Die komplexe Geschichte der Balaclava: Wie wird das Hype-Accessoire zum neuen Klassiker?

Fotos: Dolores
In dieser Wintersaison hat die Balaclava ihren bisher größten Hype erlebt – TikTok und Strick-Tutorials sei dank. Dabei hat die Haube eine lange und komplexe Geschichte, die von Kindersache bis Krimkrieg reicht. Warum wir den Kontext der Balaclava verstehen müssen, um sie auch in Zukunft zu tragen.

Die Balaclava, nein nicht der Song der Arctic Monkeys, sondern das modische Accessoire, ist voll im Trend. Das kommt uns bekannt vor: Vor allem um 2018 war das Accessoire in High-Fashion-Kollektionen bereits zu sehen, zum Beispiel in denen von Raf Simons. Auch als Teil des Après-Ski-Trend schienen Balaclavas bei großen Modehäusern, wie zuletzt in der „Coco Neige“- Kollektion von Chanel – einen Platz in der Front Row ergattert zu haben. Spätestens nach den vergangenen drei Wintermonaten ist der Hype nun so groß, das die Sturmhaube in dieser Saison das Potenzial hat, neben Mütze und Schal vom Hype zum neuen Klassiker zu werden.

TikTok-Hype sorgt für neues Hoch im Winter 21/22

Auch bekannt als fester Bestandteil der Skiausrüstung, wird die Balaclava –  im Namen nicht zu verwechseln mit dem Gebäck Baklava – als neues Standard-Accessoire angesehen. Der Hype um die Kopfbedeckung, die vielleicht auf den ersten Blick an den Look der Teletubbies erinnern mag, entstand wie vieles auf TikTok. Über 121 Millionen User*innen nutzen den Hashtag bisher unter ihren Videos und machten die Balaclava zur Internet-Sensation. Einige werden die Strickteile auch schon aus ihrer Kindheit kennen. So zum Beispiel Hanna L., Hanna H. und Lilly, die 2020 ihr Balaclava-Label Dolores gegründet haben. Als sie die ersten Prototypen ihrer Designs an Freundinnen verschenkten, hatte so ziemlich jede eine Meinung dazu: „Von ,Oh Gott, ich fühl mich wie ein Kleinkind‘, ,Das kratzt bestimmt‘, über ,Ach ja, das hab ich bei hippen, pastellfarbenen Copenhagen-Moms auf Instagram gesehen, über die Frage: Wie praktisch, passt das wohl unter meinen Fahrradhelm?‘ war alles dabei”, erzählt Lilly im Interview mit Deutschlandfunk. Wer aber hat das Accessoire vom Trend zum feste Staple gekrönt?

Inspiriert von dem Wunsch nach Wärme und Schutz, aber auch Homewear und alten Filmstars: Die Balaclavas von Dolores.

Mask on: Der Start in High Fashion

An dieser Stelle geht’s noch einmal kurz zurück in die High-Fashion-Geschichte. Gucci und Balenciaga zeigten bereits in den Kollektionen für Fall/Winter 2018 Variationen der Balaclava sowie der „Babushka”. Die Babushka ist ein Kopftuch, welches unter dem Kinn gebunden wird und bekannt wurde als Haube der Babushka, was frei aus dem Russischen übersetzt so viel bedeutet wie „Oma”. Maison Margiela wiederum gab den Maskierungstrend sogar schon im Herbst 2013 vor. Es gibt aber viele weitere Kontexte, in denen Balaclava-ähnliche Looks auftauchen, wie Lilly von Dolores verrät: „Das reicht von den brutalen und doch irgenwie cuten Sturmhauben, wie man sie vielleicht aus Harmony Korines ,Spring Breakers‘ kennt, über Latex-Hauben aus dem Fetisch-Bereich, über politisch motivierte Gesichtsverhüllung (man denke da z.B. an Pussy Riot), bis hin zu Jackie Kennedys ikonischen Winterlooks oder eben dem typischen Kinderschreck: der Schalmütze”. Für ihr Label Dolores hätten sie sich aber eher vom Gedanken an Schutz und Geborgenheit inspirieren lassen, aber auch den Seidenschals von Brigitte Bardot und Audrey Hepburn, oder dem Corona-bedingten Verlangen nach schicker Homewear, so Lilly gegenüber Deutschlandfunk.

