Gegen die Diskriminierung von Sinti und Roma: Warum Sprache und Rassismus untrennbar sind

Aus dem Archiv: In unserer Ausgabe #47 sprach unsere Autorin mit Expertinnen darüber, wie wir neue Wörter finden müssen, wenn andere verletzen. Und: Warum Sprache und Rassismus untrennbar sind und warum die fehlende Sichtbarkeit von Sinti und Roma nicht zu übersehen ist.

Bei so manchen Speisekarten kann uns in deutschen Restaurants wirklich der Appetit vergehen. Denn dort steht es schwarz auf weiß: ein Wort, das mit Z anfängt und dessen Gebrauch künftig hoffentlich aufhört. Das sollte von nun an der Anspruch sein. Es geht um den Namen eines Schnitzels samt Tomatensoße, Paprika und Zwiebel – mit schlimmem Beigeschmack. Die Bezeichnung des Gerichts ist schließlich auf vielen Ebenen problematisch.

Fehlendes Bewusstsein, fehlendes Wissen?

Es ist kein großes Rätsel, von welchem Begriff die Rede ist. Er ist eine abwertende Fremdbezeichnung, mit der Sinti und Roma (gendergerechte Schreibweise Sinti*zzi und Rom*nja) ausgegrenzt werden. Trotzdem hat sich das Wort auch fernab der Lebensmittelindustrie im deutschen Sprachgebrauch eingenistet. Fehlendes Bewusstsein, fehlendes Wissen? Lange wurde kein Gedanke daran verschwendet, dass mit dem Begriff etwas nicht stimmen könnte. Bis das Forum für Sinti und Roma mit Sitz in Hannover die Debatte entfachte: Man forderte Lebensmittelkonzerne öffentlich dazu auf, den Namen zu verbannen. Diverse Medien berichteten, bezeichneten das Ganze unter anderem als „bizarren Streit“, wiederholten den umstrittenen Begriff vehement. „Heutzutage darf man ja gar nichts mehr sagen“, lautete der gefährliche Grundton mancher Leser*innen. Unverständnis auf der einen Seite, auf der anderen wahrscheinlich Enttäuschung darüber, mit dem eigenen Anliegen nicht ernst genommen zu werden.

Haben wir in Sachen Empathie den Absprung verpasst?

Müssen wir wieder Empathie lernen? Tut es weh, einen Namen nicht mehr zu nutzen, weil er schmerzhaft für andere ist? Was würden wir dabei schon verlieren? Nur ein Wort? Es sind komplexe Fragen, die wir uns selbst stellen, und vielleicht kommen wir zu unterschiedlichen Schlüssen. Aber in einem Punkt sollten wir uns einig sein: Ein reflektierter Sprachgebrauch ist wegweisend. Für manche handelt es sich hierbei vielleicht nur um ein Wort, doch es ist historisch belastet.

„[Der Begriff ist] ein Konstrukt, das einst von privilegierten Menschen geschaffen wurde, um eine ganze Gruppe von heterogenen Menschen und Kulturen als Untermenschen zu deklarieren, ihnen auf dieser Grundlage Freiheit, Rechte und den Zugang zu Ressourcen zu verwehren und letztendlich ihre Ausrottung zu legitimieren.” – Roxanna-Lorraine Witt

Was es damit auf sich hat, erklärt uns Roxanna-Lorraine Witt. Ihre Großmutter und deren Familie sind Sinti*zzi und dem Holocaust entkommen, sie selbst ist Leiterin des Referats Bildung beim Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma. Der besagte Begriff sei ein „Konstrukt, das einst von privilegierten Menschen geschaffen wurde, um eine ganze Gruppe von heterogenen Menschen und Kulturen als Untermenschen zu deklarieren, ihnen auf dieser Grundlage Freiheit, Rechte und den Zugang zu Ressourcen zu verwehren und letztendlich ihre Ausrottung zu legitimieren“, bringt es Witt gegenüber BLONDE auf den Punkt.

