Nur die Liebe zählt, oder Charlotte Roche? Ein Gespräch über die Tücken des Paar-Seins

Sie spricht aus, was andere denken – und wurde dafür jetzt mit dem deutschen Podcastpreis als Beste Newcomerin und als Bestes Talkteam ausgezeichnet. BLONDE-Coverstar Charlotte Roche steht mit ihren Worten für Kompromisslosigkeit und spricht auch aus, was andere sich nicht trauen zu denken. Dass die Bad Ass der Literatur auch in ihrer Beziehung Tacheles spricht, ist tatsächlich nicht schwer vorstellbar. Zum Glück können wir zuhören (und noch was lernen): „Paardiologie” heißt der Spotify-Podcast von Charlotte Roche und ihrem Ehemann Martin Keß. Irgendwas zwischen Paartherapie und Reality-Show könnte man sagen. Sie selbst nennt es Hardcore-Ehrlichkeit.

Ein Gespräch über die Liebe – zugegeben, das klingt cheesy. Aber bevor ihr jetzt wieder zurück zu Instagram wischt: Ein Talk mit Charlotte Roche verspricht immer einen kleinen Spaziergang unter die Gürtellinie, ins Herz und den Kopf. Kleiner Spoiler: Check, die Erwartungen mit der frisch gebackenen Podcasterin wurden vollstens erfüllt. Gelacht haben wir bei unserem Treffen in Hamburg, gefühlt und auch ein bisschen nachgedacht…

Der schönste Satz für mich im „Paardiologie“-Trailer: „I am every woman und wir sind jedes Paar“…
Es ist doch so! Je länger wir zusammen sind und je öfter ich mit anderen Paaren ehrlich rede, also über Krisen oder wenig Sex zum Beispiel, merke ich: Es sind doch viele Leute gleich, viele Frauen sind gleich, viele Männer sind gleich und viele Paare sind gleich. Man kann sagen, wir wollen das geheim halten und sagen, das geht niemanden etwas an oder – und so war meine Arbeit schon immer in meinen Büchern und allem was ich mache – man reacht out zu anderen. So schafft man
Verbindung und hat nicht das Gefühl, dass man die Einzige ist, die verrückte Gedanken oder sexuelle Probleme hat. Man muss sich mitteilen, damit dann jemand sagt, bei mir ist das genauso.

Martin ist heute nicht beim Interview und auf den Bildern zum Podcast zeigt er sich nicht – warum habt ihr das so entschieden?
Ja, den gibt es jetzt erst mal nicht als Bild. Ich sag nicht, dass das nie so ist. Aber am Anfang fanden wir das mit Spotify zusammen super, dass man erst mal nur eine Stimme hört und er ist der mysteriöse Mann, den Charlotte 15 Jahre im Keller versteckt hat. Und jetzt darf er sprechen. (lacht)

(Anm. d. Redaktion: Mittlerweile ziegt Martin Keß sein Gesicht auch in der Öffentlichkeit.)

  Ich bin nicht so ein Psychopath wie die, die nicht in Therapie gehen. Das sind
die Gefährlichen, das sind die, die dann durchknallen.

Auch wenn ihr die gleichen Herausforderungen wie andere Paare habt: Was ist das ganz Besondere an eurer Beziehung?
Ich finde bei uns ist das besonders, dass wird richtig kämpfen dafür, dass wir zusammenbleiben können. Dass wir das begreifen als richtig viel Arbeit und wenn man sich die Arbeit nicht macht, dann verliert man sich. Viele finden es ja unromantisch, finden Paartherapie unromantisch, finden es unromantisch sich Hilfe von Außen zu holen. Je nachdem in welcher Beziehungsphase man ist: Am Anfang denkt man ja, man sei das beste Paar der Welt, dann wird man quasi eine Person, die wochenlang ineinander gesteckt ist. Und dann merkt man, dass es einem zu eng ist. Dann denkt der eine ‘Das ist der Anfang vom Ende‘. Aber, dass man wirklich Profis fragen kann und merkt, dass alle Probleme und Streits die wir haben, alle Paare immer haben, ist einfach Wahnsinn. Man steht wie ein Ochs vor dem Berg mit so Beziehungsproblemen und macht immer die gleichen Muster, macht zum Beispiel immer den Mann fertig wegen Sachen, die der Vater in der Kindheit verbrochen hat und man weiß es einfach nicht. Und in der Paartherapie sagen die dann auf all deine Probleme: It’s a classic.

