„Normalisierung findet im Mainstream statt“ – Tarik Tesfu im Gespräch über modischen Wandel und Massenmedien

Foto: Koa Koppenhöfer
Wohl kaum einer vereint seriöse Moderation, Klatsch und Kritik gerade so wie Tarik Tesfu. Für den Moderator steht neben gesellschaftlichem Wandel aber noch ein Thema besonders groß auf der Agenda: Mode. Hier spricht er über seinen Fashion-Fokus, über männliche Mittelmäßigkeit und ja, auch über Harry Styles.

Tarik Tesfu ist für vieles dankbar, denn: Seit dem 15. Januar 2016 ist viel passiert. An diesem Tag zog der Moderator mit einem Transporter und einer Freundin nach Berlin, mitten in einem kolossalen Schneesturm. Das mag zunächst wenig glamourös klingen für eine Person, die heute in schimmernden Kleidern auf den Couches von Late-Night-Talkshows sitzt, sich selbst als deutschen Billy Porter bezeichnet und bei WhatsApp Grace Jones als Profilbild zeigt. In den letzten fünf Jahren aber hat sich eben viel getan auf Tarik Tesfus Weg zu einer der vorpreschenden Medienpersönlichkeiten Deutschlands. Mittlerweile ist er Teil des Moderations-Teams der jungen NDR-Talkshow „deep und deutlich“, die in die zweite Staffel geht und moderiert seine eigene Web-Show „Trallafitti”. Außerdem hostet er den Talk-Podcast „Tratsch und Tacheles” zusammen mit Kollegin Hadnet Tesfai  und ist Teil des Teams von  „Man lernt nie aus”. Daneben engagiert sich Tarik themenübergreifend gegen Missstände und hat immer wieder Position zu gesellschaftspolitischen Debatten im öffentlichen Raum bezogen, ohne seine lockere Art und Selbstironie zu verlieren.

Tarik Tesfu über Gender-Aufbruch jenseits von cis Männern, die Kleider tragen

Und noch etwas hat sich getan: Innerhalb der letzten Monate öffnet Tesfu immer mehr seinen Kleiderschrank. Darin enthalten sind das oben genannte Kleid aus seinem Auftritt bei „Late Night Berlin”, aber auch weitere Looks wie die von Luise Zücker und Remesalt auf den folgenden Bildern. Unter den nicht-weißen cis Männern der deutschen Medienlandschaft verschaffen sie Tarik eine Art Alleinstellungsmerkmal. Mit ihm muss man also über Mode sprechen. Das bedeutet, sich innerhalb von minütlich aktualisierten Zeitzeichen zu bewegen: Kurz nachdem wir über die Wahrnehmung von cis Männern diskutieren, die modische Stereotype aufbrechen, tritt der Rapper Kid Cudi im floralen Dress auf. Er wird wird dafür gefeiert, aber nicht kompromisslos: Einzelne Stimmen verweisen ein weiteres Mal darauf, wie unterschiedlich cis Männer und queere Menschen für ihre Darstellung des Gender-Spektrums betrachtet werden. Genau darüber haben wir mit Tarik gesprochen. Und darüber, warum er sich einen Diskussionstisch mit Harry Styles und Botox-Patient*innen teilt, nicht aber mit Klatschmagazinen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich am 20. April 2021 erschienen. 

P.S.: Damit ihr einen Eindruck vom Talk mit Tarik bekommt, könnt ihr zwischendurch immer wieder Audio-Snippets vom Gespräch abspielen.

Tarik, Mode, Schönheit und ihr gesellschaftlicher Kontext beschäftigen dich schon lange. Welches spezifische Thema ist da gerade besonders on your mind?
Ich mache mir schon immer und besonders jetzt Gedanken darüber, dass ich es schade finde, wie einigen Menschen modemäßig Dinge untersagt werden. Nur, weil die Gesellschaft meint: Wenn du dieser Mensch bist, darfst du dies nicht und solltest lieber das tragen. Das fängt an bei Frauen, denen gesagt wird, dass der Rock zu kurz sei, weil sie dann „billig” oder „trashy” rüberkommen würden. Oder, dass sie etwas Langes tragen sollten, weil sie sich sonst nicht wundern müssen, dass irgendein Typ sie sexuell belästigt. Da denke ich mir: „Sagt mal Leute, wo lebe ich hier eigentlich? Was ist das für eine Scheiße, die wir Menschen erzählen?” Am Ende ist Mode ein Stück Stoff. Ich möchte, dass wir alle – egal welche Hautfarbe, cis-geschlechtlich oder nicht, egal ob alt oder jung, dick oder dünn – entscheiden müssen und dürfen, wie wir diesen Stoff um unseren Körper legen. Das hat etwas mit Selbstbestimmung zu tun, mit Empowerment und Freiheit. Und diese Freiheit wünsche ich mir für alle Menschen.

