Die anonymen Masturbierenden: Abgefuckte Theorien zum Thema Selbstbefriedigung

Es gibt viele Gerüchte und abgefuckte Theorien ums Thema Masturbation. Credit: Joanna C. Schröder
Orgasmussucht, Dead-Vagina-Syndrom, Penisneid – es gibt viele Gerüchte und abgefuckte Theorien ums Thema Masturbation. Wir blicken unter die Bettdecke.

Text: Edith Löhle

Beim Orgasmus sieht unser Gehirn aus, als wären wir auf Heroin. Das klitorale Kommen fühlt sich also nicht nur an wie ein Feuerwerk im Körper, tatsächlich findet im Oberstübchen eine richtige Dopamin-Explosion statt. Deswegen haben Wissenschaftler der Universität Groningen 2010 den Höhepunkt mit der Wirkung von Heroin verglichen. Drastisch, aber leitet doch so wunderbar über, dass Frauen davon sprechen, süchtig nach ihrem Auflegevibrator zu sein. Jetzt wirklich. „Irgendwann gehörte das Masturbieren zu meiner Tagesroutine wie Zäh­ne­putzen. Mit dem Vibrator komme ich in unter einer Minute. Das ist immer zuverlässig und deshalb denkst du irgendwann, dass du es brauchst“, erzählt Marie* (32, Single). „Für mich geht’s dabei um Effizienz. Ich ar­beite extrem viel und das ist ein Ausgleich, der mich nicht so viel Zeit kostet.“ Anastasia* (26, in einer Beziehung) sagt: „Nach drei Tagen dach­te ich, ich sei süchtig. Wenn ich Sex mit meinem Freund habe, bauen wir das Teil auch ein, denn es liegt immer offen auf dem Nachttisch.“ Und im Netz finden sich noch viel mehr dieser Kommentare. Sie reden von Druckwellenvibratoren, die die 8.000 Nerven der Klitoris mit Pulsationen und saugendem Unterdruck so reizen, dass es woooooow wird.

„Wo­bei es schon sein kann, dass wir durch die permanente Benutzung eines Druckwellenvibrators vorübergehend verlernen, uns auf sanftere beziehungsweise andere Arten zu stimulieren. Wir brauchen dann immer wieder diesen krassen Stimulus, um in Fahrt zu kommen.“

„Die starken Vibrationen oder Druckwellen, die von vielen Toys ­ausgehen, können meist nicht mit den Händen oder einem Penis nachgeahmt werden. Dadurch trainieren wir uns kontinuierlich eine Form der Er­regung an, die von starken Reizen abhängig ist“, sagt Sexualpädagogin Gianna ­Bacio. Am 08. Oktober erscheint ihr Buch „Hand drauf – Ein Plä­doyer für die weibliche Masturbation“. Sie ist also die richtige An­sprech­partnerin für die ernst gemeinte Frage, ob man hier von einer Sucht mit Gefahren sprechen kann. „Das Wort ,Sucht‘ halte ich für ex­trem, denn das würde die krankhafte Abhängigkeit von etwas bedeuten. Wo­bei es schon sein kann, dass wir durch die permanente Benutzung eines Druckwellenvibrators vorübergehend verlernen, uns auf sanftere beziehungsweise andere Arten zu stimulieren. Wir brauchen dann immer wieder diesen krassen Stimulus, um in Fahrt zu kommen.“ Also doch irgendwie.

Kann zu viel Masturbation eigentlich schaden – körperlich, aber auch zwischenmenschlich? Anatomie- und Biounterricht braucht keiner an dieser Stelle, aber im Sommer verbreitete sich eine Panik wegen des soge­nann­ten Dead-Vagina-Syndroms. Es handele sich dabei um eine dauerhafte Taubheit der Klitoris nach zu viel Masturbation. Dass die Nerven überreizt werden können und die Vagina wie tot ist, das hält Gianna ­Bacio aber für Quatsch: „Das Dead-Vagina-Syndrom ist ein Mythos. Das ist, zum Glück, rein physiologisch nicht möglich. Ein entstehendes Taubheitsgefühl nach der Selbstbefriedigung kann auftreten, aber dabei handelt es sich lediglich um eine temporäre Nachwirkung des Orgasmus und keinesfalls um eine langfristige Schädigung. Vielmehr als von einer Abstumpfung der Vagina beziehungsweise Vulva lässt sich hingegen von einem Gewöhnungseffekt sprechen. Wenn wir also ausschließlich mit einem Vibrator masturbieren, kann es sein, dass wir auch nur noch dann Lust empfinden, wenn wir eben einen solchen Vibrator benutzen.“

