Mein Vanlife ist dein Vanlife

Urlaub im Van
Bild: Privat
Und dann stellen wir uns mit offener Hecktür an den Strand, trinken Vino Verde und fotografieren uns im Sonnenuntergang. Unsere Autorin Turid Reinicke darüber, warum Urlaub im Van eigentlich nichts mit Individualismus zu tun hat und trotzdem die beste Art zu reisen ist.

Ich mag naturnahe Urlaube, trage ein gelbes Surfbrett zu ausgetretenen Birkis und sehne mich nach Abenteuern. Aber bitte die malerischen mit Happy End, ihr wisst schon. Die, auf die man sich verlassen kann. Cluburlaub oder Pauschalreisen? Booooring! Ich travel stattdessen mit einem Campervan. Hippie oder Spießer? Von beidem ein bißchen. Die beste Voraussetzung für Campingurlaube, Entschuldigung, Vanlife Adventures.

 

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3 weeks, more than 7000 km…This old fellow nailed it! 💪🚃 #fridolinthebus #vanlifediaries

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Der Hashtag #vanlife versammelt 4,5 Millionen Beiträge auf Instagram zu einem beeindruckenden Album vermeintlich einsamer Weltenbummler: Eine stetig wachsende Community, die ästhetisch anspruchsvoll die abgelegensten Strände und schönsten Panoramen berollt, die das soziale Netzwerk zu bieten hat. Das schürt Sehnsucht. In erster Linie nach Freiheit und Nonkonformismus, nach Mut und Grenzenlosigkeit, vor allem im Kopf. Und genau darum geht es. Um die Idee. Um die pauschale Idee von Individualismus. Pauschal klingt nach Aldipalette? Stimmt, aber hier wird sie zum attraktiven Holzausbau, bekommt ein Like und darf kollektiv erstrebenswert sein. Alles paletti?

Klar. Auch ich habe mir einen Campingvan, Baujahr 1984, gekauft, meinen Freund eingepackt und meine Sehnsüchte endlich vom Display auf die Straße verlagert. Roadtrip nach Portugal, das Land der geduldeten Wildcamper. Der wilde Bus heißt Fridolin. In seinem früheren Leben war er ein Gartenzwerg. Gemeinsam haben wir eine tolle Reise erlebt, die zwar nicht einzigartig ist, aber dennoch empfehlenswert. Und wenn man nun ausgetrampelte Pfade nicht meidet, sondern nur neu betrachtet, dann darf der ausgeleiherte Campingurlaub mit Blümchengardine jetzt eben Vanlife heißen, gut aussehen und Aussteigerfantasien anregen. Good for you, denn der Trend zum Urlaubseigenheim lässt sich fast so gut anleiten wie ein Bausparvertrag.

Das Equipment

Sich auf das Wesentliche zu beschränken und die Romantik der Selbstversorgung klingen zwar nach einem Akt der Askese, die Anschaffung eines fahrbaren Reiseuntersatzes mit geeignetem Innenausbau ist leider das Gegenteil. Der Campervan muss hier eher als begehbarer Reisekoffer mit Hochglanzschiebetüren verstanden werden, nicht als selbstloses Downgrade des Hotelaufenthalts. Vanlife Goal: Außen charismatischer Oldtimer, innen skandinavisches Einrichtungsgeschick mit Boho Charme und MuFu-Akrobatik. Ich habe mich für ein Mercedes-Model mit original Westfalia-Ausbau entschieden statt selbst Hand anzulegen. Vorteil: Nichts wackelt oder quietscht beim Fahren, alle Türen schließen wie Butter und jede Ecke ist genutzt. Nachteil: Der Einrichtungstraum in Monochrom-Braun verrät die Spießigkeit im Ursprung, aber echt Vintage! Egal, für welches formschöne Gefährt man sich entscheidet, gibt es ein paar #vanlife-Essentials, die unter keinen Umständen fehlen dürfen: Surfbrett, Grill und Moskitonetz gehören zur Grundausstattung. Ohne Lichterkette, bunte Kissen und einer dekorativen Topfpflanze sollte aber auch niemand losfahren. Wer zu Hause noch einen Hund herumliegen hat, packt den bitte auch mit ein. Für Fotos kann man zur Not auf örtliche Streuner zurückgreifen oder den Vierbeiner vom Sonnenuntergangsnachbarn ausleihen.

Urlaub im Van
Bilder: Privat

Die Route

Das Schöne ist ja: Wenn man erst einmal einen Bus hat, kann man überall hinfahren. Abenteuer, Freiheit im Kopf, spontaner Aufbruch… Und mit überall meine ich Portugal. Der europäische Bulli-Magnet eignet sich wie kein anderes Land zum Vanlife. Übernachten auf vier Rädern wird hier noch jenseits von Campingplätzen geduldet. Strandparkplätze werden nur selten nachts von den bunten Bussen befreit, die sich als gut sortiertes Heckklappenorchester die Frontrow Plätze an der Küste sichern. Die Romantik des Wildcampens überzeugt mich persönlich nur temporär. Meine Kondition für den Verzicht auf Toiletten und Duschen ist nicht besonders ausgeprägt. Deswegen darf Fridolin sich regelmäßig auf rechteckigen Parzellen mit Stromanschluss von seinen wilden Abenteuern erholen, während wir Pommes am Pool essen. Ob in den Niederlanden, Frankreich, Spanien, oder Portugal: Die Auswahl an Campingplätzen ist auf der Route nach Süden unerschöpflich. Vom 4-Sterne-Family-Resort mit Aqua Gym und Supermarkt bis zum nachhaltigen Hippieprojekt mit Steinofenpizza, bunten Lampions und eigener Craft Beer Brewery liegt alles auf dem Weg. Just drive and choose!

Das Programm

Hast du den Kühlschrank schon umgeschaltet? – Neben der individuellen Freizeitgestaltung hat man beim Vanlife jede Menge logistische Aufgaben zu bewältigen. Langeweile wird mit Abwaschen, Vorzeltaufbauten und kleinen Reparaturen im Keim erstickt. Fragen nach der derzeitigen Energiequelle des eingebauten Kühlschranks können das Faulenzen am Strand ebenso auflockern wie die Planung und Vorbereitung der täglichen Grillparty mit Klappstuhl. Den Rest der Zeit vertreibt man sich dann eben doch mit Schwimmen, Surfen, Essen, Schlafen, Gitarre spielen und Over-The-Shoulder-Shots … Achja, und dem einen oder anderen Kilometer Strecke natürlich! Wer zu konservativ ist, seinen Job vor Abreise zu kündigen, wundert sich nach einer Woche Asphaltschrubben mitunter über die Entfernung, die es gilt, im zeitlich gesteckten Rahmen zurückzulegen und macht schnell einen Touch-Down in Sagres, um schleunigst wieder gen Norden zu navigieren. Ein Blick auf die Gegenfahrbahn verrät dann: Für Wildcamper-Nachschub ist gesorgt. Der letzte Teil der Reise heißt Fahren gegen den Vanlife-Strom. Ist das vielleicht doch Individualismus?

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