Das ist eine Freiheit, die du dir aktuell selbst nimmst. Du regst damit viele Themen an, über die du eigentlich schon hinweg sein wolltest, von Männlichkeitsbildern bis Queerfeindlichkeit. Und doch sind deine Statement-Looks ja nicht das Ende vom Lied, sondern setzen vielmehr das eigentliche Gespräch in Gang. Wie gehst du damit um?
Ich kann mich nicht komplett von der Außenwelt trennen, auch wenn ich das gerne würde. Ich bin immer gerne bereit, über all diese Dinge zu sprechen. Ich merke aber, dass ich ein wenig müde werde, mich immer wiederholen zu müssen. Denn erfunden habe ich das Ganze ja auch nicht: Vor und mit mir sprechen schon fast immer Menschen über genau diese Themen. Sie werden oft aber nicht gehört, unsichtbar gemacht, klischeehaft dargestellt oder eben gar nicht erst mit an den Tisch eingeladen, an dem all das verhandelt wird.

An Mode mag ich so sehr, dass das, was ich anhabe, auch schon kommuniziert und ich dann gar nicht mehr so viel sprechen muss. Ich wünsche mir, dass das Normalität wird: Menschen sollen tragen, was sie tragen wollen, ohne dass irgendwelche Leute, die es überhaupt nichts angeht, negativ kommentieren. Ich merke, dass es mir besser damit geht, neue Standards zu setzen, anstatt Standards, die eigentlich schon welche sein sollten, immer noch zu verhandeln. Immer noch sagen zu müssen: „Das Wort ist echt durch Leute! Hört auf es zu benutzen, denn: Das ist rassistisch, queerfeindlich, oder, oder, oder“. Ich bin aber nicht müde, mir geile Klamotten umzuschmeißen und auf diese Art und Weise auch schon etwas zu sagen, ohne mir permanent den Mund fusselig zu reden.

„Natürlich unterscheidet sich der Style von mir und Harry Styles exorbitant, würde ich mal sagen. Für viele unterscheiden wir uns aber eben auch gar nicht, weil da am Ende zwei Männer etwas tun, das vermeintlich nicht männlich sein soll.”

Zu diesen Themen gehört nach wie vor die Kategorisierung von Mode im Bezug auf Gender. Wenn es darum geht, diese aufzubrechen, fällt der Blick gerne mal auf prominente cis Männer wie Harry Styles in Blusen oder auf den heterosexuellen Geschäftsmann Mark Bryan. Dann gibt es da noch deine Looks. Was haben diese Momente gemeinsam und was unterscheidet sie?
Ich glaube, die Gemeinsamkeiten liegen darin, dass etwas normalisiert wird, was vermeintlich gesellschaftlich als nicht normal anerkannt wird. Man verwechselt, dass nur weil man etwas nicht auf der Straße sieht, es automatisch nicht existiert. Es gibt cis Männer, die queer sind, und es gibt cis Männer, die nicht queer sind und einfach gerne bestimmte Kleidungsstücke tragen: Somit also auch Kleider, Röcke oder High Heels.

Es ist ganz wunderbar, dass man das über Social Media immer mehr sieht und es viele Vorbilder gibt. Denn natürlich unterscheidet sich der Style von mir und Harry Styles exorbitant, würde ich mal sagen. Für viele unterscheiden wir uns aber eben auch gar nicht, weil da am Ende zwei Männer etwas tun, das vermeintlich nicht männlich sein soll. Und das finde ich erst einmal gut. Harry Styles soll bitte weitermachen und Vorbild für andere Menschen sein. Ich glaube, dass jemand wie er, der sich eher heterosexuell durch die Gegend bewegt – zumindest von dem, was wir wissen –, cis Hetero-Männer auch noch einmal ganz anders erreichen kann als ich. Es ist wunderbar, wenn es verschiedene Modelle von Männlichkeiten und Geschlecht gibt. Natürlich denke ich mir: „Entschuldigung, liebe VOGUE, aufs Cover gehöre eigentlich ich!” Aber ich lass ihn da mal machen, denn da komm’ ich schon noch drauf.