Hier kannst du in Paardiologie reinhören

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Findest du, dass das Image der Paartherapie in Deutschland besser geworden ist?
Viele empfinden eine Paartherapie als eine Kapitulation vor dem Alltag, dass man eigentlich nur zur Paartherapie geht, um zu erfahren, dass man sich trennen muss, deswegen gehen die Leute nicht da hin. In Wirklichkeit ist es das Gegenteil. Die Paartherapeuten sagen, dass die meisten Leute sechs Jahre zu spät kommen. Oft so spät, dass man nichts mehr retten kann, weil so viele schlimme Sachen gesagt wurden und die so unbeholfen rumgemurkst haben miteinander. Und in Deutschland ist das so, wieso bist du denn in Therapie, bist du ein Psychopath? Ich sag dann immer, ich bin nicht so ein Psychopath wie die, die nicht in Therapie gehen. Das sind die Gefährlichen, das sind die, die dann durchknallen.

Ich will Hardcore-Ehrlichkeit, ohne Rücksicht auf Verluste. Es wird ja auch an den Stellen erst richtig interessant, wenn der eine etwas erzählt, was der andere nicht will.

Und das ist doch eigentlich die wirkliche Romantik, dass man sich nicht aufgibt…
Richtig. Das Besondere bei uns ist, dass wir richtig bereit sind, dafür zu kämpfen. Es gab auch mal Phasen, wo man so denkt, man liebt sich nicht mehr, weil Stress im Vordergrund ist oder Vorwürfe oder dass man sich aus irgendwelchen Gründen nicht mehr respektiert oder es hat schleifen lassen. Und dann fühlt es sich so an, als wäre die Liebe weg. Wenn man dann aber kämpft und dran arbeitet und sich Hilfe holt, kommt die auf einmal wieder und das finde ich richtig romantisch.

Habt ihr Eigenheiten, die für andere nicht romantisch sind, aber für euch? Manche Paare drücken sich ja zum Beispiel gerne gegenseitig die Pickel aus.
Ich liebe es Pickel auszudrücken, du bestimmt auch. Sonst würdest du diese Frage nicht stellen (lacht). Also, wir reden miteinander über die Zukunft – über Krankheit und Tod. Das liegt wahrscheinlich auch am Altersunterschied, mein Mann ist älter als ich, aber auch an meiner Geschichte. Wir denken, dass es zum guten Ton gehört alles so früh wie möglich selbst abzuklären. Wir haben unter anderem auch eine Pflegeversicherung – je früher, desto billiger. Es ist gut, auch die unangenehmen Seiten in der Beziehung zu lassen, damit ich weiß, was mein Mann denn will, wenn er an der Herz-Lungen-Maschine hängt. Über so etwas zu reden finden viele so abstoßend wie Pickel ausdrücken, aber ich finde es romantisch.

Als du das Stichwort Zukunft genannt hast, ist mir sofort die Serie „Black Mirror“ in den Kopf geschossen. Redet ihr auch über Themen wie Liebe mit künstlicher Intelligenz?
Wir lieben „Black Mirror“! In der ersten Staffel sind ja auch so Sachen gewesen wie, dass der Mann im Auge der Frau sehen konnte, dass sie fremdgegangen ist. Es ist schon ein richtiger Gehirnfick, wenn man das als Paar sieht und sich denkt, was da alles möglich wäre. Das Krasse an der Serie ist ja, dass es immer so wirkt, als wäre das ganz bald in der Zukunft – nur mit ein paar Extragadgets. Es wirkt nicht absurd, sondern man denkt, mit unserer Technik jetzt könnte es wirklich sein, dass es so etwas in vier Jahren gibt.

Wir leben ja auch quasi schon einer Welt des Bewertungssystems, nur in einer
anderen Form, deswegen macht es uns wahrscheinlich auch solche Angst.
Es ist wirklich kurz davor, dass wir mit unseren Likes Wohnungen mieten können.

Jetzt haben wir über die Zukunft geredet. Ich würde gerne über die
Vergangenheit sprechen. Kannst du dich an deinen ersten Liebesbrief erinnern, den du bekommen hast?
Da kann ich mich nicht dran erinnern. Ich kann mich eher an Erlebnisse mit Jungs erinnern. Ich bin kein sentimentaler Mensch oder Sammler, der Dinge in Kisten aufbewahrt. Wenn ich aus einer Stadt gezogen bin, habe ich immer gerne auch Sachen verloren – weg ist weg. Ich lebe mehr im Hier und Jetzt und in der Zukunft. Ich schaue mir nie Fotoalben mit Bildern aus der Vergangenheit an. Sie ist zwar da, aber ich denke nicht viel drüber nach. Ich weiß aber noch wie alle meine Ex-Freunde heißen und wie ich sie bekommen habe.

Wenn wir abends müde sind, fragt er, ob wir nicht die Position der Fernbedienung optimieren könnten. Das ist für mich echt die falsche Zeit für Haushaltskram. Aber ich sehe solche Dinge einfach als Test für die Liebe.

