Die Rollen werden neu verteilt. Wir definieren gerade, was „Geschlecht“ überhaupt für uns bedeutet – könnte also geschlechtslose Mode das nächste große Ding sein?
FOTO: [SIE] Weste: Vladimir Karaleev, Shirt: Obey, Jeans: Cheap Monday [ER] Pullover: Sample-cm, Uhr: G-Shock, Hose: Julian Zigerli

Unisex 2.0
Unisex, laut Duden „die optische Annäherung der Geschlechter durch Auflösung typischer weiblicher oder männlicher Attribute in der Mode“, wortwörtlich: ein Geschlecht. Der wohl wichtigste Designer in Sachen Unisex ist der jordanisch-kanadische Designer Rad Hourani. Mit seiner geschlechterauflösenden Kleidung gehört er sogar zur Riege der Haute Couture. Ein Jahr lang hat er Frauen und Männer vermessen, bis er ein einziges universelles Schnittmuster hatte, das seitdem die Vorlage für all seine Designs ist. „Ich habe nie verstanden, wer entscheidet, dass ein Mann sich auf eine bestimmte Weise anziehen muss und eine Frau auf eine andere Weise“, sagt Hourani. Seine reduzierte, geometrisch geschnittene Kleidung negiert Geschlecht, Nation, Alter, Saison und sogar Trends. Dabei vereint er aber nicht einfach männliche und weibliche Kleidung. Er erfindet Unisex völlig neu, indem er alle Geschlechtercodes vergisst und etwas vollständig Neues entwirft. Bislang ist solche geschlechtslose Mode eher selten auf der Straße zu finden.


Männer gelten noch immer als das starke Geschlecht
Nur gewöhnt man sich bislang an einen Mann im Kleid schlechter als an eine Frau im Anzug. Weil das Männliche leider noch immer als das starke Geschlecht gilt und somit klar scheint, dass Frauen sich mit einer Boyfriend-Hose auf-, sich Männer aber in einem Kleid abwerten würden. Doch die neue Unisexmode schafft eine neue, androgyne Identität – jenseits der Dresscodes, die wir als männlich oder weiblich erkennen. Körperformen verschwinden und der kleine Unterschied zwischen Männlein und Weiblein wird in der Mode Stück für Stück aufgehoben.
2015 eröffnete das Londoner Kaufhaus Selfridges den Pop-up-Shop „Agender“, der sich über mehrere Etagen erstreckte und mit Labels wie Rad Hourani, Ann Demeulemeester oder Gareth Pugh zum non-binären Shopping einlud. Und auch der US-amerikanische Onlineshop thecorner.com beschloss im Juni 2015, dass es Zeit wäre für einen genderneutralen Verkaufsweg als „Alternative zur klassischen Zweiteilung in Mann und Frau“. Selbst in den High-Street-Läden finden sich nun immer öfter Unisex-Kollektionen. Weekday brachte vor einiger Zeit die Linie „S/HE“ heraus, Zara hat erst kürzlich Mode präsentiert, die für beide Geschlechter funktionieren soll. Laut der Modetheoretikerin Barbara Vinken ist es eigentlich der Zweck der Mode, die Geschlechter zu unterscheiden und voneinander abzugrenzen. Doch was, wenn es keine Unterscheidung mehr gibt? Wenn plötzlich nicht nur Männer funktionale Kleidung brauchen und nicht allein Frauen ein Interesse daran haben, schön auszusehen?


Fotos: Laura Kaczmarek
Styling: Heike Held
Hair & make-UP: Anna-Lena Cox
Models: Sie @fsvrinski // Er @toddlerface