„Ich habe letztens wirklich über diesen Begriff „männliche Mittelmäßigkeit” nachgedacht, die einem als etwas Progressives verkauft wird. Ihr macht seit Jahrhunderten immer das Gleiche, das langweilt mich! Alle, die nicht Cis, männlich und weiß sind, müssen immer viel härter kämpfen, um da anzukommen, wo diese Personen sind.”

Thema Vorbilder: Hier nennst du ja gerne mal Billy Porter als dein erstes männliches Vorbild ever. Gehst du trotzdem auch mal weiter in die Vergangenheit und siehst dir andere Beispiele an? Klischeehaft käme da jemand wie David Bowie in den Sinn, aber auch nicht-weiße, in Deutschland weniger bekannte Beispiele wie Little Richard.
David Bowie
hat mich zum Beispiel nie interessiert. Ich finde nicht schlecht, was er gemacht hat, aber er hat mich nie abgeholt. Vielleicht habe ich auch nicht richtig hingeguckt. Natürlich gibt es viele tolle Typen. Aber ich habe letztens wirklich über diesen Begriff „männliche Mittelmäßigkeit” nachgedacht, die einem als etwas Progressives verkauft wird. Ihr macht seit Jahrhunderten immer das Gleiche, das langweilt mich! Alle, die nicht Cis, männlich und weiß sind, müssen immer viel härter kämpfen, um da anzukommen, wo diese Personen sind. Eine Schwarze Frau wie Whitney Houston musste ganz andere Dinge überwinden als ein Donald Trump. Wenn ich mir erlauben würde, was der Typ gemacht hat, wäre ich als Schwarzer Mann längst im Gefängnis oder gar nicht mehr auf dieser Welt. Das ist krass, aber die Realität. Deshalb gibt es da von mir selten Applaus. Für Trump schon mal gar nicht, aber für alle anderen: Auch eher schwierig.

Genau das war bei der Frage zu Harry Styles und Co mein Gedanke: Dass zum Beispiel einem (weißen) cis Mann mehr dafür applaudiert wird, ein Kleid zu tragen, als queeren Menschen.
In dem Fall aber finde ich aber wird ein Privileg sinnvoll genutzt. Wenn du einfach weiter in dieser heteronormativen cis Hölle hockst und sagst „das ist es jetzt”, dann machst du nichts. Dann bedienst du einfach nur. Harry Styles aber nutzt sein Privileg als cis Hetero-Typ – oder wie auch immer – zumindest und schafft ein neues Narrativ. Er setzt neue Maßstäbe, anstatt sich wie ein Donald Trump einfach sexistisch und rassistisch zu verhalten bis zum Geht-nicht-mehr und dann auch noch zum Präsidenten gewählt zu werden.

„Dass ich mich jetzt so modisch positioniere, ist ja etwas relativ Neues. Ich finde gerade am Anfang musst du da PR-mäßig richtig auf die Kacke hauen, sonst bekommt es niemand mit.”

Bei einem Harry Styles aber hängt das hängt sicher auch damit zusammen, dass die Motivation für Style und Co vielleicht doch aus ihm selbst kommt und relativ authentisch wirkt – ähnlich wie bei dir. Vermutlich würden dir eher wenige Menschen nachsagen, dass du das alles nur für Aufmerksamkeit machst.
Na ja, aber das machen wir ja alle auch ein bisschen. Ich hätte nicht gedacht, dass das Foto, was ich nach meinem Auftritt bei „Late Night Berlin” rausgehauen habe, so gut ankommt. Gehofft habe ich es natürlich schon. Dass es eine Reichweite bekommt, dass es Aufmerksamkeit bekommt. Denn dass ich mich jetzt so modisch positioniere, ist ja etwas relativ Neues. Ich finde gerade am Anfang musst du da PR-mäßig richtig auf die Kacke hauen, sonst bekommt es niemand mit. Deshalb habe ich das Kleid auch nicht bei irgendeinem Shooting getragen. Ich wusste: Late Night Berlin, das ist Pro7. Wenn ich ein Kleid zum allerersten Mal bei einem Talk trage, dann dort.

