Der Porno für die Ohren ist schon länger eine Alternative zu Sexfilm, Fanfiction oder der eigenen Fantasie. Gerade jetzt gewinnen geführte Masturbation und Audio-Erotik aber auch in Deutschland immer mehr an Beliebtheit. Wir hören rein.
In immer mehr Kreisen sprechen wir offen über Masturbation oder Selbstbefriedigung. Dazu zählt mittlerweile sogar der Lohnarbeitsplatz, wie im letzten Jahr die Frage nach einer Masturbationspause verdeutlicht hat. Und dennoch: Es gibt einen Unterschied darin, wie wir mit Medien und Mitteln zu Masturbation umgehen. Bei aller Normalisierung von Sextoys, legen wohl die wenigsten von uns diese sichtbar ins Regal. Und auch der Tab mit dem feministischen Porno oder dem liebsten Only-Fans-Account dürfte eher im privaten Browser heißlaufen. Anders sieht das Sex-Literatur aus. Und dazu zählt auch jene, die wir hören können: Geführte Masturbation oder „(audio-) guided Masturbation” ist seit Jahren ein leiser Trend. Besonders im letzten Jahr scheint sie aber in Deutschland an Beliebtheit gewonnen zu haben. Verwunderlich ist das nicht: Im Gegensatz zum Porno rangiert der Sex-Podcast gefühlt schon selbstverständlich neben tagesaktuellen News oder Laberpodcasts.
Immer schön achtsam: Auf Mindful Menstruation folgt Guided Masturbation
Was aber macht geführte Masturbation so zugänglich? Dass Selbstbefriedigung, die nicht mithilfe von Pornos, geschriebenen Geschichten oder der eigenen Fantasie praktiziert wird, gerade so beliebt ist, könnte verschiedene Gründe haben. Zum einen liegt hier der anhaltende Hype um Achtsamkeit nahe, dank dem Menschen versuchen, nahezu jeden Lebensbereich „mindful” zu gestalten – vom Alltagsprogramm bis zur Menstruation. Warum also nicht auch die Masturbation? In anderer Hinsicht könnte das Ausweiten von sexuellen Inhalten auf Audio-Angebote aber schlichtweg eine natürliche Entwicklung in unserem multimedialem Sexkonsum sein. Oder sie ist darauf zurückzuführen, dass mit dem Rückgang von sexuellen Erfahrungen während der Pandemie mehr Kreativität in Sachen Self-Sex gefo(e)rdert wird. Aber dazu später mehr.
Geführte Masturbation oder Selbstbefriedigung mit Hörbuch mus sich nicht nur gemeinschaftlich anfühlen, sondern kann es auch in der Praxis sein – zum Beispiel in einer „Group Masturbation“. Foto: cottonbro/Pexels
Die bekannteste geführte Masturbation in Deutschland
In der Umsetzung von geführter Masturbation gibt es ebenfalls verschiedene Angebote. Die Klassiker liegen in den eigens dafür geschaffenen Apps, Services und Medien. „Stellt euch [Meditations-Apps wie] Headspace vor, aber in geil”, teasert zum Beispiel eine australische Website. Bei solchen Services und Apps können sich Hörer*innen mit geführten Anwendungen bis hin zu fiktionalen Geschichten befriedigen. In Deutschland dürfte das Unternehmen „Femtasy“ zu den bekanntesten Anbietern zählen. Es wurde von Nina Julie Lepique schon 2017 ins Leben gerufen, erreicht mittlerweile aber Hunderttausende Hörer*innen, hat die Umsatzmillion laut Spiegel „geknackt” und soll durch Investor*innen in siebenstelligen Summen gefördert worden sein. Femtasy richtet sich der eigenen Website zufolge an „Frauen*” (also nicht nur cis Frauen, mehr zum Sternchen hier). 14 Tage lang können Kund*innen den Service kostenlos testen, danach kostet ein Monatsabo ca. 13€. Wie auch andere Sextoy-Anbieter und Medien sieht sich Femtasy weniger als Teil einer Erotik-Industrie, sondern als Kraft von „Wellbeing” und „Sexual Wellness”.