In welchem Laden du sie gekauft hast?
(lacht) Genau. Ich welchem Laden ich sie eingepackt habe. In welchen Kartons mit Schleife und Luftlöchern zu Weihnachten von meinen Eltern. Für mich war immer das Schönste im Leben verliebt zu sein, einen neuen Freund zu haben und neue Dinge auszuprobieren. Ich habe auch schon richtig früh auf dem Bauernhof damit angefangen, mit 11 oder 12. Dann haben wir geknutscht und ganz kindlich gesagt, dass wir irgendwann heiraten. Junge Liebe ist für mich das größte Glück! Es dreht sich alles nur darum. Die Grundschule sitzt man noch auf der linken Arschbacke ab, es sei denn man wird gemobbt oder ähnliches.

Welche Jungs fandest du denn so gut?
Ich fand schon immer nur Jungs gut, die Mädchen und Frauen gut behandeln. Noch nie war ich mit einem Mann zusammen, der schlecht für mich ist. Ich glaube auch, das ist ein Teil der Erziehung.

Das gibst du dann wahrscheinlich auch an deine Tochter so weiter?
Ich hoffe. Ich hoffe, hoffe, hoffe!

Was weißt du heute übe die Liebe, was du vor 10 Jahren noch nicht wusstest?
Ganz klar: Je mehr man an der Liebe festhält, desto kleiner wird sie. Früher habe ich immer bei Zeilen wie„If you love someone, let set them free“ gedacht, was ist das denn für ne Scheiße? Jetzt würde ich sagen, dass es stimmt. Es gab aber auch bei mir natürlich Zeiten in einer langen Beziehung, in der ich versucht habe, meinen Partner zu verändern. Man fragt sich, warum die Person nicht alles so macht, wie man selbst das doch so gut macht. Auch wenn ich früher versucht habe Dinge abzuerziehen, würde ich es heute gerne rückgängig machen. Denn man ändert die Person zu einer, die so ist wie man selbst und dann schmeißt man sie weg, weil man denkt
„langweilig!“. Man verbrachte dann Jahre damit, eine Person zu verändern, in die man sich ja ursprünglich verliebt hat. Wie bescheuert.

Und diese Person spiegelt einem dann ja auch die negativen Seiten an einem selbst wider.
Voll, richtig doll.

Habt ihr eine Art Safeword, wenn ihr über etwas bestimmtes nicht weiter reden
wollt?
Wir haben überlegt ein Safeword einzuführen. Dann würden die Zuhörer das ja aber auch mitbekommen. Eine bestimmte Gestik haben wir auch schon angedacht. Aber das ist auch gemein dem Hörer gegenüber. Wir haben uns gegen so etwas entschieden. Wenn ich etwas mache, dann richtig. Ich will Hardcore-Ehrlichkeit, ohne Rücksicht auf Verluste. Es wird ja auch an den Stellen erst richtig interessant, wenn der eine etwas erzählt, was der andere nicht will.

Habt ihr irgendwelche No-Go-Themen für Paardiologie abgemacht?
Ein inhaltliches Tabu sind aber auf jeden Fall intime Geschichten unserer Kinder. Die müssen geschützt werden. Wir haben es auch vorher mit ihnen abgeklärt und gesagt, dass es inhaltlich richtig abgehen soll, damit sie wissen worauf sie sich einlassen. Sie haben beide zugestimmt, werden es sich aber nicht selbst anhören. Meine Tochter wird regelmäßig mit meinen Büchern belästigt. Leute fragen dann, ob sie die eigentlich gelesen hat. Aber sie sagt dann immer „Stopp, das ist Erwachsenenliteratur. Ich will damit nichts zu tun haben. Das ist die Arbeit meiner
Mutter und ich möchte nicht mit dir darüber reden.“ Und dann packt sie ihren Schlagring von Alexander McQueen aus (lacht).

Was Martin und dein Streitthema Nummer 1?
Meine Online-Shoppingsucht. Das fuckt ihn so ab. Ich bin sehr oft nicht da und es kommen ständig Pakete an, die er annehmen muss. Das macht ihm sein Zuhause kaputt, deswegen ist es für ihn schwerwiegend. Mich regt am meisten an ihm auf, dass er eine die Hausfrauenkrankheit hat, er hat nie Feierabend. Wenn wir abends müde sind, fragt er, ob wir nicht die Position der Fernbedienung optimieren könnten. Das ist für mich echt die falsche Zeit für Haushaltskram. Aber ich sehe solche Dinge einfach als Test für die Liebe.

Fotos: Filiz Serinyel // Spotify

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Dieses Interview ist ursprünglich am 22. Juni 2019 auf blonde.de erschienen.

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