Beim Sex mit dem Partner steht der Orgasmus für viele nicht zwangsläufig im Mittelpunkt, während es bei der Masturbation in der Regel darum geht.

Und damit sind wir nun bei der Kehrseite der Masturbations-Medaille angelangt: Wenn Anastasia vom großartigen Sex mit ihrem Partner spricht, dann erzählt sie von seinem Griff, den Küssen, der Energie und sei­nem Rhythmus. Den Part mit dem Höhepunkt übernimmt aber das Toy. Und tatsächlich sagen einige dieser anonymen Masturbierenden genau das, dass sie mit dem Partner nicht mehr kommen. Der Penis macht den Pitch, der Magic Stick aus Plastik dann den Geschäftsabschluss. Die Se­xualpädagogin trifft immer wieder auf Personen wie Anastasia und die, die nie gelernt haben, ohne Spielzeug zum Orgasmus zu kommen. Sie haben sich nur eine Art der Befriedigung angeeignet und konnten laut Bacio noch nie die Vorzüge einer andersartigen Stimulation genießen. Empathie gehört ja auch ins Bett: Wie würden wir uns fühlen, wenn der Partner beim Sex irgendwann zur Taschenmuschi wechselt, um zu kommen? „Lustigerweise habe ich noch keinen Mann erlebt, der aufgrund ei­nes Druckwellenvibrators in Unruhe verfallen wäre. Ganz im Gegenteil: Bei vielen Frauen ,dürfen‘ diese Toys offen herumliegen und jederzeit benutzt werden. Wobei ja in puncto Orgasmusgarantie die größere ,Gefahr‘ von diesen ausgeht. Anders sieht es bei phallusförmigen Dildos oder Vibratoren aus. Hier habe ich bei einigen Männern durchaus so et­was wie Penisneid erlebt“, so Bacio. „Sie fühlen sich minderwertig, weil sie gefühlsmäßig im Vergleich mit den meist voluminösen und großen Exemplaren schlechter abschneiden.“ Aber man muss ja auch mal deutlich sagen, dass Sex viel mehr ist als Kommen. Beim Sex mit dem Partner steht der Orgasmus für viele nicht zwangsläufig im Mittelpunkt, während es bei der Masturbation in der Regel darum geht. Am Toy hängt ja eben nicht noch ein Körper dran, für den einem wundersame Sachen einfallen.

Sex hat so viele Facetten und Abwechslung tut unserer Vulva gut.

Also mal kurz lieber Hand aufs Herz als Hand in die Hose: Sex hat so viele Facetten und Abwechslung tut unserer Vulva gut. Das rät auch die Sexualpädagogin in ihrem Masturbations-Guide für Frauen: „,Achtsamkeit‘ und ,Variation‘ sind die Stichwörter: Herauszufinden, was mir eigent­lich gefällt, damit fängt es an. Sich dann selbst und dem eigenen Körper beizubringen, flexibel zu reagieren, indem wir ihm immer wieder neue Reize anbieten, macht uns unabhängiger von speziellen Stimuli. Wir Menschen können schließlich ein Leben lang lernen. Anstatt also bei der Selbstbefriedigung oder beim Sex stets das Gleiche und Altbekannte abzuspulen, lohnt es sich, immer wieder auch neue Wege zu beschreiten.“ Für Suchtis gilt also: Durch einen kalten Vibrator-Entzug zwischendrin könnte es mit dem Partner wieder heißer werden.

* Namen von der Redaktion geändert

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