Wir haben alles gesehen: 2019 gibt keine neue Art Popstar mehr. Gut also, dass Lizzo sich selbst als „Bop Star“ bezeichnet. Die Sängerin feiert aber nicht nur ihre eigenen Hits und Bops, sondern auch ihr Spiegelbild. Und die Sterne. Zeit für eine Astro-Analyse.
Lizzo hat ein Team von fünf Leuten mit nach Berlin gebracht und von allen bereits die Sterne analysiert. Die Sängerin ist besessen von Astrologie, schon seit sie klein war. Sie scannt die Sterne eines jeden, mit dem sie arbeitet, nur um sicherzugehen. In ihrem Team gäbe es derzeit viele Wasser- und Erdkreiszeichen und genau das sei gut so. Sie nähme die Sterne nicht als direkte Vorgabe, meint Lizzo, aber benutze sie als eine Art Landkarte für ihre Karriere, denn bei ihr würden sich die Deutungen einfach gut mit dem wahren Leben synchronisieren. Lizzo ist Sternzeichen Stier, Venuszeichen Zwilling, Mondzeichen Jungfrau, Aszendent Löwe. Angeblich zeigen sich die Eigenschaften des Aszendenten ab dem 30. Lebensjahr deutlicher als das tatsächliche Sternzeichen. Passt, denn Lizzo hat im letzten Jahr ihre 30er angebrochen.
Das Netz sagt, jemand mit dem Aszendenten Löwe wolle Ruhm und Ehre auf der Welt erzielen. Etwas Bedeutsames in der eigenen Lebenszeit schaffen. Der Aszendent Löwe sei getrieben von positiver Energie und genieße das Leben als Spiel. Der Aszendent Löwe sei gern auf der Bühne. Kurz: Er wurde für Lizzo geschaffen. Menschen mit dem Aszendenten Löwe sollen andere schnell für ihre Pläne und Ideen gewinnen können. Lizzo arbeitet schon lange daran, wenn auch die kollektive Begeisterung um sie gerade erst richtig auszubrechen scheint. Mit ihrem neuen Album „Cuz I Love U“ erscheint am 19. April das Debüt bei einem Major Label, eigentlich hat Lizzo aber bereits zwei Alben und eine EP im Kasten. Ihr erstes Werk hieß, ganz bescheiden, „Lizzobangers“. Menschen mit dem Aszendenten Löwe sind nämlich vor allem eins: selbstbewusst.
Pullover von ASOS, Ohrringe von Xenia Bous
In Fernsehinterviews ist Lizzo schlagfertig, witzig, laut, hat Antworten und starke Zitate wie endlose Asse im Ärmel, die das Publikum zu Jubel, Fingerschnipsen und „Yaaaas” animieren. Ist sie eine Legende, schon jetzt?
In den USA ist Lizzo dank dieser Eigenschaft zu einer Art Galionsfigur von Positivity geworden. Körperbild, Sex, die Rechte und Kräfte von Women of Color, Lizzo steht für jegliche Bestärkung, die einem einfallen könnte. In Fernsehinterviews ist sie schlagfertig, witzig, laut, hat Antworten und starke Zitate wie endlose Asse im Ärmel, die das Publikum zu Jubel, Fingerschnipsen und „Yaaaas” animieren. Ihr Instagram-Kanal ist voll von Videos, in denen sie sich halb bis gänzlich nackt zeigt, und Performances mit Querflöte (Lizzo spielt seit 20 Jahren), ihre Musikvideos sind bunte Zelebrationen des Lebens, inspiriert von Legenden der Musikgeschichte. Lizzos expressiver Charakter und ihr Selbstbewusstsein sind in Interviews wie unserem immer wieder Thema. Ist auch sie eine Legende, schon jetzt?
Lizzo will keine Legende sein – sondern wie ein Ampelmännchen
„Ich kann mich selbst nicht als Legende beschreiben, dann hört man auf, nach Perfektion und Ruhm zu streben. Ich würde mich schnell langweilen und in meinem Kopf verlieren. Nach diesen ganzen fucking Interviews scheinen mich die Leute aber als eine Ikone zu sehen. Ich finde, dass das den Spaß an der Sache nimmt.“ Lizzo sagt mir, sie wolle wie ein Ampelmännchen werden, ein Icon. Im Englischen gibt es für das Wort „icon” zwei Bedeutungen: „Icon” im Sinne von Ikone und „Icon” als allseits bekanntes, selbsterklärendes Bild wie zum Beispiel ein Ampelmännchen. „Wenn die Menschen Lizzo sehen, will ich, dass sie ein Icon sehen. Etwas, das die Zeit überdauert, überall dasselbe bedeutet und Menschen, die in meiner Situation sind, einfach das Go zum Loslaufen gibt. Ich will nicht sagen: ,Ich bin eine Ikone und muss jetzt nur noch Glitzer tragen‘ und all so was.“ Bei der Begrüßung zu unserem Shooting liegt Lizzo auf der Couch ihrer Hotelsuite, eine schwarze Sonnenbrille auf der Nase. Sie trägt ein Glitzertop.
