Wir setzen die Pille ab, schmeißen den Rasierer weg, suchen nach Alternativen zu Tampons und fühlen uns dabei sowas von forward. Wer die neue Weiblichkeit lebt, muss sich zwangsläufig aber auch mehr mit seinem Körper auseinandersetzen. Worauf haben wir uns da nur eingelassen?
Blutig, behaart, von einer Hand stimuliert: Als die Künstlerin Petra Collins 2013 für ein T-Shirt von American Apparel eine stilisierte Vagina entwarf, waren die Leute entsetzt. Dieses neue Bild wollte so überhaupt nicht zum bisherigen passen, das sehr rasiert, sehr glatt und sehr clean war. Fünf Jahre später verzieren wir unsere Schamhaare mit Glitzer und haben auch mit Blut (fast) kein Problem mehr – trotzdem ist der T-Shirt-Druck hängen geblieben, denn Petra Collins hat mit ihrem Design eine neue Welle des Feminismus losgetreten und im Mainstream manifestiert. Im Schnelldurchlauf widmeten sich immer mehr Zeitschriften, Blogs und Serien dem Thema, und wer Lena Dunham ist, müssen wir wohl niemandem mehr erklären. Aber die Geschichte ist hier noch nicht zu Ende erzählt, denn tatsächlich hat der New Feminism nicht nur die Medienbranche, sondern auch unser Leben nachhaltig verändert. Dabei geht es nicht allein um Gleichberechtigung im Job oder um die Frage, warum wir uns im Jahr 2018 immer noch über Dinge wie Geschlechterrollen streiten müssen oder die Anzahl unserer Sexpartner in irgendeinem Kontext relevant wäre. Der New Feminism hat eine neue Ära der Weiblichkeit eingeleitet und bewirkt, dass wir uns wieder mehr mit unserem Körper auseinandersetzen. Die Pille ist out, stattdessen greifen wir zum Thermometer und versuchen zu bestimmen, wann der nächste Eisprung kommt. Tampons haben wir durch Menstruationstassen und Perioden-Unterhosen ersetzt – kurz: Wir sind uns selbst so nah wie gefühlt nie zuvor. Klingt per se erst mal super. Ist in der Praxis aber ganz schön kompliziert oder, sagen wir zumindest, gewöhnungsbedürftig.
Jahrelang wurde uns eingebläut, dass wir doch bitte schön zu funktionieren haben.
Jahrelang wurde uns nämlich eingebläut, dass wir doch bitte schön zu funktionieren haben und sogar als emanzipierte Frau, die wir zu sein versuchen, den eigenen Körper in den Griff bekommen müssen. Unser Zyklus glich dank der Pille einem Uhrwerk, das nur in äußersten Stressmomenten aus dem Takt geriet, Tampons ließen uns übertrieben gesagt fast vergessen, dass während der Periode nicht alles klinisch rein sein muss und nach Maiglöckchen duftet. Diese Verbissenheit hat dazu geführt, dass wir uns immer mehr von uns selbst entfernt haben.
„Es hat einige Zeit gedauert, bis ich meine Periode nicht mehr gehasst habe“, erzählt beispielsweise die Musikerin Naja Young, die sich zusammen mit Modedesignerin Elle Barbeito und Künstlerin Elce Shawe für die Menstruationstasse Lunette in New York fotografieren ließ. Alle drei stehen für Weltoffenheit und Coolness – und als Millennial-Frauen kennen sie die inneren Kämpfe, die viele von uns mit sich austragen.
Die Menstruationscups und Perioden-Pantys dieser Welt erleichtern den Prozess der eigenen Akzeptanz nun vielleicht ein wenig – zugleich machen sie unser Leben aber komplizierter, zumindest in der Anfangsphase. Nehmen wir zum Beispiel die Tasse: Da wäre erst mal das durchaus herausfordernde Wechseln, das eindeutig nicht für öffentliche Toiletten geeignet ist. Das Suchen und Einführen, das Finden eines Rhythmus. Aber klar, auch das gehört zur neuen Weiblichkeit: den eigenen Körper neu kennenlernen und akzeptieren, dass es eben manchmal blutet und schmiert.
Genauso wichtig ist es, über bestehende Tabus zu sprechen und aufzuklären. Denn längst nicht alle Frauen haben überhaupt die Wahl zwischen Pantys, Tassen oder Tampons. Im Iran glauben laut einer UN-Studie angeblich rund 48 Prozent der jungen Frauen, Menstruation sei eine Krankheit, in Kenia ist es menstruierenden Frauen noch immer nicht erlaubt, Kühe anzufassen – aus Angst, die Tiere könnten sich anstecken, krank werden oder sterben. Und viele Frauen, die wollen, dürfen sich schlicht gar nicht mit Themen wie Feminismus oder der neuen Weiblichkeit auseinandersetzen.
Wer ohne Pille lebt, dem wird schnell klar: Es ist gut ohne sie, aber nicht alles wird besser.
Im Gegensatz dazu wird die Regel vielerorts zum Mainstream-Thema: Es gibt Abo-Boxen für mehr Wohlbefinden während der Periode, eine Bäckerei in Washington bietet ihren Kundinnen Moon Cycle Brownies mit Vitamin C, Eisen, Kalzium an und in einer Bar in Tel Aviv bekommen Frauen Rabatt, wenn sie ihre Tage haben. „In meinem Umkreis versuchen außerdem immer mehr Frauen, Free Bleeding für sich zu etablieren, es ist ein großes Thema“, erzählt Elce Shawe. Klingt nach Einklang – aber auch nach einer krassen Herausforderung im Alltag, denn beim Free Bleeding verzichtet man während der Periode gänzlich auf Tampons, Tassen oder andere Hygieneartikel.
Auch wer ohne Pille lebt, dem wird schnell klar: Es ist gut ohne sie, aber nicht alles wird besser – wir haben über die Jahre nämlich schlicht verlernt, wie unser Körper tickt. Wer sich dann noch gegen Spirale oder Diaphragma entschieden hat, landet meist beim Temperaturmessen – und verabschiedet sich von jeglicher Spontaneität und Leidenschaft. Trotzdem gehört das Absetzen der Pille – vorausgesetzt, die Einnahme ist nicht gerade medizinisch notwendig – heute fast schon zum guten Ton. Und wer erzählt, dass er noch mit Hormonen verhütet, wird angesehen, als hätte er gerade seine Leidenschaft für Schwarzlicht-Minigolf gebeichtet: irgendwie mitleidig.
Ob der New Feminism und Trends wie Perioden-Brownies am Ende den Kern der Diskussion vorantreiben, nämlich warum die weibliche Regel und die Art der Verhütung überhaupt noch so ein Thema sind? Wir jedenfalls sprechen weiter darüber, bis es jeder mitbekommen hat. Auch wenn wir alle erst mal ganz naiv unseren Rhythmus finden müssen. Und dabei nicht immer alles nach Maiglöckchen riecht.
Fotos/ Eva Zar
Creative Assistant/ Sophie Sahara Barkham // Second Assistant/ Tim Vischer
Models/ Elce Shaw, Naja Young, Elle Barbeito