchs Boxen in der Schule konzentrierter, habe durch den Sport meine Grenzen erkannt und bin geduldiger geworden.
Trotzdem ist Boxen immer noch eine Männerdomäne. Es gibt viele Boxfilme, in denen es meist um Männer geht. Ärgert dich das?
Ärgern nicht, aber ich würde mir natürlich wünschen, dass das Frauenboxen in der Gesellschaft anerkannt und präsenter wird. Es gibt unglaublich viele Boxerinnen, die großes Potenzial haben. In diesem Jahr werden die deutschen Meisterschaften der Frauen zeitgleich mit denen der Männer zum ersten Mal in Berlin stattfinden. Das war bisher immer getrennt. Dadurch bekommen wir mehr Publicity und mehr Aufmerksamkeit, man kann die Wettkämpfe sogar im Fernsehen sehen. Darauf freue ich mich.
Du bist auf Instagram sehr aktiv, lässt deine Follower an deinem Leben teilhaben. Gleichzeitig wird dadurch aber auch das Feedback der Fans unmittelbarer. Wie ist dein Umgang mit Kritik und nicht so netten Kommentaren?
Als ich mit 13 Jahren mit dem Sport angefangen habe, habe ich auf Facebook oder anderen Seiten überwiegend positive Kommentare bekommen. Natürlich waren auch ein paar negative Sachen dabei, was mich erst mal gestresst und auch geärgert hat. Damals habe ich noch alles gelesen und versucht, darauf zu antworten. Ich habe dann gemerkt dass man mit manchen Leuten einfach nicht sprechen kann, das ist deren Denkweise, daran ändert sich auch nichts. Das hat mich sehr geärgert. Mir wurde sogar einmal der Tod gewünscht: eben weil ich boxe und eine Frau bin.
Weil du boxt und eine Frau bist, oder auch, weil du Muslimin bist?
Weil ich eine Frau bin. Aber natürlich bekomme ich auch Nachrichten von Leuten, die nicht tolerieren, dass ich mit dem Kopftuch boxe. Das sind nicht unbedingt Menschen, die islamischen Glaubens sind. „Du boxt mit Kopftuch? Das geht doch gar nicht!” Natürlich war ich erst mal verletzt, aber mit der Zeit habe ich gemerkt, dass es dumm ist, sich mit diesen negativen Dingen überhaupt zu beschäftigen. Viel sinnvoller ist es doch, sich mit dem Positiven auseinanderzusetzen. Mittlerweile sehe ich Negativkommentare sogar als Motivation. Ich lasse mir von niemandem etwas sagen! Mir ist auch relativ egal, was andere über mich denken – und das sollte es eigentlich jedem Menschen sein. Ich habe ein starkes Selbstbewusstsein. Ich habe meine Ziele und werde auch alles dafür tun, um diese zu verwirklichen. Es ist relativ egal, ob das andere gut finden oder nicht. Ich bleibe mir treu, und ich mache das, weil ich mit Leidenschaft dabei bin.
Du bist noch sehr jung, aber man merkt, dass du genau weißt, was du willst.
Ja, ich war mit jungen Jahren schon ziemlich ehrgeizig, habe viel ausprobiert und gefunden was ich in meinem Leben machen möchte. Nachdem für mich die Wettkampfbestimmungen geändert worden waren, wusste ich, dass einfach alles möglich ist. Da war mir klar, dass ich alles erreichen kann, was ich nur will. Ich habe erkannt, dass ich aus jeder Situation lernen kann, egal, worum es geht. Ich versuche, immer positiv und optimistisch zu sein.
Was wünscht du dir für die Zukunft des Boxsports, explizit für das Frauenboxen?
Ich wünsche mir, dass noch mehr Mädchen und Frauen anfangen zu boxen. Damit ich später einmal eine Rolle als Trainerin übernehmen kann.
In Kooperation mit Nike.
Interview: Tabea Weidenhiller // Fotos: Nike