 

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Du sagst, dass die modische Ausrichtung für dich noch relativ frisch ist. Dann lass uns direkt am Anfang trotzdem eine Zwischenbilanz ziehen – zu welchen Veränderungen hat sie für dich geführt?
Es fühlt sich super gut an, weil ich merke, dass es funktioniert. Ich merke, dass ich mein Narrativ selbst bestimmen kann. In den Jahren davor ist mir das in meinen Augen ein bisschen entglitten. Ich wurde sehr limitiert gebucht und habe nur limitiert Interviewanfragen bekommen. Es ging immer um Rassismus und Bla Bla, und ich dachte: „Hilfe, das kann’s doch nicht gewesen sein”. Deshalb bin ich froh, dass ich das in relativ kurzer Zeit geschafft habe. Das liegt aber vor allem an „deep und deutlich”. Das ist zum allerersten Mal ein Format von dem ich wusste, dass es mehr Leute sehen würden als die, die mir folgen. Ich wusste: Du moderierst jetzt drei Folgen und in diesen drei Sendungen gibst du einfach Gas. An dieses „Gas geben” würde ich mich aber heute schon ganz anders dransetzen und jetzt noch mehr machen.

„Alles, was ich gestern gemacht habe, fühlt sich für mich an wie 2005. Für mich heißt es dann: Okay Leute, let’s move on! Lasst uns mehr machen, lasst uns freier sein und noch mehr ausprobieren. Lasst uns mutiger sein.”

Welchen Look würdest du anders inszenieren?
Bei meiner ersten Folge trug ich eine transparente, an den Armen plüschige Polkadot-Bluse und zum allerersten Mal die Haare blond. Natürlich war das mit den Haaren ein krasses Statement. Die Bluse war eine klassische Frauenbluse – klassisch in dem Sinne, was andere sagen würden – und hatte für mich schon einen spannenden Moment. Der zweite Look war auch cute, so ganz in Lila. Der Dritte war aber mein Liebster: Leder und ein bisschen Transparenz drunter. Aber das ist heute für mich ein Outfit, damit würde ich auf die Straße gehen. Sobald ich etwas ein Mal in der Öffentlichkeit anhatte, ist bei mir eine gewisse Hemmschwelle überschritten.

Natürlich frage auch ich mich: „Darf ich das hier wirklich? Was kommen für Reaktionen und hab ich auch Bock darauf?” Es ist nicht so, dass ich frei davon wäre. Denn eigentlich bin ja Moderator und nicht der Mülleimer für die Leute, die keine Ahnung von Mode haben. Und ich entwickle mich sehr schnell weiter. Alles, was ich gestern gemacht habe, fühlt sich für mich an wie 2005. Für mich heißt es dann: Okay Leute, let’s move on! Lasst uns mehr machen, lasst uns freier sein und noch mehr ausprobieren. Lasst uns mutiger sein. Die Tüll-Bluse wäre jetzt einfach ein riesiges Tüllkleid, mit einer riesigen Schleife, sodass man fast mein Gesicht nicht sieht. Alles plakativer. Das lila Outfit käme mit lila Haaren, lila Lidstrich, vielleicht lila Lippen, blonden Augenbrauen und vielleicht doch schwarzen Haaren.

Wo du gerade die monochromen Farben ansprichst: Wir sprechen hier viel über Mode und Schönheit, und dazu gehören selbstverständlich auch Make-up-Looks. Wäre es ein nächster Schritt für dich, in Zukunft auch in Sachen Beauty noch einen Zahn zuzulegen?
Du meinst Botox?

Das wäre noch einen Schritt weiter, ich meinte eigentlich Make-Up-Looks.
Ich bin schon bei Botox. (Tarik zieht die Haut seiner Wange nach außen) Das muss hier alles mal nach hinten gezogen werden. Ich bin da sehr offen: Ich werde diese Falte bald wegmachen lassen, ich werde mir die Augen hochziehen, ich bin bereit. Wenn für einige Menschen ein natürlicher Look das Schönheitsideal ist – go for it. Aber worauf ich keinen Bock habe, ist dass Menschen, die einen nicht-natürlichen Look haben dafür geshamed werden. Lasst doch bitte alle Menschen mit ihrem Körper das machen, was sie wollen. Es ist egal! Wenn du es nicht schön findest, mach’ es nicht, aber stress’ nicht diejenigen, die es gerne tun. Darum geht es ja: Ich werde kein anderer Mensch, sondern modelliere das, was schon da ist. Ich nehme das, was mir am Besten gefällt und setze darauf einen Akzent – ganz selbstbestimmt. Für mich ist das fast schon schöpferisch.