Mantel von Balenciaga über Uzwei, Hose und Schuhe Lizzo's own
„Wenn ich von mir und meinem Körper angewidert bin, denke ich mir: ,Zeit, ein Nacktbild zu machen!‘ Ich hole den Lipgloss raus, stelle den Selbstauslöser ein und halte meinen Hintern in die Kamera, weil ich mich gut fühlen muss und dafür kämpfen werde. Wenn ich schon depressiv bin, kann ich es wenigstens in einem Schaumbad sein.”
Lizzo ist bei Weitem nicht die erste Künstlerin, die versucht, ihre Fan-Community – oder vermutlich die gesamte Welt – zu einer positiven Message und Selbstliebe zu bekehren. Und auch wenn ihre Botschaften notwendig, aber nicht unbedingt neu sind, ist sie mit ihrer ungefilterten Art überraschenderweise noch eine einzigartige Künstlerin. Es gibt keine zweite Lizzo. Menschen mit dem Aszendenten Löwe sind kreativ, unabhängig, enthusiastisch und aktiv, können aber auch egozentrisch, arrogant und süchtig nach Lob für ihre Führung sein. Als Lizzo die Sonnenbrille nach dem Shooting ablegt, sich zum Interview hinsetzt und ich die Aufnahme starte, ist sie da, die sprudelnde Figur von Positivity, bereit für ein schnelles Gespräch über Legenden und Ikonen, natürlich, aber auch über den positiven Umgang mit Problemen und über unser Heftthema „Radikal soft”.
Positivity fängt bei dir selbst an
„Den Begriff habe ich noch nie gehört, aber er gefällt mir, weil er einen Großteil meiner Arbeit umfasst – wenn auch nicht die ganze Sache”, sagt Lizzo. „Ich bin ja nicht der softeste Mensch, wie du sehen kannst, ha! Ich bin nett und freundlich, aber ich bin nicht lasch.“ Für sie sei es wichtig, nicht zu soft zu sein, damit Fortschritt geschaffen werden könne. Wer Positivity lebt, sollte aber bei sich selbst anfangen. Viele alte Freunde hätten sich zu sehr im Aktivismus verloren und eigene psychische Probleme ignoriert. Auch Lizzo selbst hat den Kampf mit Depressionen schon ausgefochten. Der Aszendent Löwe aber tritt dem Leben mit einer Kombination aus Enthusiasmus und Eifer gegenüber. „Ich war wie jede Betroffene unglücklich und dachte mir: ,Das Geringste, was ich machen kann, ist, mich in ein paar Lagen Seide einzuhüllen, gutes Essen zu bestellen und mich selbst mit Luxus und Schönheit zu umgeben, während ich diese Emotionen durchmache”, sagt Lizzo und prostet sich selbst zu. „Wenn ich von mir und meinem Körper angewidert bin, denke ich mir: ,Zeit, ein Nacktbild zu machen!‘ Ich hole den Lipgloss raus, stelle den Selbstauslöser ein und halte meinen Hintern in die Kamera, weil ich mich gut fühlen muss und dafür kämpfen werde, wie ich nur kann. Wenn ich schon depressiv bin, kann ich es wenigstens in einem Schaumbad sein.”
Pullover von ASOS, Mantel von Balenciaga über Uzwei, Sonnenbrille von Prada, Glitzertop und Hose Lizzo's own
Vorsicht, Jugendwahn! Lizzo fordert mehr Wertschätzung für ältere Generationen
Wie die besten Musiker ihrer Generation verpackt Lizzo auch in ihren Songs ernste Themen und Probleme unter dem Mantel von lebhaften Pop- und Rap-Sounds wie zum Beispiel in dem Track „Soul Mate”. „I’m my own soul mate, I know how to love me […] Look good in the mirror like yeah she’s the one, yeah I’m in love”, chantet sie an sich selbst. Spätestens beim zweiten Refrain versteht man, warum diese Frau Nacktaufnahmen im Spiegel macht – vermutlich weil man selbst schon dabei ist, es ihr nachzutun. Für Lizzo aber gibt es Grenzen des Selbst-Hypes, Jugendwahn zum Beispiel. Bei all ihren positiven Botschaften ist es ihr wichtig, alle Generationen im Blick zu behalten. Eine Headline über die Generation von North West als die neuen Trendsetter regte sie unlängst auf. „Irgendwann sind wir mit dem Jugendwahn so weit, dass wir von Embryonen besessen sind! What the fuck is happening?“ Schwarze Frauen aber seien dabei, diese Standards zu verändern, sagt Lizzo: „We don’t crack.“ Menschen mit dem Aszendenten Löwe sind auch vorbestimmt voranzugehen. Kein Wunder, dass Aszendent auf Englisch auch „Rising Star Sign” heißt.
Mantel von Balenciaga über Uzwei, Sonnenbrille von Prada, Glitzertop und Hose Lizzo's own
Fotos: Ansgar Sollmann
Styling: Nina Petters
Haare: Shelby Swain