Ein Safe Space für intime Geschichten
Auch die Plattform „Audiodesires” bietet erotische Geschichten und ASMR-Storytelling zum Hören. In Deutschland ist das Unternehmen seit einem halben Jahr am Start und bezeichnet sich als „Safe Space für intime Audioinhalte”. Laut eigenen Angaben sei der deutsche Markt in der jungen Unternehmensgeschichte am schnellsten gewachsen. Weltweit soll Audiodesires inzwischen 2,4 Millionen Nutzer*innen in 231 Ländern haben. Durch die Guides zur geführten Masturbation seien jene User*innen dazu eingeladen, mehr über ihren Körper und ihre Bedürfnisse zu erfahren, heißt es in einem Jahresrückblick des Portals. Dafür sei Audiodesires ein Ort, der „frei von den problembeladenen Vorstellungen über Körperbild und Geschlechterbeziehungen ist, die so häufig in der Pornografie zu finden sind”. Zu den beliebtesten fiktionalen Geschichten auf der Plattform zählen solche mit Titeln wie „Der Fremde im Café“, die Pegging-Story „Bück dich, Baby“, queere Stories wie „Nightclub Heat II“, aber auch „klassische” Porno-Themen wie „Herr Professor”. Bei den beliebtesten Fantasien stehen gegensätzliche Themen auf gleicher Stufe: „Sex mit Unbekannten” ist fast genauso viel beliebt wie „Sex mit Partner*in”, gleiches gilt für den „Sex zu Hause” und „Sex an ungewöhnlichen Orten”.
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Gruppen-Masturbation: Anschluss an Zoom-Meetings und Online-Konzerte?
Stichwort ungewöhnliche Orte: Geführte Masturbation muss keine Erfahrung sein, die Mensch allein erlebt. Immer wieder veranstaltet zum Beispiel die Soft-Sculpture- und Performance-Künstlerin Talaya Schmid eine „Guided Group Masturbation”. Solche Projekte erinnern an Masturbationsworkshops der 70er-Jahre, schlussfolgert diese Autorin. Aufgrund der Pandemie fanden die letzten Ausgaben von Schmids geführter Masturbationsrunde im digitalen Raum statt. Gemeinsame Selbstbefriedigung als nächster Schritt nach Social Distancing, Zoom-Meetings und Online-Konzerte? Dem Erfahrungsbericht und auch Schmids eigenen Worten zufolge erinnert es eher an eine „Ganzkörpermeditation” als an den „Wichskeks”. Die Künstlerin nennt ihr Projekt auch eine „immersive Sound-Skulptur”. Vereinzelte Angebote wie dieses finden Interessierte online auch ohne Kunst-Kontext (eine geduldige Suche ist hilfreich), oder als Event in Präsenz. 2018 sorgte zum Beispiel ein Workshop der Uni Bielefeld für Schlagzeilen, da hier Menschen mit Vagina auf Kosten von Uni-Geldern die Masturbiation für „möseale Ejakulation” erlernen sollten.
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Synchronisierte Sextoys: Wenn der Vibrator auch zuhört
Nach alldem dürfte es wenig überraschen, dass auch Sextoy-Hersteller auf den Zug aufspringen. Schon im letzten Herbst schufen die Sextoy-Brand Satisfyer und Berlinable – eine weitere Plattform für Erotica-Inhalte – in Form ihres gemeinsamen Genres „Remotyca”. Hinter dem Titel verbirgt sich eine Kombination aus 60 erotischen (Audio-) Storys, einer App und einem Sextoy. Per Satisfyer Connect App können User*innen auf eine „Remotyca“-Playlist bei Spotify zurückgreifen und diese mit ihrem Sextoy synchronisieren, sofern dieses denn kompatibel mit der App ist. Soll heißen: Die Vibration des verbundenen Toys ist auf die Dramaturgie der 60 Audiodateien abgestimmt. Sie vibriert passend zur den Klängen der Geschichte; auf Wunsch auch passend zu Umgebungsfaktoren wie die eigene Stimme. Satisfyer preist dieses Erlebnis als neue Form des Remote Sex an – egal, ob allein oder in einer Partner*innenschaft.
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Ob als neue Art der Erotica, als Achtsamkeitsübung oder nur zur Probe: Es scheint ein neuer Standard, dass geführte Masturbation und Sex-Hörspiele neben der Playlist für die Gartenparty und dem Meditations-Podcast stehen. Ein Hoch auf den Shuffle-Modus.
An diesem Beitrag wurden Änderungen vorgenommen.
Diese Beiträge gibt’s leider nicht als Audiodatei – aber sie lassen sich genauso gut vorlesen:
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Die anonymen Masturbierenden: Abgefuckte Theorien zum Thema Selbstbefriedigung