„Ich glaube, wir müssen uns von dieser Idee lösen, dass alles, was ich für mich als schön empfinde, auch für alle anderen gelten muss. Das stimmt nicht. Das ist meine Vorstellung und eine andere Person hat eine ganz andere – und das ist vollkommen in Ordnung.”

Diese Diskussion endet dennoch oft bei der Frage, ob man etwas denn nun wirklich für sich selbst tut oder doch für andere. Du hast es selbst gerade gesagt: Ganz freimachen von äußerem Feedback kann man sich nach wie vor nicht. Es mag ein Klischee sein, aber mich interessiert trotzdem, wie du darüber denkst: Auf der einen Seite propagieren wir die individuelle Modellierung des eigenen Körpers, auf der anderen Seite wären wir mit dem vielleicht von vornherein zufriedener, wenn die Schönheitsideale sich tatsächlich schon geändert hätten.
Wir alle sollten an diesem Schönheitsbegriff mitarbeiten. Das heißt: Menschen die Falten haben, sollten es tun, aber auch die, die keine Falten haben wollen. Nicht mit 40, nicht mit 50, nicht mit 80. Genauso die, die sagen: „Ich verzichte auf Make-Up, denn so fühle ich mich am wohlsten und finde mich am schönsten.” Am selben Schönheitstisch sitzt aber eben eine Person, die sagt: „Boah nee, finde ich cool, dass du das so machst, aber ich liebe es, mir alles reinzuballern, was ich finden kann“. Und dann sitzen da Leute die dick sind, die schlank sind, die eine Behinderung haben oder keine, die Schwarz sind, die weiß sind, die groß oder klein sind. Alt und jung. Sie alle reden miteinander und am Ende kommt ein diverses Schönheitsbild dabei heraus.

Ich glaube, wir müssen uns von dieser Idee lösen, dass alles, was ich für mich als schön empfinde, auch für alle anderen gelten muss. Das stimmt nicht. Das ist meine Idee und eine andere Person hat eine ganz andere – und das ist vollkommen in Ordnung. Ich muss nicht Angst davor haben oder mich angegriffen fühlen, wenn eine Person Dinge tut, die nicht mit meiner Vorstellung von Schönheit zusammenpassen. Es ist eben mein Konstrukt. Wenn wir das gemeinschaftlich und auf Augenhöhe anstellen, ist es am Ende egal, was du tust. Dann geht es nur darum, ob du es fühlst oder nicht.

„Das, was [Klatschmagazine] machen, ist gar nicht so weit entfernt von dem, wie wir alle über Menschen reden”

Ein bisschen ähnelt das dem Konzept, wenn du mit Hadnet in eurem Podcast „Tratsch und Tacheles” mit der Klatschpresse abrechnest. Auch wenn eure Hörer*innen sicherlich eurer Meinung sind, habe ich mich schon manchmal gefragt: Wer liest diese Art von Klatsch noch – und sollte man dem Aufmerksamkeit schenken?
Das ist ähnlich wie bei der BILD-Zeitung. Es geht um die Art und Weise, wie einige Zeitschriften vermeintliche Nachrichten nach außen bringen: Sehr klischeehaft, ohne Quellen, einfach nur als irgendwelche Aussagen. Ich glaube auf der OK! stand groß: „Harry und Meghan: Sie lassen sich scheiden”. Dann liest du aber den Artikel und findest raus, dass die Schwester von Meghan Markle irgendwann vielleicht mal gesagt haben könnte, dass Harry und Meghan kurz vor der Scheidung stehen. Dann guckst du wieder auf den Titel und siehst, dass da Anführungsstriche sind! In deinem Kopf bleibt aber nur hängen: Sie lassen sich scheiden. Ich glaube schon, dass einige Menschen sowas als bare Münze nehmen oder es zumindest als möglich erachten. Weil, „die Meghan nervt ja eh, die ist ja eh an allem Schuld”. Bla bla.

