Man glaubt es kaum: Selbst Kim Kardashian ist bloß ein Mensch, findet MTV-Moderatorin Wana Limar – und fordert sie in einem offenen Brief auf, endlich zu sich selbst zu stehen.
Liebe Kim,
seit deiner Zeit als Paris Hiltons Sidekick verfolge ich schon deinen Walk of Fame (… und Shame), stalke und ergötze mich am Anblick deiner Fotos und Styles. Du bist für mich eine der schönsten Frauen, wenn nicht die Schönste dieses Planeten. Dein „Glam-Team“ hat die Beauty-Industrie komplett verändert. Allein deinetwegen haben Mädchen weltweit angefangen, sich weiße und braune Balken ins Gesicht zu malen, damit sie kein Geld mehr für die Nasen-OP ausgeben müssen. Selbst meine Cousins wissen inzwischen, was Contouring ist. Und doch finde ich mich immer wieder in ausgedehnten und pseudopsychoanalytischen Auseinandersetzungen mit Freunden wieder, darüber, inwiefern es zusammenpasst, dass du keinen geraden Satz formulieren kannst, aber Millionenumsätze machst, oder dass einer der berühmtesten Visionäre, Kanye West, dich Bilderbuch-Valleygirl so vergöttert und nicht nur zur eigenen Muse, sondern auch zur Mutter seiner Kinder macht. Was sagt es überhaupt über unsere Gesellschaft und Generation aus, dass wir uns offensichtlich so sehr nach einer Figur wie dir sehnen und du uns schon so lange faszinierst? Wie ist es möglich, dass ich alle Staffeln von „Keeping Up with the Kardashians“ auswendig kenne, mich mit deinem Leben auseinandersetze und mich trotzdem weigere, dir offiziell auf Instagram zu folgen? Irgendwie scheinheilig. Meinerseits. Ich weiß.
Du vermittelst falsche Werte, jagst nach Dingen, die vergänglich und wertlos sind.
Das hat aber nichts damit zu tun, dass ich auf supercool machen oder dich haten würde. Es geht mir mehr um das Verantwortungsgefühl, das ich meiner Community gegenüber verspüre. Manchmal werde ich von jungen Mädchen gefragt, wie ich dich finde und Kylie und Kendall und die anderen zwölf K’s. Ich weiß dann oft nicht, wie ich antworten soll. „Scheiße“ würde schließlich nicht ganz der Wahrheit entsprechen. „Toll“ aber noch weniger. Abgesehen von deiner wunderschönen Hülle stehst du in meinen Augen vor allem für Materialismus, Selbstverliebtheit, Schönheitswahn und den Drang nach Ruhm um jeden Preis. Du vermittelst falsche Werte, jagst nach Dingen, die vergänglich und wertlos sind. Und damit bist du weder die Ausgeburt des Teufels noch die Einzige in der Branche – nein, du repräsentierst und führst uns damit eigentlich nur unsere eigene Gesellschaft vor Augen und verkörperst unsere Gelüste. Du bist die Eitelkeit in Person, du bist berühmt fürs Berühmtsein. Und das Ding ist: Eigentlich ist es völlig okay. Nicht jeder muss ein Talent haben oder Weltverbesserer spielen.
Umso ärgerlicher, dass du dich nicht offener zu deiner Menschlichkeit bekennst, zu deinen Unsicherheiten, deinen Kämpfen, deinen Makeln, deinen OPs.
Aber du gehst weder offensiv noch selbstkritisch oder selbstironisch mit der offensichtlichen Tatsache um, dass Ruhm und Geld dein Antrieb sind, dass du es schon auf der Highschool geliebt hast, im Mittelpunkt zu stehen und am Coolen-Tisch zu sitzen, und dir materielle Errungenschaften einfach wichtig sind. Aber genau das wäre wenigstens authentisch und bestärkend, weil es von Ehrlichkeit, Selbstbestimmtheit und der Fähigkeit zur Selbstreflektion zeugen würde. Du erreichst mittlerweile Millionen von Menschen. Dir wird sicherlich klar sein, wie viel Einfluss du auf junge Mädchen hast, und genau deswegen ist es umso ärgerlicher, dass du dich nicht offener zu deiner Menschlichkeit bekennst, zu deinen Unsicherheiten, deinen Kämpfen, deinen Makeln, deinen OPs. Klar, das ist Teil deiner Strategie, dein Erfolgsgeheimnis, eine Persönlichkeit darzustellen, die die ganze Welt an ihrem vermeintlich perfekten Leben teilhaben lässt und über die sich jeder das Maul zerreißen kann, während du einfach weiter nickst, lächelst, „diese Idioten“ denkst und Millionen kassierst.
Genau diese Scheinheiligkeiten machen es für mich schwierig, dich gut zu finden.
Den unternehmerischen Aspekt dahinter kann man bewundern, es vielleicht als selbstbestimmt und feministisch betrachten, dass du ein Business daraus gemacht hast, dich selbst zu vermarkten – aber ist es denn wirklich so erstrebenswert und vorbildlich, nicht von Leidenschaft, Hingabe, Vision oder Überzeugung, sondern von Geltungssucht und Oberflächlichkeit getrieben berühmt werden zu wollen?
Dass der Startschuss deiner Karriere ein Sex-Tape war, das heute keinen mehr interessiert, kann für Frauen auch bestärkend sein. Aber das Absurde daran ist, dass du auch heute, selbst zehn Jahre später, immer noch vorgibst, Opfer eines Leaks gewesen zu sein – dabei würde es dich glaubwürdiger machen, wenn du dazu stehen würdest, dass das Tape ein gezielter PR-Move war. Genau diese Scheinheiligkeiten machen es für mich schwierig, dich gut zu finden. Erst wenn du anfängst, authentischer und glaubwürdiger zu sein, kann ich mit meiner eigenen Scheinheiligkeit aufhören, dir ehrlichen Credit geben und dir endlich offiziell folgen.
Aber ey, nur #follow4follow.
Foto Kim Kardashian: Buch-Cover „Selfish“ von Kim Kardashian West, Rizzoli Verlag