Sinti und Roma Diskriminierung: Vorurteile werden reproduziert

„Menschen, die diesen Begriff weiter nutzen, sollten sich im Klaren sein, dass durch ihren Sprachgebrauch diese Mechanismen – ob sie es wollen oder nicht – erhalten bleiben. Dass die Emanzipation von Sinti und Roma dadurch unterdrückt wird und dass es ganz konkrete Auswirkungen auf die Lebensrealitäten jedes und jeder Angehörigen der Minderheit hat, weil sie ihnen den Zugang zu Möglichkeiten, Chancen, ja, zu einem selbstbestimmten, freien Leben verwehren. Denn die mit dem Begriff immer noch weitläufig verbundenen Stereotype und Vorurteile werden reproduziert und auf die Angehörigen der Sinti und Roma projiziert. Selbst wenn sie in keiner Weise zutreffend sind.“ Ein sensiblerer Umgang mit Sprache und Ausdrücken – für die Expertin ein Muss.

„Viele Menschen wissen noch nicht mal, dass es den Begriff ,Sinti und Roma‘ gibt.“ – Tayo Awosusi-Onutor

Das findet auch Aktivistin und Künstlerin Tayo Awosusi-Onutor, die sich bei den feministischen Gruppen IniRromnja und RomaniPhen engagiert. „Die Existenz von Rom*nja und Sinti*zzi ist gesamtgesellschaftlich nicht klar. Es herrscht generell viel Unwissenheit. Viele Menschen wissen noch nicht mal, dass es den Begriff ,Sinti und Roma‘ gibt“, erklärt die Afro-Sintezza, wie sie sich selbst nennt, im Gespräch mit BLONDE. „Stattdessen wird der rassistische Begriff für Rom*nja und Sinti*zzi von vielen Menschen benutzt, weil sie denken, das wäre der normale Ausdruck. Rassismus kann aber über Sprache weiterwirken und erhalten bleiben. Deswegen ist mir die Wirkweise von Rassismus in unserer Sprache ein besonderes Anliegen. Wenn Menschen mehr über die Thematik wissen, passiert oft ein Umdenken und ein Bewusstsein wird geschaffen.“

 

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

 

Ein Beitrag geteilt von RomaniPhen (@romaniphen_berlin)

Der erste Schritt: Mehr über die Geschichte von Sinti*zzi und Rom*nja in Deutschland

Und deshalb sorgen wir an dieser Stelle einmal für etwas Aufklärung: Sinti*zzi und Rom*nja leben seit Jahrhunderten in Europa, im Gebiet des heutigen Deutschlands seit etwa 600 Jahren. Sie bilden in ihren jeweiligen Heimatländern historisch gewachsene Minderheiten, wie es das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma schreibt. „Sinti“ bezeichnet die in West- und Mitteleuropa beheimateten Angehörigen, „Roma“ die in Ost- und Südosteuropa. Die rund 70.000 hier lebenden deutschen Sinti*zzi und Rom*nja sind Bürger*innen dieses Staats und sprechen neben Deutsch als zweite Muttersprache Romanes. Weil diese mit der altindischen Hochsprache Sanskrit verwandt ist, konnte ihre Herkunft aus Indien nachgewiesen werden. In der Geschichte wurde die Minderheit immer wieder verfolgt, ihre Ausgrenzung lässt sich bis ins 15. Jahrhundert nachweisen. In der NS-Zeit fielen mehrere Hunderttausend Sinti*zzi und Rom*nja dem systematisch geplanten Völkermord zum Opfer.

Zwischen Gleichgültigkeit und Ablehnung

Reden wir Klartext: Die Unterdrückung von Rom*nja und Sinti*zzi hat sich heute weitgehend zu einer Grundhaltung entwickelt. Rassismus, Sexismus, Feindbilder und Schubladendenken prägen ihren Alltag. Sie sind so stark von Ausgrenzung und Diskriminierung in allen Lebensbereichen betroffen wie kaum eine andere Bevölkerungsgruppe. Das schreibt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Diese Realität wollen manche Mitbürger*innen nicht einmal abstreiten. In der Studie „Zwischen Gleichgültigkeit und Ablehnung“  brachten die Teilnehmer*innen Sinti*zzi und Rom*nja im Vergleich zu anderen Minderheiten am geringsten Sympathie entgegen.