Das Krasse an der ganzen Sache ist ja: Diese Narrative findest du auch bei der ZEIT oder beim Spiegel. Natürlich nicht in dieser Art und Weise. Aber diesen latenten Rassismus, eine latente Form von Sexismus. Auch bei weiblichen Journalist*innen, wenn es um internalisierten Sexismus geht…das, was die OK! und inTouch machen, ist manchmal gar nicht so weit entfernt von dem, wie wir alle über Menschen reden. Nur dass die das so plakativ „auf’s Maul“ machen. Weil wir alle diese Gedanken haben ist es in meinen Augen wichtig, darüber zu sprechen. Auch über sich selbst, indem man überlegt: Wann war ich eigentlich selbst das letzte Mal so unterwegs? Ich wette, wir alle finden Momente allein in der letzten Woche, in denen wir Dinge getan oder gesagt haben, die einfach daneben und menschenfeindlich sind! Ständig sagen wir: „Das sind die Bösen, und das sind die Guten”. Um da rauszukommen, lohnt es sich, darüber zu sprechen. Um zu zeigen, dass wir alle mal gut, mal böse sind. Wir alle aber sollten doch gemeinsam daran arbeiten, dass die Art und Weise, wie und wo wir über Menschen sprechen und urteilen immer besser sein muss als die von OK!, inTouch und BILD. Denn auch die werden von Menschen gemacht, mit denen wir in Interaktion stehen. Und leider auch gelesen.

Du hast es gerade schon im Fall von Whitney Houston erwähnt: Als Schwarzer Mensch wirst du ohnehin mit höheren Anforderungen konfrontiert, du selbst sprichst dich noch offen gegen Missstände aus. Inwiefern werden deshalb in solchen Diskussionen auch höhere Maßstäbe an dich gestellt? Wenn es um Mode geht, könnte ja zum Beispiel gefragt werden, inwiefern du kleine Underground-Brands und Artists unterstützt, wie hier im Shooting. Oder darum, wie nachhaltig du Mode konsumierst.
Machen wir uns mal nichts vor, ich bin ja clever. Auf der einen Seite will ich den Leuten den Wind aus den Segeln nehmen, die mich einfach nur kritisieren, weil sie mich scheiße finden. Das gilt aber auch für die, die sehr hohe Ansprüche an mich haben. Das ist auch okay, denn ich habe und kritisiere selbst auch immer noch viel. Aber ich will schon auch, dass Leute verstehen, dass ich Sachen mache und tun werde, die sie vielleicht nicht nachvollziehen können, die aber trotzdem okay sind. Nehmen wir mal Nachhaltigkeit und Co: Wenn ich es mir ausmalen könnte, würde natürlich alles nachhaltig produziert. Die Näher*innen würden überall auf der Welt fair und vernünftig bezahlt, niemand muss mehr leiden. Da bin ich der erste, der dabei ist, Punkt. Dummerweise bin ich aber auch ein kleines Konsumkind, weil ich Teil des Kapitalismussystems bin – auch, wenn ich mir ein anderes wünsche. Bisher hat zum Beispiel Gucci noch keine nachhaltige Kollektion. Aber natürlich würde ich mit Gucci – ich übertreibe jetzt mal ein bisschen – sofort eine Kooperation eingehen. Genauso mit vielen anderen Marken, die vielleicht noch nicht so nachhaltig unterwegs sind. Ich glaube das wird Leute verstimmen, aber damit muss ich dann einfach leben.

„Auch ich muss mit Widersprüchen klarkommen. Wenn ich nicht mehr mit problematischen Menschen zusammenarbeiten würde, könnte ich auch mit mir selbst nicht mehr zusammenarbeiten. Ich hab auch ein paar blinde Flecken, gerade wenn es um das Thema Mode geht, das gebe ich offen zu.”

