Sicherer Heimweg: Welche Smartphone-Tipps helfen können und warum wir die Ursachen von Gewalt bekämpfen müssen

Bild: BLONDE
Das Verschwinden einer Frau in England sorgte in dieser Woche für erneute Diskussionen um mangelnde Sicherheit auf dem Heimweg . Und auch wenn es längst an der Zeit ist, die Ursache dieses Problems zu bekämpfen, können diese drei Tools kurzfristig Gefährdeten dabei helfen, den Heimweg sicherer zu gestalten.

„Text me when you get home xx”. Eine WhatsApp-Nachricht, abgeschickt um kurz nach zehn Abends. In dieser Woche ist sie nicht nur ein Screenshot, sondern ein Symbolbild für Gefahr, für Gewalt und ein Sicherheitsdefizit, an dem sich kaum etwas zu ändern scheint. Die Personal Trainerin Lucy Mountain hat den Screenshot auf Instagram geteilt und damit einen viralen Moment ausgelöst. Sie hat ein unfreiwilliges Gemeinschaftsgefühl unter Frauen geschürt, aber auch eine kollektive Angst verdeutlicht.

Das Verschwinden von Sarah Everard und ein viraler Post

In Lucys Post geht es darum, wie sich insbesondere viele Frauen durch die realistische Angst verbunden fühlen, auf dem Heimweg Opfer einer Gewalttat zu werden. Zum Post bewegt hat sie der Fall von Sarah Everard. Triggerwarnung: Gewalt und Mord. Everard ist eine 33-jährige Frau aus London, die in dieser Woche auf ihrem Heimweg verschwand und seitdem als vermisst galt. In einem Wald nahe der englischen Küste wurden kurz nach ihrem Verschwinden menschliche Überreste gefunden, ob es sich dabei um Everard handelt, war aber noch nicht klar. Ein Polizist der Metropolitan Police, der an diesem Abend nicht im Dienst war, wurde vorläufig unter dem Verdacht festgenommen, Everard ermordet zu haben. NACHTRAG 13. März: Inzwischen wurden die Überreste als Leichenteile von Sarah Everard identifiziert und der Polizist wegen Kidnapping und Mord angeklagt.

 

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Ein solches Schicksal illustriert die gefühlte wie reale Bedrohung, mit der sich viele Menschen auf dem Heimweg konfrontiert sehen. Sie ist seit langer Zeit Thema, innerhalb der letzten Woche aber wurden vor allem die Perspektiven von Frauen hervorgehoben. Mountains Post beschreibt, wie es schon in der Jugend zur kollektiven Erfahrung gehört, Präventionsmaßnahmen zu treffen: Den Live-Standort bei WhatsApp teilen, Schlüssel als Waffe in der Hand halten, Freund*innen anrufen oder auch nur so tun als ob. Fluchtwege planen, verlassene Straßen meiden, auf dunklen Straßen rennen.

Schutz auch für Cis-, trans* und nicht-binäre Personen

Nun beziehen sich diese Erfahrungen oft auf Dynamiken zwischen Cis-Männern und -Frauen, betreffen aber genauso andere Geschlechtsidentitäten. Die weltweiten Zahlen an Gewalt-Übergriffen auf Menschen aus LGBTQIA+ und queeren Communities sprechen hierbei für sich. Genauso können diese Situationen von Gewalt innerhalb einer Gruppe entstehen, wenn zum Beispiel Männer selbst Gewaltopfer anderer Männer werden, wie Jameela Jamil gerade aus einer Statistik zitierte. Wenn wir im Folgenden also von Präventivmaßnahmen sprechen, meinen wir man dabei auch den Schutz für alle.

Opfer oder Täter*innen: Wen zentrieren wir?

Auf Twitter haben in dieser Woche viele Männer gefragt, wie sie Frauen auf dem Heimweg ein sichereres Gefühl geben können. Damit nähern sie sich der Wurzel des Problems. Gemeint ist nicht, dass einzig und allein (Cis-) Männer diese Wurzel ausmachen. Toxische Männlichkeit, patriarchale Strukturen und das damit einhergehende Weltverständnis aber tun es. Sie sind zusätzlich vernetzt mit Rassismus, Trans- oder Homophobie, Ableismus und vielen weiteren Formen der Diskriminierung. Und genau wie bei diesen Erfahrungen liegt es in der Hand Nicht-Betroffener, sich zu informieren und präventiv zu handeln – in Gesprächen, in Organisationen und alltäglichen Situationen. Die Perspektiven von Frauen, trans* Menschen oder nicht-binären Menschen zu zentrieren und ihre Bedrohung ernst zu nehmen, bedeutet nicht, die Last der Lösung auf ihren Schultern zu lassen. Den Gesprächen darüber, wie potenzielle Opfer sich schützen oder welche Hilfsideen sie selbst beisteuern könnten, müssen praktische Änderungen an den toxischen Strukturen folgen. Bis diese aber angewandt werden, sind kurzfristige Hilfsmaßnahmen weiterhin notwendig. Hier stellen wir euch deshalb drei Smartphone-Tipps vor, die ihr auf eurem Weg nach Hause anwenden könnt.

