Viva Colombia: dem Tourismus-Hype auf der Spur

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Viva Colombia! Wer will beim Anblick dieser Fotos nicht sofort nach Kolumbien reisen? Credit: Turid Reinicke
Von Cartagena bis Jardín: Warum ihr diesen Winter unbedingt nach Kolumbien reisen solltet.

Text: Turid Reinicke

Was in den frühen 90ern noch als gefährlichstes Land der Welt galt, hat es heute zu einem der beliebtesten Reiseziele für Individualtouristen geschafft: Kolumbien findet nach 50 Jahren Drogenkrieg und politischen Unruhen endlich zum Frieden – und verdankt seine neue Attraktivität trotzdem nicht zuletzt auch seiner Vergangenheit.

Medellín – die kleine Schwester von Bogotá

Ein alter grimmiger Mann mit Brille und ein Polizist in Uniform schauen von ihrem Gespräch auf, als sich das Tor öffnet, unseren Van auf das Anwesen fahren lässt und sich hinter uns wieder schließt.  Die Erwartungshaltung pendelt sich irgendwo zwischen Aufregung, Skepsis und mulmigem Gefühl ein. Der Mann in Uniform nickt zum Abschied, nachdem der Alte ihm etwas zugesteckt hat. Wir sind in Medellín. Der grimmige Rentner ist Pablo Escobars Bruder Roberto. Er bietet für rund 30 Euro Stadttouren auf den Fersen des Drogenbarons an. Wir haben gebucht. Spätestens seit Netflix’ „Narcos“ ist der Blick hinter die Kulissen des Verbrechers ein Touristenmagnet. Diesen Hype kann man gutheißen und die Skrupellosigkeit des Kokainkönigs verharmlosen (so wie Roberto) oder eben nicht. Dennoch ist die Faszination für die Metropole Medellín nun mal untrennbar mit der des berühmten Kartells verbunden, auch in der heutigen Wahrnehmung. Wer Kolumbien bereist, kommt darum nicht herum. Hier wurde Geschichte geschrieben, so düster das Kapitel auch sein mag. Roberto führt über das Anwesen, auf dem sein Bruder seinen 44. Geburtstag feierte. Der nächste Tag war sein letzter. Auch der kleine schmächtige Greis wirkt etwas lädiert. Seit einem Briefbomben­anschlag während seiner Haft ist er fast blind und schwerhörig. Heute kämpft er gegen Netflix und für das Ansehen seines Bruders. Am Ende der Tour posiert er mit den Touristen vor den Kopf­geldplakaten der Polizei, die in den 90ern je zehn Millionen Dollar für ihn und Pablo aussetzte. Besonders gerne lässt er sich mit uns jungen Señoritas ablichten. Gut, dass er nicht weiß, dass wir Journalisten sind. Die hasst er nämlich fast genauso sehr wie Netflix. 

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Medellín ist nach Bogotá die zweitgrößte Stadt des Landes und nicht nur in Sachen Kultur und zum Feiern ein guter Anlaufpunkt. Credit: Turid Reinicke

Jardín  – das niedliche Dorf in der Kaffeezone

Männer in Cowboyhüten rauchen Zigarre vor bunten Häusern und beobachten das Treiben auf dem Dorfplatz. Einige von ihnen haben ihre Pferde dabei. In den Abendstunden zeigt sich, dass es sich nicht um gewöhnliche Gäule handelt, sondern um Paso Fino. Die spezielle Zucht beeindruckt mit Tölt als Hauptgangart und trippelt als Unterhaltung zum Dinner leichtfüßig für die staunenden Touristen. Das niedliche Dorf liegt in der Kaffeezone südlich von Medellín und bietet ein Idyll, das an Absurdität grenzt. Die Zeit scheint hier schon lange stehen geblieben zu sein und gleichzeitig wirkt die gut gepflegte Fassade wie eine Kulisse aus Pappe in einem Western von Disney. Man er­wartet ständig, dass irgendjemand „Klappe!“ ruft und ein anderer die Cowboys abpudert. Wir bu­chen einen Tagesausritt durch den Dschungel. Die Natur ist atemberaubend und das Lunchpaket eingepackt in ein Bananenblatt. In Jardín begegnet man einer Facette von Kolumbien, die weder von den einstigen Problemen des Landes noch von seiner heutigen Fortschrittlichkeit erzählt. Hier kann man eine Auszeit nehmen. Von allem. 