Und um deine Frage richtig zu beantworten: Ich glaube schon, dass von Leuten, die sich politisch äußern, sehr sehr hohe Standards erwartet werden, gerade aus der eigenen Community. Zu Recht. Leute dürfen aber nicht vergessen, dass es sich zumindest bei mir auch immer eine inszenierte Person handelt, die nicht immer zu hundert Prozent ich bin. Auch ich muss mit Widersprüchen klarkommen. Wenn ich nicht mehr mit problematischen Menschen zusammenarbeiten würde, könnte ich auch mit mir selbst nicht mehr zusammenarbeiten. Ich hab auch ein paar blinde Flecken, gerade wenn es um das Thema Mode geht, das gebe ich offen zu. Ich bin aber auch kein Nachhaltigkeitsblogger – war ich nie und werde ich nie werden. Und ich gehörte auch nie zu der Fraktion, die gesagt hat: Feminismen und Mainstream, das passt nicht zusammen. Es wäre schön, wenn Menschen das in der Schule lernen würden, aber da sind wir doch noch nicht! Und wenn diese Menschen jetzt mit Feminismus etwas Positives verbinden – und sei es nur auf einem scheiß T-Shirt – dann ist doch ein bisschen etwas erreicht.

Demnach würde es erst im nächsten Schritt darum gehen, dass diese Form von Feminismus nicht zu bequem werden darf oder verwässert?
Ja, aber ich bin da nicht so. Ich bin um jede Regenbogenflagge froh, die ich im Pride-Month sehe. Ich sitze hier in Berlin-Kreuzberg, aber wenn ich daran denke, dass der Stefan oder die Emily irgendwo auf dem Dorf hocken, selbst queer sind und sehen, dass Coca-Cola, Penny oder Lidl die Flaggen rausholen, dann macht das doch was mit denen. Und auch Hannelore und Hans-Diether, die nicht queer sind, bekommen von der Normalisierung mit. Darum geht es doch! In meinen Augen entsteht Normalisierung im besten Fall im Mainstream. Dann ist das eben Queerbaiting oder Pinkwashing. Aber Marken sind nicht Mutter Teresa. Die machen das, weil sie Sachen verkaufen wollen. Wenn sie dabei wenigstens um Diversität und empowernde Statements bemüht sind, dann finde ich das gut.

Vermutlich misst man hier mit verschiedenen Maßstäben. Ich merke, dass es mich weiter bringt, wenn mir durch die Kritik einer Person bewusst wird, dass ich bequem werde, etwas problematisch ist und sich nichts mehr tut. Vielleicht gibt es hier keine Staffelung oder Hierachie, aber es gibt sicher ein Gefälle, in dem es auch die Menschen braucht, die immer weiter pushen.
Es braucht alles. Das Gute ist ja: Wenn man sich feministisch positioniert, kann man das auf ganz vielen verschiedenen Ebenen machen. Du kannst völlig zu Recht sagen: Das ist nicht gut, das ist falsch, das muss sich ändern, jetzt. Oder du gehst rein und versuchst, von innen Dinge zu ändern. Das schließt sich für mich nicht aus. Es soll weiterhin diejenigen geben, die von außen sagen: Ich will da niemals rein, das läuft von Grund auf schon beschissen. Dann muss es aber auch die Menschen geben, die nicht als weniger feministisch wahrgenommen werden, wenn sie sagen: Ich geh rein und versuche, von drinnen was zu ändern. Und am Ende kommt dann von drinnen und draußen allet zusammen und dann wird alles kaputtjemacht und dann isset vorbei mit dem Patriarchat! Ist doch jut!

Zum Abschluss hab ich eigentlich nur noch eine Frage, die ich schon ganz am Anfang stellen wollte.
Ja, ich bin 1.80 groß, 25 Jahre alt und mit Mario Gómez verheiratet.

Gut zu wissen! Eigentlich wollte ich fragen: Du kommst ursprünglich aus dem Ruhrgebiet. Hat das deinen Style inspiriert?
(überlegt) Ich würde sagen ich habe das Ruhrgebiet stilistisch geprägt. (ironisch) Ich war schon an der Schule ein Trendsetter. Und vielleicht sogar der erste Mann im Ruhrgebiet, der Flip Flops getragen hat. Da hieß es noch: Männer tragen das nicht. Heute denke ich: Was hab ich da angerichtet? Warum habe ich diesen Trend in die Welt gesetzt? Aber du merkst: Ich war schon damals avantgardistisch unterwegs und würde eher sagen, dass ich das Ruhrgebiet noch präge – bis heute.

Dieser Beitrag wurde ursprünglich im April 2021 veröffentlicht.

Fotos: Koa Koppenhöfer
Produktion & Schmuck: Luise Zücker 

Looks von Remesalt
Haare & Make-Up: Aurelia Braga de Matos
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