Selbstdarstellung, Gender-Swap und moderne Werte: Die Tunis Fashion Week ist wie jede andere Modewoche auch. Oder? Eine Bestandsaufnahme zwischen Innovation und Tradition.
Fotos: Joanna Legid
Auf den Schauen der Tunis Fashion Week stolzieren männliche Models in High Heels zu Madonnas „Vogue“ über den Laufsteg, bei den weiblichen Models sind Busenblitzer nicht selten. In der Front Row glitzern tunesische Influencer*innen um die Wette. Viele haben die gleiche Nasen. Die gleichen Brüste. Die gleichen Lippen. Offensichtlich inspiriert von Kylie, Kim, Khourtney oder Kendall. Unter den Besuchern sind aber auch junge Frauen mit Hijab, ohne tiefem Ausschnitt, ohne knappe Shorts, aber ähnlich begeistert von der Mode, der Musik, und der Tatsache, dass jede*r Tragen kann, was gefällt.
>>> Klickt euch hier durch Behind The Scenes Bilder der TFW und scrollt runter für mehr Street Styles & Statements der Zuschauer <<<
Das Amphitheater von Karthago, in dem die 11. Ausgabe der Tunis Fashion Week stattfindet, ist in diesen fünf Tagen eine Spielwiese der Selbstdarstellung, ein Ort an dem die traditionellen Werteordnungen Tunesiens nicht gelten. „Das Event ermöglicht jedem sich so auszudrücken wie er möchte – das ist für Tunesien ungewöhnlich“, erzählt die 26-Jährige Shayma, die seit sechs Jahren als Model für die Fashion Week läuft. Auch Fatma, die für das tunesische Modemagazin FFDesigner schreibt und fotografiert, antwortet auf die Frage wie sie die Tunis Fashion Week findet, nicht mit einem Loblied auf die Designer: „Ich habe bis jetzt nichts gesehen, was wirklich neu wirkte.“ Jedoch sei es gut, eine Fashion Week zu organisieren und dadurch ein anderes Bild von Tunesien zeigen zu können. Ein Bild, das die meisten Medien nicht zeigen würden. Kulturelle Events wie die Fashion Week seien wichtig und sollten in Tunesien viel öfter stattfinden. „Ich denke, dass ein Land, das sich emanzipieren oder weiterentwickeln möchte, es nur schafft, indem es kulturelle Angebote fördert.“
>>> Hier sprechen wir mit sechs Gästen der Tunis Fashion Week über ihr Gefühl als Frauen in Tunesien, über kreatives Potential und Bildung – und darüber, was sich für Fortschritt ändern muss <<<
Shayma, 26, Jurastudentin und Model bei der Tunis Fashion Week
Wie ist dein Eindruck der Fashion Week in diesem Jahr?
Ich mag die Fashion Week sehr gerne und bin seit sechs Jahren dabei. Ich schätze die unterschiedlichen Designer, die Fotografen, die Make-Up-Künstler. Die Woche ermöglicht jeder/m sich so auszudrücken wie er/sie möchte – sei es über das Make-up oder über die Kleidung. Ich studiere Jura und die Fashion Week zeigt mir, dass ich mehr zu dieser Welt dazugehöre als zu der ernsten Jura-Welt. Am liebsten würde ich selbst gern Designerin werden.
Welche Schwierigkeiten gibt es für dich in Tunesien?
Es gibt diesen Begriff des „Rendez-vous arabe”. Letztens hatte ich ein Shooting mit einer Designerin vereinbart und wir waren für Montags verabredet. Am Montag rufe ich sie also um halb Zehn an, keine Antwort. Ich bin dafür nicht zur Arbeit gegangen. Ich schreibe ihr eine Nachricht, irgendwann antwortet sie: „Ich bin mit der Kollektion nicht fertig geworden, wir müssen das Shooting verschieben.” Ich war so wütend – warum kommuniziert sie das nicht einfach? So etwas macht man nicht. Wenn man denkt, dass man etwas nicht schafft, dann soll man es einfach sagen. Solche Dinge passieren hier aber ständig, es funktioniert eben nicht alles. Und manchmal nervt das. Außerdem lachen mich die Menschen hier aus, wenn ich unterwegs bin, weil ich einen ausgefallenen Stil habe. Ich wurde auf dem Weg zur Uni oft ausgelacht. Auch auf der Fashion Week gibt es Menschen, die mir sagen, ich sähe aus wie ein Clown.
Werden Frauen in Tunesien je nach Region unterschiedlich behandelt?
In Tunis ist alles gut. Sobald man aber die Stadt verlässt, merkt man einen Unterschied. Es gibt kultivierte, offene Menschen, doch die sind eher Ausnahmen. Ich aber bin frei und mache, was ich will. Es braucht Mut, sich anderen zu stellen und einfach so zu sein, wie man ist. Es ist nicht die Tradition, die einen daran hindert, das zu machen, was man möchte, es ist die Angst. Wir werden mit dieser Angst geboren. Die Familie sagt „tu dies nicht, tu das nicht” und wir trauen uns nicht. Deswegen muss man rausgehen, denn nur dann lernt man, das Ausbrechen wichtig ist. Man muss offen für die Welt sein.”
Fatma, 26, Redakteurin bei FFDesigner
Was denkst du über die Tunis Fashion Week 2019?
