So grazil kann Ugly Fashion aussehen

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Zwei Balletttänzerinnen zeigen uns, wie grazil Ugly Fashion sein kann.
Es ist noch gar nicht lange her, dass die Mode eine Traumwelt zeigte. Eine Fantasie und etwas Schöneres als das, was uns jeden Tag auf der Straße begegnet. Doch seit einigen Saisons ist es die Straße, die wir auf den Laufstegen sehen. Willkommen zur neuen Russischen Revolution. Wie grazil und fein selbst Ugly Fashion aussehen kann, zeigen uns zwei Tänzerinnen in ihren Proberäumen des Staatsballetts Berlin.

Klobige Sneaker, bunte Trainingsanzüge, nicht ganz richtig sitzende Kleidung – was lange Zeit als normal und, schlimmer noch, als hässlich galt, ist jetzt längst angesagt. Zwischen High-Fashion-Bauchtaschen und 90-Euro-Tennissocken findet eine Revolution in der Mode statt. Angestoßen haben diesen Umbruch die Designer, die ihre Wurzeln im Ost­block haben. Allen voran Gosha Rubchinskiy, der seit seiner ersten Show in Moskau im Jahr 2008 die Regeln der Mode auf den Kopf stellt. Die Kollektion damals hieß „Evil Empire“, ein Begriff, den der ehemalige US-Präsident Ronald Reagan während des Kalten Kriegs geprägt hat, um das Verhältnis des Westens zur Sowjetunion widerzuspiegeln. Mittler­weile ist Rubchinskiys Label Teil von Comme des Garçons und hat Kooperationen mit Adidas und Burberry. Seine Models sucht sich der Designer trotzdem oft noch auf der Straße, um sie dann in Sporthosen und Hoodies mit Prints wie „Guard and Save“, ein Spruch, der sonst russisch-ortho­doxe Kreuze ziert, auf den Laufsteg zu schicken.

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Auch das Kollektiv hinter Vetements stammt aus der ehemaligen UdSSR. Die wichtigsten Figuren sind dabei die Brüder Demna und Guram Gva­salia sowie Stylistin Lotta Volkova. Übergroße oder geschrumpfte Teile, seltsam in Lagen geschichtet, und oft billig wirkende Stoffe prägen den Look der Marke. Sie spielen mit dem, was Mode ist und was, wie der Name Vetements übersetzt, nur Kleidung

Die 90er waren eine Zeit des Chaos im Ostblock – politisch, ökonomisch, aber eben auch kulturell. Und diese Stimmung ist es, die die Desig­ner heute zu Kleidung verarbeiten.

Das letzte Mal, dass Russland einen so großen Einfluss auf die westliche Mode hatte, war Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Ballettgruppe Ballets Russes das Pariser Nachtleben eroberte. Die Kostüme, die der Maler und Bühnenbildner Léon Bakst für die Shows designte, waren ausgefallen und exotisch – glänzende Stoffe, Luxus, Dekadenz. Es war eine Fantasie, die auch französische Designer wie Paul Poiret inspirierte.

Das Bild des Ostens, das die heutige Mode zeigt, ist rauer, realistischer. Es zeigt die Zeit der Perestroika, als die Sowjetunion bereits Geschichte und doch noch überall zu spüren war. Als die Grenzen endlich offen waren und die westliche Kultur langsam Einzug hielt in die Kleiderschränke junger Leute. Marken fingen an, billige Kopien von westlichen Trends zu produzieren, oft sogar mit falsch geschriebenen Namen wie Abibas. Diesen Look macht sich Rubchinskiy heute zu eigen und lässt ihn wieder aufleben. Die 90er waren eine Zeit des Chaos im Ostblock – politisch, ökonomisch, aber eben auch kulturell. Und diese Stimmung ist es, die die Desig­ner heute zu Kleidung verarbeiten.

Ugly Fashion: Sogar die etablierten Modehäuser wollen an dem Umbruch teilhaben.

Seit einiger Zeit finden sich sogar bei Ketten wie Urban Outfitters Shirts mit kyrillischem Print. Und dass Demna Gvasalia das Design bei Balen­ciaga übernommen hat, zeigt, dass selbst die etablierten Modehäuser teilhaben wollen an dem Umbruch, der sich über die Laufstege zieht. Da­bei ist es doch eigentlich die Antithese zu dem, was wir an der Mode mal schätzten. Nostalgie statt Zukunftsdenken. Realismus statt Perfektion. Aber genau wie das russische Ballett in den 1910er-Jahren fasziniert uns diese Bewegung, die nicht nur die Mode, sondern auch andere Bereiche unserer visuellen Kultur prägt. Fotografen wie Lesha Berezovskiy halten die Untergrund­szene etwa auf Raves in der Ukraine fest so wie die Ballets Russes Maler dazu bewegten, ihre Vorstellungen eines exotischen Russlands zu malen.

Ballett im Staatsballett Berlin auf der Bühne mit Tänzerinnen Ugly Fashion tut Sloggi Body

Gerade weil es anders ist und im ersten Moment vielleicht fast ein wenig hässlich wirkt, ist es interessanter als alles, woran wir uns sattgesehen haben. Dabei geht es bei der russischen Mode-Revolution viel mehr um Jugend als um Mode. Mehr um den Moment als um einzelne Kleidungsstücke. Wer ein Teil des Labels Sputnik 1985, einen Pullover mit viel zu langen Ärmeln von Vetements oder das Shirt mit dem kyrillischen „Youth“-Print von Volchok trägt, zeigt, dass er versteht, worum es geht. Auch wenn er dafür fragende Blicke derer kassiert, die gehofft hatten, dass diese Looks dort bleiben, wo sie herkamen – in den 1990ern.

 

 

 

T/ Judith Brachem  F/ Marlen Stahlhuth

Produktion & Styling/ Anna Baur

Haare & Make-up/ Aennikin

Tänzerinnen/ Alizée Sicre & Amy Bale

 

In freundlicher Zusammenarbeit mit Sloggi. 

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