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Die Stadtmauer der Altstadt von Cartagena vor der modernen Skyline. Credit: Turid Reinicke

Cartagena – die bunte Perle der Karibik

Von Pink zu Blau und Gelb und selbstverständlich makellos verputzt: Die Straßen von Cartagena sind in ihrer Farbenpracht kaum zu überbieten. „Die Anwohner schaukeln sich gegenseitig hoch, weil es einen Wettbewerb gibt“, erzählt Stadtführer Diego. „Der Bewohner, dessen Haus von der Stadt zum schönsten gewählt wird, wird ein Jahr lang von seiner Steuerpflicht befreit.“ Ob das stimmt oder nicht, Cartagena wird nicht umsonst die „bunte Perle der Karibik“ genannt und ist Kolumbiens größter Touristenmagnet. Die kleine Kolonialstadt an der Küste ist in vieler Hinsicht anziehend: Bars, Restaurants, Shops und Hotels entsprechen europäischen Standards und werden durch das karibische Flair noch aufgewertet. Nur wenn man auf der Plaza de la Aduana an jeder Ecke neben Souvenirs auch „bestes Kokain“ angeboten bekommt, kann man sich selbst wieder verorten und stellt fest, dass auch hinter noch so schönen Fassaden die „Narcos“-Geschichte des Lan­des nach wie vor gegenwärtig ist. Wer von dem regen Treiben jeglicher Basare eine Auszeit braucht, dem sei eine weitere Perle der Karibik etwas südlich von Cartagena empfohlen: Vor der Insel Tintipán, eine der Islas de San Bernardo, liegt die „Casa en el Agua“. Das ebenfalls bunte Hostel prangt auf Stelzen im türkisen Wasser der Karibik und ist ein absolutes Highlight für internationale Back­packer, auch wenn es viele nach zwei Nächten ohne fließendes Wasser doch wieder zurück in die Zivilisation zieht.

Tayrona Nationalpark – Karibikträume werden wahr

Die Sonne verschwindet am Horizont und das Brummen des Stromgenerators verstummt. Ab 21 Uhr setzt man hier auf Fackeln und Meeresrauschen. Sternegucken statt Unterhaltungsprogramm. Wir lesen noch ein paar Seiten mit Stirnlampe, dann folgt die Nachtruhe unterm Moskitonetz. Am Morgen entfaltet sich dann die packende Kulisse: weißer Sandstrand, Palmen und der bergige Dschungel im Rücken. Der Tayrona-Nationalpark lässt Karibikträume wahr werden. Östlich des turbulenten Fischerorts Santa Marta erstreckt sich das Areal von der Küste über das Gebirge der Sierra Ne­vada bis hin zur Mündung des Río Piedra. Innerhalb des Parks (man bezahlt circa zwölf Euro Eintritt) finden sich Übernachtungsmöglichkeiten von der Hängematte bis zum Luxusstrandhaus. Hotelbunker und Sonnenschirme am Strand gibt es hier nicht. Dennoch hat sich die Schönheit des Paradieses herumgesprochen und auch die Einheimischen strömen in den Ferien hierher. Auch au­ßer­halb der Tore des Parks erstreckt sich die raue Karibikküste und bietet Raum für Surf-Hos­tels direkt am Strand. Wer jetzt an Planschen in türkisem Wasser denkt, täuscht sich. Die Strömung ist sehr stark, und wer baden will, kann das lediglich in den kleinen Flussmündungen tun. Allerdings finden es auch Krokodile ganz entspannt im ruhigen Wasser…

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Auch das ist Kolumbien: die raue Seite der Karibik. Credit: Turid Reinicke

Nuqui – Abgeschiedenheit und Natur pur

Wir krallen uns am Rande unseres Bootes fest, das vielmehr eine Nussschale mit Außenmotor ist, als unser „Kapitän“ auf das Wasser neben uns zeigt und „Ballena!“ ruft. Wir wissen nicht genau, was das heißt, folgen aber seiner Geste und verstehen: ein Buckelwal! Die beeindruckenden Bewohner der Antarktis kommen zwischen Juni und Oktober in diese warmen Gewässer, um sich fort­zu­pflanzen. Absolut nachvollziehbar, denn seine Ruhe hat man hier allemal: Wer Abgeschie­den­heit und Natur pur will, sollte von Medellín aus mit einer Propellermaschine an die Pazifikküste des Landes reisen. Die Chocó-Region ist touristisch noch wenig erschlossen und nur auf dem Luft- oder Wasserweg zu erreichen, da ihr nahezu undurchdringlicher tropischer Dschungel bis an die Küste reicht. Noch 2008 wurden nördlich von Nuquí sechs Touristen von der FARC entführt und das dichte Gehölz bietet offensichtlich diversen Drogenlaboren Schutz vor neugierigen Blicken. Doch auch fernab der Zivilisation hat der politische Frieden des Landes touristische Auswirkungen. Weite dunkle Sandstrände, Eco Lodges und einsame Line-ups locken heute immer mehr Surfer, Taucher und Wildlife-Fans in dieses abgelegene Paradies. 

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Die Dschungelregion Chocó um den Ort Nuquí zählt zu den nassesten Regionen der Erde. Credit: Turid Reinicke

 

 

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