In einem Dialog zwischen der Floral-Designerin Lilo Klinkenberg und der Malerin Chloe Saï Breil-Dupont verschmelzen Realität und Vorstellungskraft. Ihre Kunstwerke laden ein, Emotionen und Erinnerungen neu zu erleben und die Grenzen zwischen Realität und Abstraktion zu hinterfragen.
Text: Fatima Njoya
Versuchen zu definieren, was real ist, scheint, als würde man aus der Matrix ausbrechen. Dennoch ist das Konzept von Realität eine lebendige Inspirationsquelle und nährender Boden für Ausdrucksformen. Die Realität könnte als „der Zustand der Dinge, so wie sie sind, und nicht, wie man sie sich vorstellt“, beschrieben werden. Sie ist ein Spielplatz. Ein Ort, der Menschen einlädt, weiterzugehen, tiefer zu graben und Neues zu entdecken. Genau das machen Floral-Designerin Lilo Klinkenberg (Studio Lilo) und Malerin Chloe Saï Breil-Dupont in ihren Kreationen.
Während sich die in Berlin ansässige Künstlerin Lilo auf großflächige botanische Installationen und Skulpturen konzentriert, widmet sich Chloe mit ihren Ölgemälden eher surrealistischen Welten. Beide spielen mit ihren alternativen Versionen der Realität und trafen sich für unsere aktuelle Ausgabe zusammen mit Autorin Fatima Njoya zu einem gemeinsamen Austausch. Auf den Bildschirmen entfaltete sich ein Gespräch über die kreative Metamorphose, die einen einzigen Gedanken oder eine Vision real werden lassen kann.
Lilo: Für mich ist Realität etwas, in dem man Gefühle hervorrufen kann. Daher könnte es alles Mögliche sein. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass es etwas Physisches sein muss. Manchmal reicht schon ein Duft. Geht es dir genauso, Chloe?
Chloe: In gewisser Weise. Ich denke, es ist etwas, das teilbar ist. Es kann physisch oder eine Idee sein, denn wir erschaffen unsere Realität mit den Dingen, die wir in unseren Köpfen haben. Es gibt dieses Buch von Pierre Bayard, Il existe d’autres mondes, in dem er sagt, dass Künstler*innen verschiedene Realitäten aus anderen Universen empfangen. Ich weiß nicht, ob ich daran glaube, aber es klingt poetisch.
Lilo: Ich bin mir nicht sicher, ob ich an eine abweichende Realität glaube, die um uns herum existiert. Aber ich mag die Idee, dass jede*r Realität anders wahrnimmt. Wenn ich umhergehe und einen Baum oder einen Busch bemerke, erkenne ich Formen, Tiefe und den negativen Raum dazwischen. Wie siehst du die Welt?
Chloe: Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich Formen und Farben.
Lilo: Ich habe bemerkt, dass es in deinen Bildern immer Pflanzen oder Blumen gibt…
Chloe: Tatsächlich. Ich nenne sie Cyborg-Blumen, weil sie für mich fast wie Menschen aussehen. Eine hat Hände wie Edward mit den Scherenhänden, und in meiner Vision tanzen sie. Das ist etwas, das ich auch in deiner Arbeit gesehen habe. Du hast die Menschen gebeten, zu tanzen oder sich zwischen deinen Skulpturen zu positionieren. Ich habe mich gefragt: Haben sie die Form der Pflanzen nachgestellt?
Lilo: Die Idee war, menschliche Skulpturen zwischen den von mir Geschaffenen zu haben. Ich wollte, dass sie eine Erweiterung sind, die die Idee der Skulpturen als Körperwerk innerhalb der tatsächlichen Körper fortführt.
Chloe: Und du hast es “Is this even real?” genannt?
Lilo: Ja, ich mag es, die Idee der Realität zu erweitern. Deshalb möchte ich die Pflanzen auf eine Weise einbeziehen, die in der realen Welt nicht existiert. Ähnlich wie deine futuristischen Cyborg-Pflanzen. Sind alle Menschen, die du malst, Menschen, die du kennst?
Chloe: Sie sind tatsächlich Menschen, die mich umgeben. Ich versuche sie aber in einer Welt zu visualisieren, die nicht existiert. Ich habe gesehen, dass deine Skulpturen gigantisch sind. Was steckt dahinter? Willst du den menschlichen Körper konfrontieren?
Lilo: Es geht mehr darum, die Geschichte der Skulptur auf die richtige Weise zu erzählen und ein Gefühl zu erschaffen…
Chloe: Bist du noch da?
Die Zoom-Verbindung stört das Gespräch und verursacht eine Verzögerung auf Lilos Bildschirm. Man könnte sich fragen, wie viele Realitäten die Datenströme in diesem Moment überqueren.
Lilo: Entschuldigung, ich habe dich nicht gut gehört. Könntest du wiederholen, was du gesagt hast?