Ich habe bis jetzt nichts gesehen, was wirklich neu wirkte. Ich hatte das Gefühl, eine Kopie der Pariser Fashion Week zu sehen, eine Show von Off-White oder von Isabel Marant. Die Show der Modeschule von Monastir ist mit ihren Kreationen zwar aufgefallen, aber ich fand es zu übertrieben – wie eine Karikatur der Mode in Tunesien.
Warum bist du trotzdem Befürworterin einer tunesischen Fashion Week?
Dass wir hier ein modisches Event organisieren ist nicht so selbstverständlich wie in anderen Ländern und es ist auch eine Herausforderung, die modischen Perlen zu finden. Es ist gut, eine Fashion Week zu organisieren und dadurch einen anderes Bild von Tunesien vermitteln zu können. Ein Bild, das die meisten Medien nicht zeigen.
Kannst du deine modische Haltung auch im Alltag umsetzen?
Nein. Ich finde es schade, dass ich so wie ich gerade angezogen bin, in Tunesien nicht auf die Straße gehen könnte. Also nutze ich die Fashion Week um mich modisch auszudrücken.
Wie beschreibst du dein Gefühl als Frau in Tunesien?
Ich habe mir beigebracht, mich davon zu lösen, was andere über mich denken. Ich bekomme schon blöde Kommentare oder komische Blicke zugeworfen. Aber ich habe ein gewisses Selbstbewusstsein entwickelt und lasse mich davon nicht einschüchtern. Es gibt allerdings Orte, wo ich weiß, dass ich mich nicht so anziehe würde, wie auf der Fashion Week – zum Beispiel in der Bahn. Es gibt immer ein Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen. Die Frau wird ständig unterschätzt. Das wird sich nicht dank eines neuen Rechts (dem gleichgeschlechtlichen Erbrecht in Tunesien) ändern. Der Laufsteg spiegelt das Ungleichgewicht wider: Man sieht mehr Frauen als Männer auf den Laufstegen, denn der weibliche Körper ist ein Objekt, ein Objekt, dass sich gut vermarkten lässt. Man spricht überall von Geschlechtergleichheit, in der Realität sieht es aber anders aus. Alleine die Tatsache, dass man sich als Frau oft nicht in Sicherheit fühlt, ist ein großes Problem.
Was würdest du ändern wollen?
Ich würde versuchen, mehr Kultur in den Alltag der Tunesier einzubringen. Es gibt hier nicht genügend Bibliotheken, Kinos, Events und so weiter. Ich denke, dass ein Land, das sich emanzipieren oder weiterentwickeln möchte, das nur schafft, indem es kulturelle Angebote fördert.
Dana, 19, Sängerin und Schauspielerin
Wie fühlst du dich als Frau in Tunesien?
Ich fühle ich mich okay.
Warum nur okay?
Weil man hier als Frau nicht so herumlaufen kann, wie man möchte. Aber ich persönlich finde das nicht so schlimm. Ich bin Schauspielerin und Sängerin und finde darin einen Ausgleich.
Was würdest du im Land ändern wollen?
Ich würde dem Bildungssystem mehr Bedeutung widmen. Bildung ist alles und hier fehlen die Strukturen, die allen Menschen eine gute Bildung ermöglichen.
Aya, 21, französische Studentin an der ESMOD Tunisia, Praktikantin beim Magazin FFDesigner
Was glaubst du, wie du als Frau in Tunesien wahrgenommen wirst?
Da ich ein Kopftuch trage, fühle ich mich hier definitiv wohler als in Frankreich. Dort gibt es gegenüber Kopftüchern eine Nulltoleranz, die den Alltag sehr anstrengend macht. In Tunis kann ich mich anziehen wie ich möchte, ohne dass mich jemand zu meinem Stil befragt oder eben zu meiner Entscheidung, ein Kopftuch zu tragen.
Nour, 17, Schülerin
Welche Schwierigkeiten siehst du im Alltag tunesischer Frauen?
Ich fühle mich wohl als Frau. Dennoch wird uns häufig gesagt, was wir nicht tun sollen oder dass wir nicht zu lange wegbleiben sollen. Das liegt aber vor allem in der Generation unserer Eltern. Meine Generation ist viel offener. Wir akzeptieren uns so, wie wir sind.”
Wie stellst du dir deine Zukunft vor?
Ich würde gerne Designerin werden ,aber nicht in Tunesien. Ich denke nicht, dass eine Karriere hier funktionieren würde. Die Möglichkeiten für Designerinnen sind sehr beschränkt. Mein Traum ist, nach New York zu gehen!
Aya Ali, 20, Architekturstudentin
Was bedeutet deine Identität als tunesische Frau für dich?
Ich bin sehr stolz, eine tunesische Frau zu sein, das Symbol der Freiheit in der arabischen Welt. Wir sind viel freier in Tunesien, können ohne Einschränkung machen, was wir wollen – das ist in arabischen Ländern nicht immer so, denke ich.
Wenn du etwas in der tunesischen Kultur ändern könntest, was wäre das?
Tunesien ist ein sehr schönes, kultiviertes Land, aber das Bildungssystem ist leider nicht so gut. Im Vergleich zu anderen Ländern gibt es zu wenig Arbeitsplätze und Möglichkeiten, im Berufsleben aufzusteigen. Fast alle erfolgreichen Tunesier haben das Land verlassen und sind im Ausland tätig, dadurch ist das Arbeitsniveau hier sehr niedrig. Mich macht diese Situation traurig und deswegen würde ich sie gerne ändern.