Bücher schreiben, Fernsehauftritte absolvieren und mit der eigenen Initiative Kampagnen shooten: Riccardo Simonetti schafft es, mit Sichtbarkeit und Aufklärungsarbeit die Mitte der Gesellschaft abzuholen.
Von all den Orten, an denen wir Riccardo Simonetti hätten shooten können, haben wir uns für einen Reiterhof außerhalb Berlins entschieden. In der Theorie eine romantische Idee. Die ersten Moodboards zeigen weite Koppeln, Pferdeherden, passende Denim Pieces der deutschen Jeans-Heritage-Brand Mustang und in der Sonne reflektierende Bolo Ties. In der Praxis ist es an diesem Frei-tag allerdings verregnet, matschig und so gar nicht Bibi-und-Tina-esque, wie wir es uns gewünscht hätten. Wen das am wenigsten stört, ist Riccardo. Er begrüßt alle fröhlich mit mitgebrachten Donuts im heutigen Stylingbereich – dem Putzplatz. Aufgewachsen in Bad Reichenhall und, wie er in unserem Interview erzählt, mit Kühen vor dem Klassenzimmer auf dem Obersalzberg, ist dem Entertainer der Landcharme nicht fremd. Trotzdem hat Riccardo schon als Teenager von Großstädten geträumt und sieht sich heute in einer anderen Art des Landlebens als damals: „Wenn Country, dann bitte eine glamourös inszenierte US-amerikanische Country-Fantasie.“
Full Look von Mustang
Full Look von Mustang
Angelehnt an das Thema der Ausgabe trägt Riccardo Looks, die nicht nur seine ideale Country-Version widerspiegeln, sondern den Entertainer auch in einer bisher für ihn untypischen Ästhetik zeigen. Offen für temporäre äußerliche Veränderung mag Riccardo zwar sein, innerlich bleibt er seinen Werten dennoch treu. Das erfordert Mut, Standhaftig- und Beharrlichkeit. „Wir leben in einer Zeit, die extrem davon profitiert, dass man sich anpasst. Wenn man versucht, seinen eigenen Weg zu gehen, andere Menschen zu bestärken und seine Stimme einzusetzen, ist das ein Zeichen von Mut für mich. Selbst wenn es von außen nicht immer nur Applaus dafür gibt.“
Full Look von Mustang
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Applaus gibt es für Riccardo allerdings in Fernsehformaten wie „Wer stiehlt mir die Show?“, „Das Traumschiff“ und diversen Talkshows. Spannend ist dabei, dass er oft – nicht ausschließlich – in Formaten zu sehen ist, die nicht speziell für die LGBTQIA+-Community stattfinden oder in denen es explizit um queere Themen geht. Der 31-Jährige hat sich einen Platz im Mainstream-Fernsehen erarbeitet und es geschafft, außerhalb der Bubble die Leute zu erreichen und zu begeistern, die sich sonst nur sporadisch und skeptisch mit dem Wort „Diversität“ auseinandersetzen. Dieses Alleinstellungsmerkmal von Riccardo macht auch die deutsche Denim-Brand Mustang auf ihn aufmerksam und so wird er zum Testimonial der Marke. Denn sie verbindet nicht nur die Leidenschaft für Denim und Cowboy-Looks, sondern vor allem auch das Streben nach Selbstbestimmtheit, Freiheit und Individualität. Eine Partnerschaft zum Pferde-stehlen quasi.
Full Look von Mustang
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Riccardos lockige braune Haare verschwinden für das Shooting unter einer langen blonden Perücke. Er ist nicht nur davon begeistert, wie seine neue „Mähne“ zu den Outfits passt, sondern auch über den Partnerlook mit der Haflingerstute Blondie. In diesen Momenten der optischen Veränderung kommt auch immer ein Stück des vierjährigen Riccardos wieder zum Vorschein, der sich gerne verkleidet und auf Bühnen Leute unterhalten hat. Doch die frühe Begeisterung für seinen heutigen Job kam nicht nur aus dem Wunsch heraus, andere Menschen zu entertainen. „Alles, was die Leute an mir zu viel fanden, fanden sie auf einer Bühne genau richtig. Deswegen war es für mich ganz natürlich, dass ich mich dort am wohlsten gefühlt habe, weil ich mich da am wenigsten mit Kritik oder Anfeindungen auseinandersetzen musste. Dabei wollte ich die glitzernden Kostüme auch abseits der Bühne nicht ausziehen“, erinnert sich Riccardo an seine Kindheit zurück.