Die Balaclava ist also zunächst einmal nichts Neues. Und dennoch wirkte das Accessoire in der Vergangenheit auf seine eigene Art und Weise vielleicht noch ein wenig sperrig. Ob aufgrund von pompösen Designs oder dank Assoziationen zu Raubüberfällen – bis zum Winter 2021 waren wir noch nicht so wirklich auf die Balaclava gekommen.

 

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Krieg, Krim und Kim: Die Historie der Balaclava

Das sieht nun anders aus. Gehäkelt, gestrickt, selbstgemacht oder gekauft, einige haben die Balaclava bereits im Schrank liegen. Durch ihre wärmenden und schützenden Eigenschaften könnte sie aber bald Teil einer jeden Wintergarderobe sein. So erhielt das Accessoire übrigens auch seinen Namen: Zuerst wurden die Hauben zu Zeiten des Krim-Kriegs im 19. Jahrhundert getragen, um britische Truppen vor dem kalten russischen Winter zu schützen. Die Soldaten griffen auf die Hauben zurück, die den Hals sowie den größten Teil des Gesichts verdeckten. Später wurden die Kopfbedeckungen nach dem Ort des Geschehens benannt: Balaklawa, der Kriegsschauplatz, ist eine altgriechische Stadt auf der Krim. Heute nutzt auch Kim Kardashian Maskierungen, um sich zu verstecken, wie bei der Met Gala 2021. Bekannterweise ganz in Schwarz gekleidet, posierte der Reality-TV-Star gemeinsam mit Balenciaga-Designer Demna auf dem roten Teppich des Events. Wie Demna in einem Interview erklärte, nutzt er Maskierungen, um Fotografien von sich zu vermeiden und seine Kamerascheu zu bewältigen. Ob Kim Kardashian nun auch kamerascheu geworden ist?

 

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Doppelstandard? Über den Vergleich der Balaclava zum Hijab

Auf Social Media verteilen sich mittlerweile DIY-Balaclava-Tutorials all over the place und knüpfen damit am Häkel- und Stricktrends aus Lockdowns an. Aber auch für eine weitere Gruppe bietet das Accessoire Variation: muslimische Frauen, die Hijab tragen. Aufgrund ihrer ähnlichen Eigenschaften und der modischen Relevanz werden Balaclavas im Winter beispielsweise über einem Hijab getragen. Aber auch, wenn beide Kleidungsstücke optisch viele Gemeinsamkeiten haben, gibt es eine merkliche Differenz in ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Akzeptanz. Während auf TikTok und Co. vor allem weiße Frauen mit Balaclava gefeiert werden, empfinden viele Menschen einen Hijab bei muslimischen Frauen nach wie vor als Zeichen der Unterdrückung. In Ländern wie Kanada wurde das Kleidungsstück im öffentlichen Sektor verboten, in Frankreich dürfen minderjährige Frauen ihre religiöse Verbundenheit nur noch im privaten Raum durch einen Hijab ausdrücken. Hijabs werden gesellschaftlich als antiquiert angesehen, während Balaclavas als neuester Modetrend international beliebt sind.

 

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Der Kontext macht die Mütze

Es wäre nicht das erste Mal, dass Modetrends in einer Mehrheitsgesellschaft mehr Akzeptanz zugesprochen bekommen als Symbole, die Jahrhunderte Tradition und individuelle Emotionen mit sich bringen. „Du kannst eine Balaclava abnehmen und den Trend aufgeben, aber Ethnizität, Religion und Gender sind Dinge, die man nicht einfach so aufgeben kann“, sagt die muslimische Creatorin Sagal Jama in einem Artikel der New York Times, der sich kürzlich mit verschiedenen Perspektiven im Vergleich von Hiijab und Balaclava auseinandersetzte. „Menschen können eine Balaclava tragen und als trendy oder cool wahrgenommen werden, aber ein Hijab kann als Symbol der Unterdrückung oder als politisch angesehen werden.“ Auch wenn Balaclavas von Menschen verschiedener Ethnien getragen würden, sei der Trend vor allem durch weiße Frauen in den Mainstream gekommen, sagt die Autorin Anna Piela im selben Times-Beitrag.

Dennoch ist der Vormarsch der Balaclava nicht aufzuhalten. In ihr sehen wir nicht nur ein neues Winteraccessoire, das Trend und Funktionalität vereint, sondern großes Potenzial. Falls ihre Geschichte sowie ihr kultureller Kontext verstanden werden, hat das Kleidungsstück ab jetzt gute Chancen, neben Handschuhen, Schal und Hijab einfach in jeder Saison zur Garderobe dazuzugehören.

 

Mitarbeit: Robin Micha

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