Chloe: Es gibt verschiedene Aspekte meiner Arbeit. Es gibt den alten traditionellen Teil der Ölmalerei, der die Geschichte der Porträts repräsentiert. Ich nehme dieses Element und male die Menschen, die ich kenne, in die Realität des Bildes hinein. Es zeigt dieselbe surrealistische Welt, die für mich einen sichereren Ort darstellt. Sie zeigen ein Bild, das mit Dingen verbunden ist, die sie mir erzählt haben, Erinnerungen, die wir geteilt haben.
Lilo: Aber wann weißt du, dass ein Gemälde fertig ist?
Chloe: Das ist schwer zu sagen. Ich verwende eine Layering-Technik. Mit jeder Schichte steigere ich diesen unrealistischen 3D-Haut-Effekt. Irgendwann sage ich mir dann einfach, dass es fertig ist. Hast du eine klare Vorstellung von deinen fertigen Skulpturen?
Lilo: Ja, so ähnlich ging es mir bei meiner letzten Ausstellung. Ich habe alles vorher visualisiert. Normalerweise finde ich ein Material, das mich interessiert und erarbeite mir den Weg zur eigentlichen Form.
Chloe: Siehst du eine Entwicklung in deiner Arbeit?
Lilo: Definitiv. Zuerst ging es mir darum, die Natur in einen Raum zu bringen. Jetzt geht es darum, Formen, die ich sehe, zu übertragen und sie mit der Natur zu kombinieren. Es hat sich von einem eher naturalistischen Ansatz in etwas Unrealistisches und Unnatürliches entwickelt. Dennoch arbeite ich immer noch mit natürlichen Materialien.
Lilo: Erinnerst du dich an das erste Gemälde, das du gemacht hast?
Chloe: Das ist eine schwierige Frage. Ich habe angefangen zu malen, als ich sehr jung war. Es wurde zu einer Besessenheit. Für mich sind die Gemälde ein Spiegelbild. Wenn ich in meinem Leben, in meiner Realität etwas hinterfrage, fließt das direkt in meine Arbeit ein. Und während ich male, kommt es zu mir zurück. Es geht um Kontinuität.
Lilo: Es ist wie ein Gespräch mit sich selbst, oder?
Chloe: Ja. Meine Gemälde sind viel größer als ich. Manchmal bin ich erstaunt, dass sie überhaupt existieren und dass ich sie erschaffen habe. Wenn ich mir alte Gemälde anschaue, erinnere ich mich an alles…
Lilo: Wenn ich auf ein altes Werk zurückblicke, treffe ich eine andere Person wieder. Ich kann fast in die Vergangenheit zurückreisen und diese Erinnerungen wieder erleben. Kunst ist sehr persönlich. Es geht darum, Gefühle und Emotionen zu bewahren. Deine Gemälde sind realistischer, und die Menschen können darin Dinge sehen. Meine Werke sind sehr abstrakt, und es liegt am Betrachter, seinen Kontext hinzuzufügen. Bei deinen Gemälden…
Chloe: …ist es gesteuerter.
Lilo: Genau.
Chloe: Gleichzeitig hat jeder eine Beziehung zur Natur. Du nimmst dieses Vokabular der Natur, mit dem wir alle verbunden sind, und übersetzt es in deine Skulpturen. Wenn ich mir deine Arbeiten anschaue, habe ich das Gefühl, dass sie in bestimmten Richtungen wachsen können. Kannst du dir vorstellen, wachsende Skulpturen zu schaffen?
Lilo: Das ist es, was ich für meine nächste Ausstellung plane. Ich möchte Skulpturen bauen, die draußen leben können. Es ist eine neue Erfahrung für mich, etwas zu schaffen, das Bestand hat. Ich habe viel darüber nachgedacht, weil ich immer traurig war, dass ich so schnell loslassen musste.
Chloe: Wenn ich etwas fertigstelle, lasse ich los. Es ist wunderbar. Alles ist möglich…
Lilo: Total, ich arbeite mit den Jahreszeiten und dem, was pflanzenmäßig verfügbar ist. Interessant ist, wie sich meine Wahrnehmung verändert. Jede Saison sehe ich die Pflanzen anders. Natürlich entwickelt sich alles ständig weiter, lebt und stirbt.
Chloe: Kreativ zu sein, ist eine verspielte Obsession. Aber nicht jeder kann sich die Fragen stellen: „Ist die Realität ein Spielplatz?“ oder „Ist das wichtig?“. Solche Diskussionen sind sehr privilegiert. Aber ich denke, es gibt ein Gleichgewicht zwischen dem, was mit der Realität verbunden ist und was mit dem realen Leben der Menschen zu tun hat, und diesem anderen Space, in dem es wichtig ist, Raum für neue Ideen zu haben. In diesem Sinne ist es schön, die Realität als Spielplatz zu betrachten.
Lilo: Ja. Einige Kunstwerke und Skulpturen zeigen die Brüche der Realität. Unsere Arbeit besteht eher darin, eine abstrakte Realität zu schaffen, in die die Menschen eintauchen und den Status quo herausfordern können.
Chloe: Es ist eine Sprache, die Tausende von Jahren hält. Etwas, das wir irgendwie fortsetzen können.
Lilo: Schicht für Schicht.
Headerbild: Clemens Poloczek, Yotam Schartz
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