Full Look von Mustang
Heute ist seine Bühne die Reitanlage am Katharinensee, wo Denim Chaps und Cowboy-Boots auf staubige Hallen, neugierige Pferde und noch neugierigere Besitzer*innen treffen. „Im Fernsehen sieht er größer aus“, sagt eine Reiterin zu mir, nachdem sie einen Blick auf das Set geworfen hat. „Er trägt auch manchmal Heels“, antworte ich darauf und bekomme ein wissendes Nicken zurück. Mal ganz abgesehen von seiner physischen Erscheinung ist Riccardo vor allem für seine große Persönlichkeit bekannt. Er nimmt den Raum ein, in dem er sich befindet, das wird schon beim Kennenlernen klar. Was sich anhört wie „anderen Menschen den Platz wegnehmen und sich selbst in den Vordergrund stellen“, entspringt der gegenteiligen Idee. Queere Personen und Menschen, die nicht den gesellschaftlichen binären Stereotypen entsprechen, müssen seit jeher aktiv ihre Repräsentation in so gut wie allen Räumen einfordern, das weiß auch Riccardo: „Egal ob es aktivistische oder Unterhaltungsprojekte sind, ich kämpfe einfach immer noch denselben Kampf, den ich auch als Teenager auf dem Land gekämpft habe: da einfach weiterzumachen, sich nicht beirren zu lassen, statt nur darüber zu reden, es den Leuten auch vorzuleben. Und Räume auf die Art und Weise einzunehmen, die einen ausmachen.“
Full Look von Mustang
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Was Riccardo ausmacht, sind allerdings nicht ausschließlich seine Looks, die mit Farbwahl, Schnitten und Accessoires Gendernormen infrage stellen. Während es gerade in bestimmten Großstadt-Bubbles fast normal ist, verwirrt zu schauen, wenn jemand fragt, warum die Regenbogenflagge mittlerweile verschiedene „Versionen“ hat, reagiert Riccardo mit Verständnis. Nicht alle Menschen außerhalb, aber vor allem auch innerhalb der LGBTQIA+-Community können auf ein großes Netzwerk zurückgreifen oder wissen, wo sie sich richtig informieren können. „Ich habe in den letzten Jahren viele Pride-Veranstaltungen unterschiedlicher Richtungen miterlebt. Pride ist auch für Menschen, die vielleicht nur einen Tag im Jahr haben, an dem sie den Mut aufbringen, der Welt zu zeigen, wer sie wirklich sind“, sagt Riccardo. „Wenn ich jeden Tag mit meinen queeren Freund*innen in Berlin-Mitte feiern kann, brauche ich den CSD nicht als Party. Dann habe ich eventuell einen politischeren Anspruch. Wenn ich aber auf dem Land lebe, wo ich nicht so ein buntes, diverses Netzwerk um mich habe, möchte ich vielleicht auch einfach die Party.“
Full Look von Mustang
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Es geht um Sichtbarkeit, es geht um Akzeptanz und es geht um Aufklärung. Riccardo hat verstanden, dass auch die Menschen außerhalb der eigenen Mikrokosmen abgeholt werden müssen. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat er 2021 seine Initiative gegründet. Die Riccardo Simonetti Initiative leistet Aufklärungsarbeit, setzt eigene Events und Projekte um und unterstützt bereits bestehende Organisationen. Wir lassen uns vielleicht für das Shooting vom Wilden Westen und von den Designs der Heritage-Denim- Brand Mustang inspirieren, aber Riccardo zeigt in unserem Gespräch, dass er eher ein sicherer Hafen sein möchte. Aber was bleibt am Ende von einem Cowboy, wenn man Stiefel, Hut und Sporen weglässt? Mut. Und nach diesem Maßstab ist Riccardo auch ohne Perücke und Pferd ein absoluter Cowboy.
Fotos: Frederike Wetzels
Creative Direction: Jenny Weser & Frederike Wetzels
Styling: Nina Petters
Haare & Make-up: Florian Ferino
Digi Tech: Paul Schäfer
Light Tech: Viktor Ebell
Retouch: Alejandra Duarte
Produktion: Joanna Schröder
Styling-Assistenz: Maggi Geisler
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