Diese 3 Smartphone-Tipps können bei einem sicheren Heimweg helfen:

Heimwegtelefon-Hotline

Falls sich der Heimweg allein in der Nacht nicht vermeiden lässt, ist das Heimwegtelefon eine deutschlandweite Hotline, die euch genau dabei unterstützen soll. Von sonntags bis donnerstags sind die ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen von 18 bis 0 Uhr erreichbar, freitags und samstags von 18 bis 3 Uhr, immer unter der Nummer +49 (0) 30/12074182. Anrufer*innen werden zu einer*einem Mitarbeiter*in durchgestellt und geben unterwegs immer wieder ihren aktuellen Standort und das Ziel an. Die Hotline funktioniert nach einem Vorbild in Stockholm, wo der Service allerdings direkt an die Polizei angegliedert ist. Weil es einen vergleichbaren Service in Deutschland nicht gab, riefen die Gründer*innen diesen selbst ins Leben. Pro Nacht bekommen sie laut Website je nach Wochentag und Wetterlage etwa 15 Anrufe.

Notruf-SOS per Power-Button

Für die zweite Hilfsmaßnahme könnt ihr euer Smartphone schon vor dem anstehenden Heimweg einrichten. Relevant ist hierfür der jeweilige Notruf-SOS des Handys. Und nein, damit ist nicht einfach die Notruf-Funktion vor PIN-Eingabe gemeint. Alle iPhones ab iOS11 oder Android-Phones ab Version 5.0 haben eigene Funktionen, die ihr extra für eine eventuelle Notfall-Situation einrichten könnt. Beim iPhone zum Beispiel gibt es die Möglichkeit, dass euer Smartphone nach fünfmaligen Drücken auf den Home-Button eine Sirene ertönen lässt, bis 3 zählt, einen Notruf absetzt und zusätzlich noch eine Nachricht mit Standort an eure Notfallkontakte abschickt.

Bei Android-Smartphones sieht es ähnlich aus: Hier könnt ihr im Vorfeld einrichten, ob im Notfall eine SMS an bis zu vier Kontakte verschickt werden soll. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, die Kamera automatisch auszulösen oder kurze Sprachaufnahmen und den Standort zu verschicken. Bei Samsung-Geräten findet ihr den Dienst unter den Einstellungen für „Datenschutz und Sicherheit“, weitere Infos gibt’s hier. Um den SOS-Notruf in der Gefahrensituation zu aktivieren, müsst ihr den Home-Button eures Android-Smartphones drei Mal drücken.

Heimweg-Begleit-Apps

Wer nicht auf ein Telefonat ausweichen kann oder möchte, kann auf sogenannte Begleit-Apps zugreifen. Hierzu gibt es im Netz viele Beispiele: WayGuard, KommGutHeim, Vivatar, Familonet, allfine! – die Liste der Anwendungen ist lang. Sie unterscheiden sich hauptsächlich in ihren Anforderungen an den Datenschutz, den Funktionsunterschied zwischen Gratis- und Premium-Modellen oder Tutorials. Je nach App könnt ihr den Standort rund um die Uhr mit professionellen Begleiter*innen der App oder mit ausgewählten Personen unter euren Kontakten teilen, die die App ebenfalls haben. Der Unterschied zum klassischen WhatsApp-Standort besteht zum Beispiel darin, dass ihr Safe Spaces voreinstellen oder Gefahrencountdowns hinzufügen könnt. Apps wie die oben genannten gibt es schon seit einigen Jahren. Auch als 2019 eine Frau in Wien überfallen wird, tauchen sie unter den Tipps und Tricks auf, wie Frauen sich in Zukunft schützen können. Den Aufruf gestartet hatte die Twitter-Userin Natascha. Im Interview mit Bento gibt sie damals ein Statement ab, was die Sachlage auch heute noch passend zusammenfasst: „(…) Ich bin froh, dass es sowas [wie die Apps] gibt und dass es Leuten hilft. Aber es sollten nicht wir sein, die sich schützen müssen. Es ist eigentlich traurig, dass wir das Gefühl haben, das machen zu müssen.”

P.S.: Warum sich unser Fokus ändern muss und Gewaltprävention nicht nur „Frauensache” bleibt, verdeutlichen u.a.  Jameela Jamil und Hannah Gadsby in ihren Reden:

 

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