Auch die fehlende Sichtbarkeit in unserer Medienlandschaft ist ein Thema. Ihre künstlerischen, wissenschaftlichen und politischen Beiträge finden dort nur wenig Beachtung. Stattdessen zeigt man immer wieder Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben. Wir alle kennen diese Bilder.

Lass Schilder basteln für Romnja Power!

Dabei gibt es so viel zu entdecken – das Empowerment verschiedener selbst organisierter Initiativen, Kulturveranstaltungen, konkret den Romnja Power Month, der jährlich Akteurinnen der Sinti*zzi und Rom*nja eine Bühne und Plattform gibt. Es ist nun mal so: Überspitzt gesagt fehlt es uns nicht am Angebot, sondern an der Nachfrage. Wir malen zum Beispiel Schilder für den Women’s March, gehen für den Klimaschutz auf die Straße, informieren uns während des Black History Month – und das ist auch gut so. Es ist wichtig, eine positive Stimmung zu verbreiten, die ihre Wurzeln in unseren Köpfen schlägt. Nur so kann langfristig eine Veränderung in unseren Herzen gedeihen. Aber hierbei sollten wir Sinti*zzi und Rom*nja nicht mehr außer Acht lassen.

„Wenn man das vorhandene Wissen abfragt, bekommt man viele rassistische Stereotype, die man aus Literatur, Film und Musik kennt. Das bezeichnet man dann als Allgemeinwissen.” – Tayo Awosusi-Onutor

Bildung als Motor des Fortschritts

Man lernt bekanntlich nie aus. Vom Gegenüber über das Miteinander und das „Was steckt dahinter?“. Bildung ist auch hier der Motor, der den Fortschritt antreibt. Darauf baut auch Awosusi-Onutor bei ihrer pädagogischen Arbeit. „Ich bekomme häufig das Feedback, dass im Geschichtsunterricht zu wenig oder nicht über dieses Thema gesprochen wird. Ich frage dann in die Runde, wer in der Schule etwas zum Thema Sinti und Roma gehört hat. Es ist schon erschreckend. Da sitzen 30 junge Leute, die gerade Abi gemacht und noch nichts über die Geschichte der Rom*nja und Sinti*zzi, also auch Teil deutscher Geschichte, gehört haben“, erzählt sie. „Viele wissen nicht, dass Rom*nja und Sinti*zzi Teil der deutschen Gesellschaft sind. Dass sie das Land als ehemalige Gastarbeiter*innen mit aufgebaut haben. Wenn man aber das vorhandene Wissen abfragt, bekommt man viele rassistische Stereotype, die man aus Literatur, Film und Musik kennt. Das bezeichnet man dann als Allgemeinwissen. Was ich mir wünsche und woran wir arbeiten, ist, dass hier Gegenbilder geschaffen werden.“

Das Schlussplädoyer fürs Miteinander lautet also: Um Gegenbilder zu schaffen, ist es nicht nur wichtig, darüber öffentlich zu reden, sondern vor allem zuzuhören und das Gegenüber für sich selbst und über sich sprechen zu lassen.

Text: Carina Parke

Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Ausgabe #047 bzw. 02/19.

Für mehr Sensibilisierung jenseits Sinti und Roma Diskriminierung lest ihr hier weiter: 

Sprachwissenschaftler: Warum die Vergänglichkeit unserer Sprache so wichtig ist
Bye Body-Shaming, Sexualisierung und Schönheitsideale: Die neue Körpersprache
Gönn dir Stille: Warum wir schweigen und uns doch nicht dem Gespräch entziehen

Mehr von BLONDE MAGAZINE

Echoes: Auf der Suche der nach einem Zuhause und sich selbst

Sich ein eigenes Zuhause aufzubauen gehört irgendwie zum Erwachsenwerden dazu. Fotografin Julia...
Read More