Statt die Alten in unserer hippen Welt unsichtbar zu machen, sollten wir lieber Brücken zwischen Jung und Alt schlagen und uns ehrlich mit ihnen auseinandersetzen. Was Oma so zu erzählen hat? Da staunste! Das Projekt „Hey Nana“ kann für mehr Verständnis und Sichtbarkeit in einer alternden Gesellschaft sorgen.
Fotos: Doris Löhle
Alles begann mit einer ganz normalen Frage. „Hast du ein Auto in Berlin?“ Die Antwort aber war alles andere als einfach, denn sie machte mir ein gesellschaftliches Problem deutlich: Meiner 94-jährigen Oma vom Bodensee das Modell Carsharing erklären zu wollen war eine Herausforderung. Während meines kläglichen Versuchs musste ich mich erst einmal all der hippen Anglizismen entledigen – ich erspare mir an dieser Stelle die schwäbischen Korrekturschleifen –, um am Ende zu merken, dass meine Lebenswelt in ihrer Selbstverständlichkeit auch selbst in deutscher Sprache für eine Frau, die 1925 geboren wurde, nicht einfach zu greifen ist. Wie auch?
Die Kluft zwischen Jung und Alt ist riesig. Na, zum einen wandelt sich die Technik wie auf Speed und zum anderen gibt es die große Sehnsucht und die Möglichkeiten der Selbstverwirklichung der Generationen Y und Z
Die Kluft zwischen Jung und Alt ist riesig. Na, zum einen wandelt sich die Technik wie auf Speed und zum anderen gibt es die große Sehnsucht und die Möglichkeiten der Selbstverwirklichung der Generationen Y und Z – der Me-Trip, ihr wisst schon. Wenn ich mich gedanklich in den Fernsehsessel all dieser Omas und Opas fläze und mir vorstelle, wie Rentner/-innen beschallt werden mit Werbung für Apps und digitale Inhalte auf Geräten, die sie nicht besitzen, dann macht mich das traurig. Das fühlt sich ein bisschen an wie damals in der Schule, als die anderen irgendwann nicht mehr mit einem spielen wollten und eine geheime Zeichensprache erfanden. Nicht geil.
Gebrechlich, nicht mehr leistungsfähig, bedürftig?
Mehrgenerationenhaushalte wie früher gibt es kaum noch, zumindest im Bild der Großstädte sind die Alten ausradiert. Dabei gab es noch nie mehr ältere Menschen als heute: Zur Generation 60 plus zählen in Deutschland rund 23 Millionen Menschen, das entspricht laut Statistischem Bundesamt 30 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Gesellschaft vergreist durch höhere Lebenserwartung und geringere Geburten- und Kinderzahlen. 1900 war jeder Zwölfte über 60 Jahre alt, 2030 wird es jeder Dritte sein. Noch nie haben in Familien drei oder vier Generationen eine so lange gemeinsame Zeitspanne erlebt. Deshalb geht es für mich jetzt darum, was wir aus unserer gemeinsamen Zeit machen.
Mir ist klar, dass meine Oma Klara Dinge draufhat, die ich und die Frauen meiner Generation nicht annähernd verstehen oder umsetzen können.
Und es soll betont sein: Es ist nicht nur unsere Verantwortung, uns mit anderen Generationen auseinanderzusetzen, es ist auch ein großes Geschenk. Die eingangs beschriebene Sprachbarriere ist keine Einbahnstraße, vielmehr ein Generationskonflikt. Mir ist klar, dass meine Oma Klara Dinge draufhat, die ich und die Frauen meiner Generation nicht annähernd verstehen oder umsetzen können. Dass ihr Werte wichtig sind, die teilweise in meiner Altersgruppe verloren gegangen sind. Kommunikation ist der Schlüssel, heißt es ganz generisch. Und da schließe ich mich an. Es geht darum, eine gemeinsame Sprache zu finden, hier und da zu übersetzen oder auch mal mit Händen und Füßen zu reden. Hey, Hauptsache kommunizieren.
Klara hat den Krieg als junges Mädchen miterlebt, war früh verwitwet, von da an alleinerziehend mit drei Töchtern und beruflich mitten in einer Männerdomäne
Deshalb bestehe ich auf meine Quality-Time mit Oma, wenn ich in der Heimat bin. Dann gehen wir essen, bestellen beide den Seniorenteller mit Spätzle oder gönnen uns Spaghetti-Eis. Und vor allem tauschen wir uns dabei aus. Meine Oma ist, ich sag’s noch mal, mit ihren 94 Jahren fit wie ein (Rheuma-) Turnschuh, sie lebt allein und fährt ihre kleinen Standard- Strecken noch mit dem Auto. Ihr Töchter verreisen noch regelmäßig mit ihr, treffen sich einmal in der Woche zum Kartenspielen und auch meine Cousins und Cousinen (die meisten wohnen in der Nähe) pflegen die Verbindung zu einer Frau, die viel durchgemacht hat: Klara hat den Krieg als junges Mädchen miterlebt, war früh verwitwet, von da an alleinerziehend mit drei Töchtern und beruflich mitten in einer Männerdomäne. Sie rockte das Kohle- und Heizölgeschäft, das sie einst mit ihrem Mann aufgebaut hatte, nun als Frontfrau.
Wenn sie mir Bilder zeigt von alten Esso-Versammlungen beispielsweise, dann ist zwischen schwarzen kleinen Punkten immer ein bunter Fleck auf dem Gruppenbild zu erkennen. In ihren farbigen Kostümen war sie immer die einzige Frau zwischen Männern in schwarzen Anzügen. Das macht mich stolz. Und auf der anderen Seite beneidet meine Oma meine Generation dafür, dass die Welt unser Zuhause ist, dass die Erwartungen an eine junge Frau in Deutschland einem heutzutage nicht mehr die Luft zum Atmen nehmen wie ein zu eng geschnürtes Mieder.
Gegenseitig mehr Respekt für andere Generationen
Vor einiger Zeit habe ich angefangen, ihre Erzählungen aufzunehmen. Ich wollte die Erinnerungen und Ergüsse festhalten mitsamt den schönen, lustigen und schmerzhaften Details ihrer Lebensgeschichte. Im Urlaub mit meiner Mutter kam dann die Idee: Wieso laden wir nicht Frauen dazu ein, von ihrem Band zur anderen Generation zu erzählen? So dass wir alle davon lernen können, dieses nostalgische Gefühl ums Herz bekommen und uns auf das Alter freuen, anstatt Angst davor zu haben?
Auf heynana.de dürfen ab sofort Enkelin-Oma-Duos den Dialog auf Augenhöhe führen und sich für die Generation ihres Gegenübers stark machen
Meine Mama hat dann Bilder von ihrer Mutter und mir gemacht – drei Generationen kreativ vor einer grünen 60er-Jahre-Tapete. Das war der Startschuss von heynana.de. Hier dürfen ab sofort Enkelin-Oma-Duos den Dialog auf Augenhöhe führen und sich für die Generation ihres Gegenübers stark machen. Dabei geht es um Learnings, nicht um bloße Lobhudelei. „Was lernt ihr voneinander?“, lautet dabei die zentrale Frage. Durch die teils sehr persönlichen Beiträge völlig unterschiedlicher Frauen und die Anekdoten aus vielen Dekaden gelebter und ungelebter Weiblichkeit wird im besten Fall Verständnis gefördert. Und garantiert wird eine Sichtbarkeit für die Lebenswelten von Senioren geschaffen – ganz ohne ihren Stempel.